VERRÄTER (Extreme 2). Chris Ryan. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Chris Ryan
Издательство: Bookwire
Серия: Extreme
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783958352704
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      »Ein Freund von Ihnen?«, fragte Bald und deutete ihm mit einem Kopfnicken hinterher.

      »Ein Kollege«, antwortete Antonia.

      Sie schlängelte sich zu dem Tisch hindurch. Bald ließ sich auf einen Stuhl fallen, von dem aus er einen unverstellten Blick über das Restaurant sowie das Foyer und den Hoteleingang hatte. In Restaurants wählte er immer den Tisch, der ihn alle anderen Gäste überblicken ließ. Aus dem gleichen Grund, wie er auch stets den einen Sitz ganz hinten im Flugzeug nahm oder nachts eine Pistole unter seinem Kopfkissen versteckte. Den Frauen, die sich unwohl fühlten bei dem Gedanken, das Bett mit einer geladenen P229 teilen zu müssen, sagte er immer, dass das die Macht der Gewohnheit sei.

      Bald bemerkte, dass der Mann im weißen Anzug einen braunen Umschlag auf dem Tisch hatte liegen lassen. Er sah auf die Straße hinaus und suchte nach einem Hinweis auf die drei Zombies. Nichts.

      In für Bald perfektem Spanisch bestellte sich Antonia bei der Kellnerin einen fettarmen Kaffee Latte. Er fragte nach einem dreifachen Espresso, mit einem fetten schottischen Akzent, bei dem die hübsche Latino-Kellnerin die Stirn runzelte. Schließlich musste Antonia für ihn bestellen. Bald verschränkte die Beine unter dem Tisch und stieß gegen etwas.

      Er sah hinunter und entdeckte eine schwarze Sporttasche, die zwischen seinen und Antonias Füßen stand. »Noch eine Überraschung?«

      »Für später«, antwortete Antonia.

      »Ich hätte jetzt eine Überraschung für Sie, wenn Sie mögen«, sagte Bald schmierig.

      »Sie brauchen Hilfe.«

      »Ich denke, wenn Sie etwas lockerer werden würden, könnte es Ihnen vielleicht sogar gefallen«, sagte er. »Sie haben nur ein so scheues und reiches Leben geführt, dass Sie vor der echten Welt Angst haben.«

      »Nein. Ich fühle mich nur nicht von besoffenen alten Schotten angezogen.«

      Antonia war noch immer verschlossen, und Bald bekam den Eindruck, dass etwas Neues sie unwohl fühlen ließ. Er kam nicht umhin, sich zu fragen, ob man die drei Zombies dafür bezahlt hatte, ihm zu folgen, und Antonia vielleicht etwas darüber wusste. Er überlegte, sie danach zu fragen, entschied sich aber dagegen. Immerhin gehörte sie zur Firma. Und soweit es Bald betraf, konnte man niemandem aus der Firma vertrauen.

      »Wir sollten hier nicht lange bleiben«, sagte Antonia.

      Bald tat so, als wäre er enttäuscht. »Aber ich dachte, wir wollten uns ein Zimmer nehmen?«

      Antonia senkte leicht die Stirn und sah ihn über die Ränder ihrer Sonnenbrille hinweg unverwandt an. »Sie haben keine Chance.«

      »Ich mag die Herausforderung.«

      Sie starrte ihn noch immer an, aber ihr Lächeln hatte sich in irgendeiner Höhle verkrochen. »Ich bin lesbisch.«

      »Damit sind wir schon zwei.«

      »Und ich wildere nicht am anderen Ufer.«

      »Das sehen wir noch.«

      Die Kellnerin brachte den Kaffee. Ein Mann hatte sich an den Tisch neben ihnen gesetzt und verschlang eine Fajita. Zum Frühstück. Meine Fresse, dachte Bald. Alles, was die Mexikaner in sich hineinstopften, schien aus Mais gemischt mit irgendetwas aus Fleisch zu bestehen. Er beschloss, dass es auch für ihn Zeit war, zu frühstücken. Er zog eine weitere kleine Flasche hervor, die er sich in der Gulfstream eingesteckt hatte – dieses Mal einen Chivas Regal – und goss ihn in seinen dreifachen Espresso.

      »Wie schaffen Sie es, am Leben zu bleiben?«

      »Ich bin Schotte.«

      Bald kostete seinen Alk-Kaffee. Damit hätte man einen Monster Truck antreiben können, einmal quer durch die Wüste von Nevada. Er beruhigte sich damit, dass seine innere Uhr noch nach Londoner Zeit tickte und das also im Prinzip eher ein Nachmittags-Schlückchen war.

