Inhalt
Die Liebe weist den rechten Weg
Weil wir füreinander bestimmt sind
Des seltsame Schützling des Jägers
Es war eine Vollmondnacht. Die bleiche Scheibe des Nachtgestirns verströmte ihr sanftes Licht über die felsigen Höhen und grünenden Tiefen der Berglandschaft.
Hinter den Fenstern der Häuser von Farngries gingen die letzten Lampen aus. Die Dörfler hatten sich zur wohlverdienten Ruhe gelegt.
Im zerklüfteten Fels des Stieglerhorns duckten sich zwei Männer in das Dunkel einer kleinen Senke. Einen Steinwurf von ihnen entfernt ragte ein schmaler Waldstreifen auf. In diesem Hölzchen hielt sich ein Rehrudel auf, das zur Nachtzeit gern aus dem Schutz der Fichten heraustrat, um das dürftige Gras am Rand der Waldung abzunagen, behauptete der Neudecker-Ludl. Und er musste es wissen. Vom Frühjahr bis zum späten Herbst verdiente er sich sein Brot als Bergführer und kletterte tagein, tagaus mit den zahlreichen Urlaubern auf den Bergeshöhen herum. Jeden Fußbreit Boden kannte er dort. Das kam ihm für seine gelegentlichen nächtlichen Ausflüge auf das Stieglerhorn und den Kleebuckel zugute. Denn den Ludl hatte auch das Jagdfieber am Wickel. Außerdem nahm der Ludl auch gern die klingende Münze in Empfang, die für ein geschossenes Reh oder eine tote Gemse ausgehandelt werden konnte. Ganz zu schweigen vom Gehörn, das immer einen guten Preis brachte.
Der Bergführer war ein Mann von dreißig Jahren, mittelgroß, muskulös und breitschultrig. Als er den Kopf spähend aus der flachen Senke hob, beschien das Mondlicht ein markantes, tief gebräuntes Gesicht, das ein buschiger Schnurrbart zierte in diesem Gesicht fiel besonders das etwas vorstehende, eckige Kinn auf. Unter dem Hutrand lugten kastanienbraune Haare hervor. In den dunklen Augen loderte die Leidenschaft des Pirschgängers.
Neben ihm richtete sich der Jungbauer Severin Mangold auf. Er hielt die Hand vor den Mund und gähnte ausgiebig. »Drei Stunden liegen wir schon hier und nix rührt sich«, brummte er unwillig. »Mir scheint, diesmal hast du dich verrechnet, Ludl.«
»Ich täusch mich nie«, erklärte der Angesprochene selbstbewusst.
Der Bauernsohn schüttelte den Kopf, sprang hoch und dehnte die Arme.
»Ich glaub’s net. Wir bringen in dieser Nacht keinen guten Schuss mehr an«, prophezeite er. »Die Füß sind mir schon eingeschlafen. Mir langt’s. Ich mach mich an den Abstieg.«
»Papperlapapp. Wir gehen net mit leeren Händen ins Tal hinunter. Leg dich hin, Freund, sonst verscheuchst du das Wild!«
Severin war ein lang aufgeschossener, sehniger Bursche. Nicht ohne Grund verrenkten sich die jungen Dörflerinnen drunten in Farngries die Hälse nach ihm. Aus seinem hübschen, gut geschnittenen Gesicht blitzten hellblaue Augen. Weizenblonde Locken ringelten sich unter dem Hutrand hervor.
Sein Vater bewirtschaftete einen nicht sehr großen Hof, der aber der Familie ein gutes Auskommen sicherte. Doch der Vater war ein Mann, der jeden Cent dreimal umdrehte. Darum klimperten in Severins Taschen zumeist nur wenige Münzen. Das war einer der Gründe, die den blonden Burschen veranlasst hatten, dem Drängen des Ludl nachzugeben und mit auf die verbotene Pirsch zu gehen. Fünfmal war er schon bei diesen nächtlichen Streifzügen dabei gewesen. Es hatte sich gelohnt. Sogar ein gewichtiger Rehbock war ihm vor die Mündung gelaufen. Doch die echte Freude an der Jagd wollte sich bei ihm nicht einstellen. Nach jedem Schuss verspürte er ein flaues Gefühl im Magen. Und wenn er in die gebrochenen Augen des toten Wildes starrte, dann überkam ihn Abscheu vor sich selber. Trotzdem war er dem Ludl auch an diesem Abend wieder auf den Berg gefolgt.
