Wilderer und Jäger Staffel 1. Anne Altenried. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Anne Altenried
Издательство: Bookwire
Серия: Wilderer und Jäger Staffel
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783740934996
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später hatte er das »Federerbräu« erreicht und schlich zur Hinterseite.

      Ärgerlich blinzelte er zum Nachtgestirn hinauf. Dieses verströmte ungehindert sein Licht. Warum gab es jetzt ausgerechnet keine Wolke, die sich davorschob und um sein Vorhaben den schützenden Mantel der Dunkelheit hüllte? Doch Ludl war nicht der Mann, der sich aus irgendwelchen Gründen von dem abhalten ließ, was er sich vorgenommen hatte. Erhöhtes Risiko erhöhte den Spaß.

      Nur noch die ebenerdigen Fenster der Gaststube waren erhellt. An der Hauswand der Rückfront rankte sich Spalierobst hoch, das an einem Lattengestell befestigt war. Diese Latten waren besser als jede Leiter, dachte Ludl schmunzelnd, während er hinauf zum Obergeschoss kletterte. Doch es reichte nicht bis hinüber zum zweiten Fenster, hinter dem ein knuspriges Geschöpf auf ihn wartete. Sicher mit heftig klopfendem Herzen. Ludl griff nach dem Blechbrett des ersten Fensters. Er hing daran und schwang hin und her. Sein Arm schnellte hinüber, und er bekam das Sims des zweiten Fensters zu fassen. Die zweite Hand folgte hinterher. Erleichtert stieß er die Luft zwischen den Zähnen hindurch.

      »Manchmal fliegt einem die Lieb net zu wie’s Vogerl«, brummte er leise, »sondern man muss sie sich mit Müh und Plag verdienen. Aber für das Tiedemanndirndl kann man schon eine kleine Strapaze in Kauf nehmen. Sie ist ein herziges Binkerl.«

      Wieder gab er sich einen Schwung und legte ein Bein auf das Sims. Behutsam klopfte er an das Glas und drückte gegen die Scheibe. Triumphierend merkte er, dass sich der Fensterflügel bewegen ließ. Gleich darauf stand er in der vom schwachen Mondlicht beschienenen Kammer einer Mädchengestalt gegenüber, die bis zu den Knöcheln in ein weißes Nachthemd gehüllt war. Darunter zeichneten sich deutlich die ausgeprägten Formen ab.

      »Süßes Käferl«, flüsterte er und zog sie in seine Arme. Er spürte, dass sie zitterte. »Warum so aufgeregt? Wir mögen uns doch? Oder?«

      Die Zwanzigjährige nickte und zitterte noch stärker. »Das schon, aber ich hätte nicht nachgeben dürfen, Herr Neudecker.«

      »Ludl heiß ich«, raunte er ihr ins Ohr. Dann küsste er sie heiß und verzehrend. Zuerst fühlte er schwaches Widerstreben, das jedoch bald erlahmte. Sie erwiderte den Druck seiner Lippen und presste sich an ihn. Aber als er sie losließ, wich sie einen Schritt zurück.

      »Jetzt ist’s genug«, stammelte sie atemlos. »Sie müssen gehen. Bitte, bitte!«

      »Aber, Kindl«, lachte er. »Das war doch erst die Vorspeis. Damit gibt sich ein Hungriger net zufrieden.« Er lud sie auf seine Arme und trug die Strampelnde zum Bett. Dort ließ er sie auf das blütenweiße Linnen sinken. Die Mollige wollte sich aufrichten. Ludl drückte sie sanft auf die Kissen zurück.

      »Es darf nicht sein, Ludl.«

      »Wer an der Lieb keinen Gefallen findet, ist entweder aus Holz oder blitzdumm«, flüsterte er. »Dass du net aus Holz bist, hab ich schon gemerkt. Und dumm bist du auch net.«

      Seine Lippen glitten über das Mädchengesicht und seine Hände über die schwellenden Brüste. Mathilde schloss die Augen und seufzte auf. Sie hatte gegen diese Liebkosungen nichts einzuwenden. Mit Siegerlächeln legte sich Ludl neben sie.

      Eine Stunde später lagen die beiden jungen Menschen immer noch Seite an Seite. Ludl lauschte auf die ruhigen, tiefen Atemzüge des Mädchens. Mathilde war eingeschlafen. Zufrieden kroch Ludl aus dem Bett. Gern hätte er sich noch länger im Kammerl des reizvollen Geschöpfs aufgehalten. Doch es gab etwas, das stärker war als das Verlangen nach weiteren Zärtlichkeiten.

      Er schlüpfte in die Joppe, drückte sich den Hut auf die braunen Haare und öffnete geräuschlos das Fenster. Er beugte sich hinaus und schaute prüfend nach allen Seiten. Der Hinterhof lag still da. Kein neugieriger Beobachter war zu erblicken. In geübter Manier schwang er sich hinaus, erreichte das Lattengestell und stieg nach unten. Zwei Meter befand er sich noch über dem Boden, da brach unter seinem Gewicht eine Latte. Ludl landete mit dem Hinterteil hart auf dem Pflaster. Fluchend und schimpfend erhob er sich und rieb sich die schmerzende Kehrseite. Dann lachte er. Die Liebe war es wert, ein wenig dafür zu leiden.