      Jemand hatte den Ton des Flachbildfernsehers laut gedreht, der hinter der Bar des Restaurants hing. Ein nationaler Nachrichtensender lief. Man musste das hiesige Kauderwelsch nicht sprechen, um zu verstehen, worum es in den Schlagzeilen ging. Die Bilder sagten alles. In einer Grube in der Nähe von Acapulco hatte man achtzehn kopflose Leichen gefunden. Ihre Hände waren mit Kabelbindern gefesselt und die Leichenstarre hatte die Körper bereits aufgebläht. Eine weitere Mordserie im Zusammenhang mit dem Drogensumpf.

      Antonia nahm den Blick vom Fernsehschirm. Sie glitt von ihrem Stuhl und warf drei Fünfzig-Peso-Scheine auf den Tisch.

      »Gehen wir«, sagte sie. »Nelson wird nicht auf uns warten.«

      »Wo treffen wir ihn?«

      »In der kleinen Stadt nördlich von hier, die ich erwähnte«, sagte Antonia und sah wieder auf ihr iPhone. »San Hernando. Das war ursprünglich mal ein Bergbauzentrum, aber jetzt gehört es dem Golf-Kartell. Reicht das fürs Erste? Gut. Dann beeilen Sie sich. Und vergessen Sie nicht das Paket.«

      Bald klemmte sich den Umschlag unter den Arm und schwang sich die Sporttasche über die Schulter. Sie war überraschend schwer. Er fragte sich, was zur Hölle darin sein mochte. Zusammen verließen sie das Sheraton. Ein grauhaariger Hotelpage fuhr mit Antonias Nissan vor. Bald stieg vorn ein und verstaute die Tasche zwischen seinen Beinen, während Antonia dem Hotelangestellten eine Tausend-Peso-Note in die Hand drückte, was etwa 100 Dollar entsprach. Der alte Glückspilz winkte ihr mit dem Geld hinterher und rief: »Gracias, chica.«

      Antonia ließ den Sentra in den beständig fließenden Verkehr auf der Juárez schießen, in die entgegengesetzte Richtung zum Sheraton. Nach einhundert Yards bog sie nach Norden auf die Eje Central Lázaro Cárdenas. Für zwei Meilen blieben sie auf der Straße, dann bog Antonia nach links ab, und dann wieder die erste nach rechts auf die Avenue Insurgentes Norte. Die Straßen waren gesäumt von heruntergekommenen Internetcafés und baufälligen Cantinas. Einheimische verhökerten auf den Straßen irgendwelchen Plunder, spielten Akkordeon oder führten billige Zaubertricks vor.

      Bald riss den Umschlag auf und schüttete sich dessen Inhalt in den Schoß. Ein Meer aus Dokumenten fiel heraus. Ein paar Seiten waren vergilbt und zerknittert, bei anderen handelte es sich um schwarz-weiße Fotokopien. Das oberste Dokument erregte Balds Aufmerksamkeit. Es handelte sich um einen Hintergrundbericht über einen Mitarbeiter der Lance-Elsing Incorporated. Ein Foto, das an der oberen rechten Ecke festgeklammert war, zeigte einen Mann Ende zwanzig oder Anfang dreißig mit einer dick umrandeten Brille.

      »Sein Name ist Shy Laxman«, sagte Antonia, ohne die Augen von der Straße zu nehmen. »Er ist der Schläfer.«

      Bald blätterte durch den Bericht, der gut zwei Zentimeter dick war. Das Leben eines Mannes, eingedampft auf zwei Zentimetern. Es gab eine Fotokopie seines Abschlusszeugnisses, nach dem Shylam K. Laxman an der Harvard Universität sein Diplom in Kommunikationstechnik gemacht hatte. Ein mit Schreibmaschine geschriebener Brief informierte Laxmann darüber, dass man ihn mit einer besonderen Erwähnung in der Dean's List aufgrund seiner herausragenden akademischen Leistungen geehrt hatte.

      »Er war gerade mal siebzehn, als er an der Harvard aufgenommen wurde«, sagte Antonia.

      »Ja? Tja, als ich siebzehn war, hab ich eine Ausbildung in einer Autowerkstatt in Dundee angefangen.«

      Antonia ließ den Nissan über eine rote Ampel schießen. Autohupen ertönten.

      Ein Magister in Chemieingenieurswesen an der Northeastern University in Boston, und einen Doktortitel in Künstlicher Intelligenz vom MIT. Der Kerl konnte mehr Buchstaben nach seinem Namen aufreihen, als manch andere in ihrem gesamten Namen überhaupt hatten, dachte Bald.

      Antonia unterbrach seine Studien. »Als Shy Laxman die Universität verließ, war er vierundzwanzig und hatte die Reputation als einer der hellsten Köpfe auf seinem Gebiet. Die Firmen überschlugen sich beinahe, um ihn einzustellen.«

      »Und er entschied sich für diese Lance-Elsing-Typen?«

      »Firmen aus dem Verteidigungssektor haben ein Ass im Ärmel. Sie haben Zugang zur allerneuesten Technik, Zeug, von dem