»Hinlegen, du Dalk!«, zischte Ludl. »Ein Rudel kommt.«
Severin lag auf dem felsigen Boden und spähte in die Richtung, die der ausgestreckte Arm des Älteren ihm wies. Ein Rehbock, drei Rehgeißen und ein Kitz standen am Saum des Waldstreifens. Der Bock sicherte misstrauisch nach allen Seiten. Dann trat er beruhigt ein paar Schritte vor und beugte den schönen Kopf hinab zum saftig sprießenden Gras. Die übrigen Tiere taten es ihm gleich und nahmen Nahrung auf.
Ludl schnaufte erregt. Seine Augen glühten. Er drückte den Schaft seines kurzläufigen Gewehrs an die Wange. Der Bock schien die ihm drohende Gefahr gespürt zu haben. Er warf den Kopf hoch, schnellte herum und war mit zwei langen Sätzen im Hölzchen verschwunden. Die Geißen und das Kitz rannten hinter ihm her. Da zerriss ein scharfer Knall die Stille. Eine der Geißen vollführte einen gewaltigen Luftsprung, brach in den Vorderläufen ein und stürzte zu Boden. Nur ein paar Sekunden lang schlug sie um sich, dann blieb sie reglos liegen.
»Blattschuss«, sagte Ludl zufrieden.
»Das war die Mutter von dem Kitz, du närrischer Gimpel«, schrie Severin aufgebracht. »Hast du denn gar kein Gewissen?«
»Damisches Gered«, lautete die gelassene Antwort. »Das Junge gehört zu einer der anderen Geißen.«
»Lüg net! Du hast genau gesehen, dass das Kitz allweil bei dem geschossenen Reh gestanden hat.«
Ludl erhob sich. »Davon hab ich nix bemerkt.« Er zuckte mit den Schultern. »Und wenn schon? Die anderen Geißen kümmern sich um das Junge. Außerdem ist es schon groß genug, um allein durchzukommen.«
Auch Severin stand auf. »Das Kitz ist verloren, und du weißt es. Du bist ein Lump, Ludl.«
Der Beschimpfte ließ ein glucksendes Lachen hören. »Kannst mir drunten im Tal eine Predigt halten, Freund. Aber jetzt komm, wir müssen mit der Geiß verschwinden. Könnt sein, der Ebenhecht macht Nachtdienst. Das wär eine schöne Bescherung, wenn er mich erwischen tät.«
»Wo du doch gern der Schwiegersohn vom Ebenhecht werden möchtest, gelt? Einen feinen Liebhaber hat sich seine Tochter Martha ausgesucht.«
Die beiden Männer waren am Waldrand angelangt und hoben das tote Wild an den Beinen hoch. Es war nicht besonders gewichtig, und Ludl legte es mühelos quer über seine Schultern. Eilig hasteten sie hinüber zum Felssteig und hatten nach einer halben Stunde die Wiesenhänge erreicht, die sich bis zum Fuß des Bergriesen hinzogen.
Etwas außerhalb des Dorfes stand das Haus vom Fuhrmann Hopf. Gleich neben dem Haus war die Stallung für seine Zugpferde und die Wagenremise. Durch sein Fuhrgeschäft kam der Hopf-Emmeran viel herum und kannte viele Leute. Auch ein paar Metzgermeister, die Wildfleisch kauften, ohne zu fragen, woher es stammte.
Zu seinem Haus lenkten die beiden nächtlichen Wanderer auf stillen Nebenwegen ihre Schritte. Ein kurzes Klopfzeichen an der Tür genügte, gleich darauf flammte Licht auf, und der Hausherr stand gähnend auf der Schwelle. Er war es gewohnt, zu jeder Nachtstunde aus dem Schlaf geweckt zu werden. Denn nicht nur Ludl und Severin trugen die gewilderte Beute zu ihm.
»Was habt ihr?«, fragte er und kratzte sich hinterm Ohr. Er trug nur