Antonia schüttelte den Kopf. »Klein. Die haben ihren Sitz in Clearwater, an der Westküste Floridas. Neunundzwanzig Mitarbeiter in einer kleinen Fabrik auf einem Industriegelände.«
Bald blätterte nun durch eine Kopie von Laxmanns Arbeitsvertrag. Er umfasste vierunddreißig Seiten. »Meine Güte, das Ding ist länger als die Verschwiegenheitserklärung, die wir beim Regiment unterzeichnen mussten.«
Sie fuhren jetzt durch eine Gegend, die die klassischen Anzeichen nagender Armut zeigte. Baufällige Wohnblocks? Check. Alte Männer mit ledriger Haut, die Mülltonnen durchwühlten? Check. Alte Frauen, die Kleinkinder auf dem Rücken trugen und um Kleingeld bettelten? Check. Check, Check, Check.
»Wenn Sie sich die Unterschrift und das Datum ansehen«, sagte Antonia, die überaus schnell durch den Slum fegte, »werden Sie feststellen, dass Laxman vor vier Jahren bei Lance-Elsing angefangen hat. Zum selben Zeitpunkt schloss der Kongress mit Lance-Elsing einen Vertrag über 240 Millionen Dollar ab, um die nächste Generation militärischer Waffen zu entwickeln. Die Aufgabe lautete, ein Waffensystem zu entwickeln, mit dem das US-Militär sein oberstes Ziel bis 2050 erreichen würde.«
»Und das wäre?«
»Eine Verlustquote im Kampfeinsatz von null Prozent.«
Bald war wenig beeindruckt. »Ich sage Ihnen was, meine Liebe. Was immer die Wissenschaftler da am Köcheln haben, ist nichts weiter als ein Haufen Mist. Das Oberkommando hat uns damals allen möglichen Unsinn in Hereford testen lassen. Laser, die Panzer schmelzen sollten. Panzerwesten, die angeblich unzerstörbar waren. Am Ende läuft es immer auf das Gleiche hinaus: Kriege gewinnt man mit Männern, Kugeln und Geschick. Jeder, der etwas anderes behauptet, hat noch keinen geführt.«
»Das hier ist etwas anderes«, sagte Antonia.
»Ach ja? Was genau entwickelt sie denn da?«
»Alles, was ich weiß ist, dass Lance-Elsing an einem streng geheimen Projekt arbeiten und Laxman sehr stark darin involviert ist. Und wenn er die Technologie außer Landes schmuggelt, könnte das übel enden.«
Bald ließ die Unterlagen in seinen Schoss fallen.
»Das ist ja alles schön und gut«, sagte er. »Aber das interessiert mich alles nicht. Sehen Sie, alles, was ich tun werde, ist, mich ins Land zu mogeln, den Wichser umlegen und wieder abzuhauen.«
Antonia schürzte ihre Lippen. Ihre hübschen Augenbrauen trafen sich beinahe in der Mitte. Irgendetwas stimmt nicht, dachte Bald.
»Was ist los?«, fragte er.
»Daniel hat Ihnen noch nicht alles erzählt, oder?«, fragte sie.
Kapitel 13
11:39 Uhr
Die Avenue Insurgentes Norte mündete in der Mexico 85. Diese fünfspurige Autobahn pflügte sich durch hohes Gras und lehmiges Erdreich. Hinter ihnen verschwanden die Straße und das zusammengepferchte Chaos von Mexiko City zu einer geisterhaften Silhouette. Bald bekam davon aber nur wenig mit. Er war stinksauer, weil Danny Cave ihm nicht die Wahrheit gesagt hatte.
»Was will dieser Wichser noch von mir?«, fragte er.
Antonia konzentrierte sich absichtlich besonders stark auf die Straße vor ihr. »Daniels will, dass Sie Laxman beschatten, bevor Sie ihn aus dem Verkehr ziehen.« Sie räusperte sich. »Um ein paar Informationen zu erhalten.«
»Wieso?«
Jetzt sah sie ihn an. Tat etwas mit ihren Augen, das ihn an seine Ex-Frau erinnerte. Der Blick schien zu sagen: Sind sie wirklich so betrunken und bescheuert?
