Das Kleid wurde ausgezogen, auch Schuhe und Strümpfe. Pommerle bemerkte, daß auch die Beine Blaubeerflecke aufwiesen. Da goß es die Wasserschüssel voller Wasser, nahm den Seifenlappen und rieb mit der Seife so lange darauf herum, bis der Lappen steif war. – Damit wurden die Beinchen abgescheuert.
Eben war Pommerle im Begriff, mit dem Seifenlappen ins Gesicht zu fahren, als Frau Bender das Zimmer betrat.
»Sie ist noch nicht sauber,« rief ihr das Kind entgegen, »aber gleich wird es so weit sein!«
»In dem schmutzigen Wasser willst du das Gesicht waschen, mein Kind?«
Pommerle fühlte sich wie ein ertappter Sünder. Das Gesicht kam doch immer zuerst an die Reihe. Frau Bender goß die Waschschüssel aus, füllte sie mit neuem Wasser, und abermals begann Pommerle mit dem kräftig eingeseiften Lappen das Gesicht zu bearbeiten. Es war nicht so einfach, von den Händen die Beerenfarbe abzubekommen, aber Pommerle wußte sich Rat. Unten im Hofe lag viel Sand. Das Kind holte sich eine Handvoll herein und begann die Hände damit zu bearbeiten.
Frau Bender war wieder hinausgegangen; sie wußte nicht recht, ob sie Pommerle strafen sollte. Erst wollte sie hören, was sich im Walde ereignet hatte. Hanna war sonst ein sauberes Mädchen, das seine Sachen in acht nahm.
Währenddessen zog sich Pommerle um und fand, daß es jetzt wieder recht schön aussah. Wenn es nun der Tante die Blaubeeren brachte, würde diese gewiß nicht böse sein.
Mit einem bänglichen Gefühl betrat das Kind das Zimmer und schaute unsicher auf die Tante.
»Nun ist das Pommerle wieder sauber, liebe Tante. – O je, war das schlimm – – die Waldhexe war da und wollte mich verzaubern. So einen großen Giftzahn hat sie gehabt! – Tante, beißen kann sie wohl nicht mit dem einen Zahn?«
»Nun erzähle einmal vernünftig. – Warum hast du dich so schmutzig gemacht, mein Kind?«
Pommerle berichtete alles. All seine ausgestandene Furcht kam nochmals zum Durchbruch, als es seine heutigen Erlebnisse schilderte.
»Und einen Besenstiel hat sie auch gehabt, aber in die Luft ist sie nicht damit geflogen – erst später, als ich weg war. – Mitnehmen wollte sie mich, sicherlich wollte sie mich braten. – Da habe ich gebetet, und dabei bin ich so blau geworden.«
Frau Bender sah ein, daß Pommerle in Aufregung und Angst alle Vorsicht beiseite gelassen hatte. An die Waldhexe glaubte sie natürlich nicht. Jene Alte war gewiß eine Holzsammlerin gewesen, die es gut mit dem Kinde gemeint hatte.
»Du hättest dich nicht zu fürchten brauchen, kleines Pommerle, es war ganz gewiß keine Waldhexe – –«
»Oh, liebe Tante,« das Kind sprang erregt auf, »es war die richtige Waldhexe mit dem Giftzahn. – Richtige Menschen haben keinen solchen Zahn. – So – hat er aus dem Munde herausgesehen, und wenn sie ihr großes Maul weit aufmachte, war es darin schwarz wie in der Hölle.«
»So darfst du nicht reden, kleines Pommerle, es gibt keine Hexen im Walde.«
»Meinst du wirklich?«
»Ich weiß es genau, Pommerle.«
»Tante,« sagte das Kind nachdenklich, »wenn du die Frau gesehen haben würdest, würdest du auch glauben, daß es Hexen gibt. – Es war schrecklich!«
»Und nun bringst du einen ganzen Eimer voll Beeren mit.«
»Ja, Tante.«
»Dann wollen wir sie gleich in eine Schüssel schütten.«
Es kollerten etwa drei Hände voll Beeren heraus, dann aber war in den Eimer ein großes, schmutziges Taschentuch gestopft.
»Pfui!« rief Frau Bender entrüstet.
