Cave schlug die Beine übereinander. »Was würden Sie sagen, wenn ich Ihnen verrate, dass es sich bei dem Auftraggeber um einen Unternehmer handelt, der im innovativsten Bereich der Rüstungsindustrie tätig ist?«
»Ich würde sagen, das ist verdammt interessant. Und weiter?«
Sie hatten New Cross hinter sich gelassen und fuhren nun auf der A20 den Lewisham Way hinunter. Bald fragte: »Wo verdammt noch mal bringen Sie mich hin?«
Cave starrte stur geradeaus und tat so, als hätte er ihn nicht gehört. »Die Firma heißt Lance-Elsing. Sie bewegen sich unter dem Radar und entwickeln jene Art von neuen Technologien, bei denen es Ihr kleines betrunkenes Hirn sprengen würde.«
»Und wenn die beschissene Orangenkekse herstellen würden, es kümmert mich nicht«, sagte Bald. »Ich werde es nicht machen.«
Cave starrte ihn finster an.
»Sie vergessen, mit wem Sie hier reden, John-Boy. Sie tun genau das, was ich Ihnen sage. Wenn ich Ihnen sage, dass Sie in die Hände klatschen sollen, dann klatschen Sie gefälligst. Wenn ich Ihnen sage, Sie sollen springen, dann stürzen Sie sich von der nächsten Klippe.« Er wendete sich wieder ab. »Und wenn Sie den Job nicht machen, werden Millionen Menschen leiden.«
»Wie meinen Sie das?«
Cave sah ihn wieder an.
»Wenn der Schläfer mit seiner Mission Erfolg hat, verwandeln sie die westliche Welt in drei Tagen zu Staub.«
Kapitel 8
23:59 Uhr
Cave kramte seinen Blackberry Torch hervor und begann, E-Mails zu tippen und Untergebene am Telefon herumzukommandieren. Bald sah, wie die Lichter Londons am Horizont verblassten, als der Fahrer auf die M20 abbog. Die Landschaft war zu einem Becken aus dichten Schatten geworden, so als wäre schwarzer Schnee vom Himmel gefallen, der die Felder und Bäume bedeckte. Sie fuhren am Ashford International Airport vorbei, der Lexus zeigte die Achtzig an, und Bald fürchtete, dass die Dinge nicht besonders gut für ihn ausgehen würden.
»In den letzten drei Monaten standen wir in engem Kontakt zum CIA«, sagte Cave, nachdem er ein Telefonat beendet hatte. »Für gewöhnlich würde die Agency nicht mal ihr Pausenbrot mit uns teilen, geschweige denn Einsatzinformationen. Aber in diesem Fall blieb ihnen keine andere Wahl. Sie wissen, dass die Bosse des Schläfers einen Angriff auf England planen.«
»Für wen arbeitet der Schläfer?«, fragte Bald.
»Raten Sie doch mal.«
»Die Taliban? Al-Qaida?«
Cave schnitt eine Grimasse, als hätte er soeben ein Glas Pisse getrunken. »Wachen Sie auf, John. Die Taliban haben sich in Afghanistan festgefressen. Und was die al-Qaida angeht – diese Witzfiguren sind schon länger irrelevant, als es das Weiße Haus zugeben mag. Wir sprechen hier von einer Schläferzelle, die seit vielen Jahren aufgebaut wird. Wahrscheinlich seit sie die Universität besuchten. Ein derartiger Grad an Planung und Weitsicht ist den von Ihnen genannten Gruppen völlig fremd.«
»Wer dann?«
»Sie nennen sich selbst Lashkar-e-Taiba. Das sind die sadistischen Bastarde, auf deren Konto der Terrorangriff von Mumbai geht.«
Ein paar Meilen südlich von Ashford bog der Fahrer von der M20 auf die Bad Munstereifel-Road ab. Cave fuhr fort: »Bin Laden umzubringen, hat nichts gebracht. Da hatte al-Qaida schon längst seine Zugkraft verloren. Das ist uns allen natürlich klar. Wir können es nur nicht öffentlich zugeben. Der wichtige Punkt an Bin Ladens Tod aber war, dass er sich in Pakistan verkrochen hatte, direkt vor der Tür einer der größten Militärbasen in diesem elenden Land. Aus Pakistan wird die nächste Generation von Terrororganisationen kommen, und Lashkar-e-Taiba kleckern nicht, sondern klotzen. Sie verfügen über die finanziellen Mittel, und sie schrecken nicht davor zurück, zu töten. Und da Bin Laden nun aus dem Weg geräumt wurde, halten sie ihren großen Moment für gekommen.«
»Freut mich für die Jungs«, sagte Bald und rieb sich die Schläfen.