»Spionage«, sagte sie. »Daniels will wissen, welche Verbindungen Laxman hat. Mit wem er zusammenarbeitet. Wenn die Terroristen versuchen, amerikanische Technologie abzuziehen, werden sie das in britischen Firmen womöglich ebenfalls versuchen. Je mehr Insider-Informationen wir von Ihnen bekommen, umso größer stehen unsere Chancen, weitere Schläferzellen in Großbritannien ausheben zu können.«
Bald spürte, wie sich seine Muskeln am Hals verhärteten. Die Anspannung im Nissan sprengte das Thermometer. Wut stieg in ihm auf. Aber Wut hatte Bald in der Vergangenheit wenig eingebracht, und er versuchte, sie zu unterdrücken. Er widmete sich wieder der ersten Seite der Akte und untersuchte das Foto genauer.
»Laxman ist Pakistani?«
»Gebürtiger Inder«, sagte Antonia. »Seine Eltern kamen aus Delhi nach Boston, als er drei Jahre alt war.«
»Und jetzt ist er ein braver amerikanischer Junge?«
»Er hat die amerikanische Staatsbürgerschaft, falls Sie das meinen.«
Ein Straßenschild verkündete, dass sie Tizayuca erreicht hatten. Bald hatte Landkarten der Gegend um Mexiko City herum studiert und wusste, dass diese Stadt etwa dreißig Meilen nordöstlich von Mexiko City lag. Sie waren noch immer über eine Stunde von San Hernando entfernt.
Bald legte sich die Akte wieder in den Schoss. Plötzlich schien ihm alles zu entgleiten. Seine Atmung geriet außer Kontrolle. Er spürte einen sengenden Schmerz, so als würde jemand Heftklammern in seinen Schädel tackern. Er suchte in seiner Tasche nach dem Amitriptylin.
Das Döschen war nicht da.
Er schloss die Augen. Versuchte, die Migräne zu unterdrücken. »Und Sie sind sich sicher, was diesen Typen angeht?«
Antonia warf ihm einen neugierigen Blick zu. »Soll das heißen, Sie haben Zweifel?«
»Vielleicht ist er eine schwuchtelige Brillenschlange.« Bald sah sich sein Bild noch einmal an. »Aber seine Geschichte … klingt einfach nicht glaubhaft, Mädchen. Ich bin mir nicht so sicher, dass er ein verdammter Terrorist sein soll.«
»Wieso denken Sie das?«
»Es braucht Jahre, um sich einen Schläfer heranzuziehen. Zuerst mal müssen Sie die richtige Person dafür finden. Das richtige psychologische Profil, den richtigen Charakter, ein verdammt guter Lügner, clever, loyal, und imstande, über Jahre hinweg ohne Kontakt allein zu arbeiten. Das sind verdammt viele Kriterien, die man erfüllen muss. Terroristische Vereinigungen sind nicht gerade berühmt für ihre Geduld oder ihre Weitsicht. Danny meinte, die Lashkar-e-Taiba seien organisierter. Eine neue Generation. Aber Laxman ist Inder, nicht wahr?«
»Mm-mhm.«
»Indien und Pakistan sind nicht gerade beste Freunde. Warum zum Teufel sollte er für sie die Drecksarbeit erledigen?«
»Vielleicht ist er insgeheim ein Sympathisant. Vielleicht hat man ihn bestochen. Oder vielleicht tut er es aus demselben Grund wie Sie. Aus fünf Millionen Gründen, um genau zu sein.«
»Ich mache das nicht wegen des Geldes.«
»Natürlich nicht.«
Bald ging nicht weiter darauf ein. Seine Bemühungen, die Schmerzen in seinem Kopf loszuwerden, waren nutzlos. Wahrscheinlich hatte er seine Medikamente in der Gulfstream liegen lassen. In seinem Rausch musste ihm die Dose aus seiner Tasche gefallen und in die Ritze seines Sitzes gerollt sein. Keine Medikamente und kein Alkohol. Bald würde den Kampf verlieren. Sein Kopf dröhnte. Seitdem die Kopfschmerzen begonnen hatten – eine Woche, nachdem er nach England zurückgekehrt war – redete er sich ein, dass er damit umgehen konnte. Die Schmerzen waren beinahe lähmend, aber so lange er hinter einem Schreibtisch saß oder Golf spielte, kümmerten sie ihn nicht weiter. Aber jetzt war er wieder im Einsatz, bohrte sich eine Stimme in sein Gehirn wie ein Eispickel. Was würde passieren, wenn er mitten in einem Feuergefecht einen Migräneanfall bekäme? Was dann?
Ich muss mich irgendwie betäuben, dachte er, hob die Sporttasche, die zwischen seinen Füßen stand, zu sich hinauf, zog den Reißverschluss auf und warf einen flüchtigen Blick hinein.
»Leck mich am Arsch«, sagte er.
Die Tasche wog so gut wie nichts und war beinahe leer, bis auf ein einzelnes Bündel amerikanischer