»Jetzt hau' ich ihn durch,« rief Pommerle empört, indem zorniges Rot in das Kindergesicht stieg. »Das war der Herbert! Jetzt kriegt er Keile!«
»Du bleibst hier, Pommerle!«
Frau Bender hob das Taschentuch mit zwei Fingern empor und legte es zurück in den Eimer.
»Wir werden dem Herbert das Taschentuch zurückschicken, aber schlagen brauchst du ihn deshalb nicht. – Er soll sich schämen, daß er so unehrlich ist.«
»Weißt du, Tante, was ich wünsche? Daß ihn die Waldhexe mit dem Giftzahn anspuckt.«
Schlimme Folgen
»Geben Sie mir die Lütte nur ruhig mit, Frau Professor,« sagte Fischer Jäger, der eben im Begriff war, mit den Netzen hinunter zum Strande zu gehen.
Schon seit Tagen hatte Pommerle sehnsüchtig danach verlangt, wieder einmal in einem Fischerboot hinaus auf die See zu fahren, aber bis jetzt hatte sich noch keine Gelegenheit dazu geboten. Heute war Herr Jäger, bei dem Benders wohnten, zum Professor gekommen, hatte gesagt, daß er hinausfahre, um Netze auszulegen, und Pommerle hatte mit Bitten nicht mehr nachgelassen.
»Mit dem Vater bin ich auch hinausgefahren,« sagte es mit verschleierter Stimme, »liebe, liebe Tante, bitte, laß mich auf die See!«
»Der Lütten geschieht nichts, Frau Professor,« sagte Fischer Jäger, als Frau Bender noch immer zögerte. »Ich bin ja dabei, ich nehme meine kleine Nichte, die Grete Bauer, mit, das ist ein liebes, artiges Ding.«
»Ich weiß,« erwiderte Frau Bender, »und wann bringen Sie mir das Pommerle zurück?«
»In knapp zwei Stunden sind wir wieder hier. Ich lege heute die Netze nicht weit hinaus, es ist ja auch ganz ruhige See, dem Kinde geschieht wirklich nichts.«
Pommerle machte einen Luftsprung, als es die Erlaubnis erhielt.
»Zieh dir rasch dein Strickjäckchen an, Pommerle, denn auf dem Wasser ist es kühl.«
Die Kleine lief ins Zimmer, holte die Jacke, wollte gerade dem Fischer nacheilen, der bereits an seinem Boote stand und es fertig zur Fahrt machte, da blieb sie plötzlich stehen. Nachdenklich ruhten die Augen des Kindes auf dem Wasser, dann lief es hurtig zurück, um wenige Augenblicke später über den Strand zu stürmen, hin zu dem Boote Jägers.
Als der Kahn mit Hilfe eines zweiten Fischers vom Strande ins Wasser geschoben wurde, Pommerle und Grete saßen bereits darin, kam Herbert Affmann am Strande daher und rief mit weithin hallender Stimme:
»Nimm mich mit zum Netzesetzen!«
»Meinetwegen, steig mit ein.«
Pommerle musterte den Knaben mit einem finsteren Blick. Das Kind hatte ihm den Betrug mit den Blaubeeren noch nicht vergessen. Die Tante hatte Herbert ausgescholten; doch der hatte ziemlich dreist dreingeschaut und nichts darauf gesagt.
Pommerle rückte mit Grete zusammen, während sich Herbert ihnen gegenübersetzte.
In dem Kahne lagen die Netze. Wie häufig hatte Pommerle diese Netze schon gesehen. Auch der Vater war oftmals mit seiner kleinen Tochter hinaus aufs Wasser gerudert, er hatte die Netze ausgelegt, daß man nichts weiter von ihnen sah als nur ein winziges Fähnchen, das auf den Wellen tanzte. Das war das Zeichen, daß hier bereits ein Netz versenkt war.
»Ich habe was,« flüsterte Pommerle seiner Freundin zu.
»Schokolade?«
»Nein,« sagte Pommerle noch leiser, »ich habe für den Vater was mitgenommen. Er ist doch hier in der Ostsee ertrunken.«
Es zog unter seinem blauen Strickjäckchen einen vertrockneten kleinen Kranz aus Feldblumen hervor.
»Den habe ich zum Geburtstag bekommen, den hat mir die Tante um die Tasse gelegt. Wenn ich ihn ins Wasser werfe, werden die Blumen wieder frisch und fallen herunter, wo der Vater gewesen ist. Die Blumen schenke ich ihm.«
Dann beugte