Cave runzelte die Stirn. »Sie klingen nicht sonderlich besorgt, was diese ganze Sache angeht.«
Bald schloss die Augen. Er konnte spüren, wie der Druck zunahm. Das unsichtbare Band um seinen Kopf zog sich fester zu. Er sah auf seine Handflächen hinunter. Nicht das noch, nicht jetzt, dachte er bei sich. »Die Arschgeigen bei der Agency sind schon große Jungs«, sagte er. »Ich bin sicher, dass die sich allein um einen Schläfer kümmern können.«
»Das ist aber genau der Punkt.« Gereizt rutschte Cave in seinem Sitz herum. »Sie können es nicht. Das wissen Sie genau, verdammt noch mal. Sie haben die Rekrutierung für diesen Job geleitet.«
Bald schwieg.
»Ich habe gesehen, wie Sie sich in diesen Bewerbungsgesprächen verhalten haben, und davon abgesehen sind Sie natürlich der verdammt beste Kämpfer, den wir haben, John-Boy. Und ich sage Ihnen, wie das laufen wird. Sie werden nach Amerika gehen und den Schläfer umlegen. Wir fliegen Sie rein und versorgen Sie mit allem, was Sie brauchen. Aber …«
Cave ließ den Halbsatz unvollendet in der Luft hängen, während er sich wieder seinem Torch zuwandte. Ein eingehender Anruf blinkte auf dem Display. Cave lächelte Bald müde an. »Sie wissen, wie das läuft. Wenn wir das Ding vor die Wand fahren, werden wir jegliche Kenntnisse über diese Operation abstreiten. Das Gleiche gilt für die Agency.«
Nichts Neues, dachte Bald. Die Standardvorgehensweise der Firma war im Prinzip eine Aneinanderreihung der vielen verschiedenen hinterhältigen und originellen Arten, mit denen sie einem den Arsch aufreißen konnten. Bald rieb sich die Augen, aber das Flirren wollte nicht verschwinden. Sein iPhone trillerte in seiner Jeanstasche. Er kramte es hervor. Lena rief an. Er tippte auf die ›Ablehnen‹-Taste. Ich sollte nicht hier sein, dachte er. Ich sollte in einem Hotel sein und den heißesten russischen Arsch bumsen, den die Welt je gesehen hat. Seine Gedanken spulten die ganze Scheiße ab, die ihm seit Serbien passiert waren. Die Frauen. Der Job. Das verdammte Geld. Das Riesenhaus in Guildford. Lena. Cave musste nicht ganz dicht sein, wenn er tatsächlich glaubte, dass er es riskieren würde, wieder in den aktiven Dienst zu treten.
Und er dachte an seine Migräne. Den Job anzunehmen wäre nicht einfach nur ein Risiko. Es wäre ein verfluchtes Desaster. Deshalb hatte er sich von vornherein nicht selbst für den Auftrag interessiert. Er dachte daran, Cave an seinen Gedanken teilhaben zu lassen, aber der Mann vom MI6 war damit beschäftigt, in sein Torch zu quasseln.
»Ja … Nein … Ja. Natürlich.«
Sie näherten sich schnell der Küste von Kent. Der Landstrich war flacher geworden. Cave beendete sein Telefonat.
Bald war nicht darauf vorbereitet, sich das länger anzutun. Er wollte aussteigen. Er klopfte gegen die Kopfstütze des Fahrers und sagte: »Halten Sie den Wagen an.«
Cave schnaubte, halb amüsiert, halb genervt. »Wollen Sie gar nicht hören, was ich Ihnen anzubieten habe?«
»Stecken Sie es sich sonst wohin. Ich habe einen guten Job. Ein verdammt gutes Leben. Ich brauche diesen Mist nicht. Suchen Sie sich einen anderen Dummen dafür.«
Das war's. Bald ließ sich in seinen Sitz sinken und kramte in der Hosentasche seiner Jeans herum. Er zog eine kleine Plastikdose hervor, schraubte den Deckel ab und kippte sich drei Tabletten in den Mund.
»Ah, jetzt sind wir wohl bei den kleinen bunten Pillen gelandet, was, John-Boy?«
»Diese elenden Kopfschmerzen …«
Cave riss Bald die Dose aus der Hand und las laut das Wort ›Sarotex‹ vor. Dann warf er sie zurück in seinen Schoss. »Um Himmels willen. Sind Sie jetzt auf Antidepressiva?«
»Die sind gegen meine Kopfschmerzen«, sagte Bald.
»Das Zeug verschreiben sie den Jungs, die mit PTSD aus Afghanistan zurückkommen.«