      Bald lag das Dorf hinter ihm. Das vom matten Mondlicht beschienene Stieglerhorn rückte immer näher. Gleichzeitig wuchs das Jagdfieber des Bergführers. Er beschleunigte seine Schritte. Schließlich lief er. Sein Tempo verlangsamte sich auch nicht, als der Feldweg anzusteigen begann. Doch bevor er am unteren Rand der Bergwaldung anlangte, musste er eine Verschnaufpause einlegen. Er setzte sich auf einen bemoosten Stein am Wegrand und holte tief Atem. Nach längerem Überlegen schob er sich verdrossen den Hut aus der Stirn.

      Ein hirnverbrannter Einfall war es, so zeitig schon aus dem Kammerl der molligen Tiedemanntochter zu verschwinden. Die Nacht war noch lang, und er hätte noch manches Busserl von dem sauberen Dirndl erhaschen können. Für einen guten Schuss wär in einer anderen Nacht auch noch Zeit gewesen.

      »Verflixte Schießleidenschaft!«, knurrte er und war wütend auf sich selber.

      Aber der vom Jäger Ebenhecht so anschaulich beschriebene Sech­zehnender hielt es vielleicht nicht lange auf dem Stieglerhorn aus, und ihm blieb versagt, ein solches Exemplar zu erlegen. Das aber war ein Erlebnis, neben dem jedes Kammerlabenteuer verblassen musste. Nicht zu reden von dem Profit, den ein so kapitaler Bursche brachte. Allein der Kopfschmuck brachte eine schöne Stange Geld.

      »Ich muss ihn erwischen«, murmelte er und sprang auf. Im Bergwald lenkte er die Schritte zu dem dichten Farnkraut, in dem er sein Gewehr versteckt hatte. Gleich darauf zog er die Schutzhülle aus Wachstuch von der Waffe, drückte ein paar Patronen ins Schloss und eilte weiter. Am großen Wildwechsel neben der Waldblöße, wo Ebenhecht den Sechzehnendigen gesehen hatte, blieb er stehen und kratzte sich hinterm Ohr.

      Wohin mochte sich der Hirsch gewandt haben?, überlegte er. Wo wuchs das saftigste Gras? Gerade Hirsche waren große Feinschmecker.

      Ludl schlug die Richtung zur oberen Lichtung ein. Vom Tal herauf drangen die verwehten Schläge der Kirchturmuhr an sein Ohr. Mitternacht. Ein paar durchsichtige Wolkenfetzen hatten sich am blauschwarzen Himmelsgewölbe gebildet und schoben sich zeitweise vor die Mondsichel.

      Als die Lichtung auftauchte, blieb Ludl hinter einer dickstämmigen Kiefer stehen. Er setzte sich auf eine mächtige Wurzel, klemmte das Gewehr zwischen die Knie und wartete. Es schlug ein Uhr. Es schlug zwei Uhr.

      Ludl feixte.

      »Ich bin schon ein dalkertes Mannsbild«, schalt er sich. »Jetzt hock ich da und wart auf einen Großgeweihigen, der vielleicht schon längst drüben auf dem Kleebuckel grast. Na ja, die Hirnvernagelten sterben net aus.«

      Gleich darauf zuckte er zusammen. Eine schmale Rehgeiß trat auf die Lichtung. Es juckte ihn in den Fingern, das Gewehr zu packen und den Kolben an die Wange zu drücken. Eigensinnig schüttelte er den Kopf.

      »Den Hirsch oder gar nix.«

      Die Geiß hielt sich unbehelligt eine Viertelstunde auf der monderleuchteten Lichtung auf, dann trollte sie sich wieder. Ludl kramte in seinen Joppentaschen, um ein Stück Kautabak zu finden. Die Taschen waren aber leer.

      Als die Kirchturmuhr im Tal die dritte Morgenstunde anzeigte, drehte er die Enden seines buschigen Schnurrbarts auf und murmelte: »Jetzt langt’s. Die halbe Nacht hab ich mir schon sinnlos um die Ohren geschlagen. Ein paar Stünderl will ich wenigstens noch schlafen.«

      Sekunden später erstarrte er. Auf die Lichtung trat ein massiger Vierbeiner. Dieser warf den stolzen Kopf hoch. Atemlos zählte Ludl sechzehn Enden an dem prachtvollen Geweih. Der Hirsch trat einen Schritt vor und richtete die Nase in den schwachen Wind. Ludl hatte Glück. Der Wind stand für ihn günstig. Beruhigt begann der König des Bergwalds das frische Grün der Lichtung abzuweiden.

      Ludls Erstarrung wich. Doch seine Hände zitterten, als er das Jagdgewehr zwischen den Knien hervorzog. Unendlich langsam hob er die Waffe und drückte sie fest an die Schulter. Er zielte. Das Zittern hatte noch nicht nachgelassen. Die Erregung war zu groß. Schweißtropfen bildeten sich auf seiner Stirn. Tief sog er die kühle Nachtluft in die Lungen. Wieder drückte er den Kolben an die Schulter.

      Der Sechzehnender hielt kurz