»Es ist ganz eigenartig, liebe Frau Bender, daß Sie mit Ihrem Pommerle niemals Ärger haben.«
Die Professorengattin lachte. »Da kennen Sie mein kleines, temperamentvolles Mädelchen schlecht. Gar manches muß ich rügen, besonders jetzt, während des Besuches. Da hat sich mein Pommerle nicht immer von der liebenswürdigsten Seite gezeigt. Wie oft mußte ich schon dazwischentreten, sonst wären die kleinen Finger meines Töchterchens mehrfach an Idas blondem Schopf hängengeblieben. Doch Pommerle hat eben das Gute, daß es stets in ehrlicher Entrüstung aufbraust; da ist es schlecht zu halten.«
Frau Bender hatte nicht zuviel gesagt. Als sie abends von ihrem Kaffeekränzchen heimkam, stand auf Pommerles Gesichtchen wieder die tiefe Falte. Die Blicke, die es auf Ida warf, waren nicht gerade freundlich zu nennen. Aber die Mutter hütete sich, vor allen Kindern zu fragen; sie wußte, daß sich bei Pommerle die Worte überstürzen würden, denn in dem kleinen Kinderherzchen schien es heute zu kochen.
In der Küche wurde Anna, das Hausmädchen, von Frau Bender befragt.
»Ja, ja, gnädige Frau, vorhin ist es recht temperamentvoll hergegangen. Ida hat den Schnapp mit einem Stein werfen wollen, da ist unser Pommerle gekommen und hat das Mädchen hin und her geschüttelt, daß der Ida Hören und Sehen vergangen sind. Ich konnte Pommerle nicht ganz unrecht geben. Gesagt habe ich nichts.«
Frau Bender hielt es für angebracht, am nächsten Morgen ihrem Töchterchen wieder einmal eine kleine Ermahnung zu geben. Der Frieden zwischen den Kindern mußte wiederhergestellt werden.
Zu einer Stunde, in der Frau Bender mit Pommerle allein war, zog sie ihr Kind zärtlich an sich.
»In acht Tagen ist mein kleines Mädchen wieder allein, dann muß unser Besuch zurück nach Breslau.«
»Na, die werden ja auch vergehen. Acht Tage sind nicht gar zu lang.«
»Aber Pommerle! Die kleinen Mädchen sind doch so glücklich, daß sie in der frischen Luft sein können. Ida hat daheim so viel zu tun, sie muß die jüngeren Geschwister besorgen, das Zimmer aufräumen, denn die Mutter hat dazu keine Zeit.«
»Arbeit schadet keinem Menschen.«
»Ich weiß nicht, mein Kind, ob es dir gefallen würde, wenn Anna eines Tages fortginge, und du jeden Tag das Geschirr abwaschen müßtest und, ehe du zur Schule läufst, die Brötchen vom Bäcker holtest. Auch die Schuhe müßte sich mein Kleines dann selbst putzen, die es so gern der Anna zuschiebt.«
»Na, Mutti, wir werden doch unsere gute Anna behalten!«
»Gewiß, ich wollte dir auch nur damit sagen, daß du mit Ida freundlich und lieb sein sollst. Du bist doch ein verständiges Mädchen, du mußt begreifen, daß ein Kind, für das kein Vater sorgt, das eine Mutter hat, die sich kaum um das Haus kümmern kann, das Leben schwarz und dunkel findet. Niemand kann der Ida sagen, was gut, was böse ist. Wenn sie also wirklich einmal etwas Unrechtes tut, muß man sie mit lieben Worten darauf aufmerksam machen, muß ihr aber nicht gleich an den Kragen gehen und sie schütteln.«
»Ich habe ihr viele liebe Worte gesagt, schließlich krieg' ich doch auch mal eine Wut in den Leib. Aber – ich werde halt heute wieder gut mit ihr sein, wenn's mich auch manchmal in der Kehle drückt. Dann möchte ich die Ida anbrüllen, Mutti, dann wünschte ich, daß sie vor Schreck auf den Rücken fällt. – Aber ich werd' halt dran denken, daß sie keine so gute Mutti hat, die ihr immer sagt, was sie machen soll.«
Zwei Tage lang ging es leidlich, obwohl Pommerle manchmal ein recht finsteres Gesicht zeigte. Frau Bender lobte die Kleine.
»Weißt du, Mutti, ich habe heute früh im Bett lange darüber nachgedacht, daß es mit der Ida doch nicht so richtig sein muß. Ich habe früher auch keine Mutti gehabt, aber ich habe nie einen Hund mit 'nem Stein geschmissen.«
»Du hast aber noch einen Vater gehabt, der gut achtgab, daß du ein gutes Mädchen wirst.«
»Die Ida hat doch auch einen Vater gehabt.«
»Ja, Pommerle, der hatte den ganzen Tag fleißig zu arbeiten.«
»Mein Ostseevater hat auch gearbeitet.«
»Dann sei froh, mein Kleines, daß in deinem Herzchen soviel Gutes wohnt. Ich hoffe, daß du dich noch die letzten acht Tage mit Ida und Karoline sehr gut verträgst.«
Pommerle gab sich redliche Mühe und zeigte die größte Selbstüberwindung. Nur dem Jule klagte es mitunter sein Leid. Der sprach freilich mit Begeisterung von Rudolf, der ihm soviel Gänge abnahm und ihm auch in der Werkstatt manchen guten Dienst geleistet hatte.
»Das wird mal ein Meister, sage ich dir, Hanna, vor dem kann sich die ganze Welt verstecken. Der ist noch viel klüger als Meister Reichart.«
An einem der nächsten Vormittage, als Pommerle in die Küche gelaufen kam, um sich ein Glas Wasser zu holen, drohte Anna dem Kinde mit dem Finger. Pommerle machte ein erstauntes Gesicht.
»Was willst du denn?«
»Du wirst schon wissen, was ich meine, Pommerle. Schön ist es nicht, daß du das Verbot der Mutti mißachtest.«
Pommerle kniff die Augen zusammen. »Ich – weiß nicht recht, was du meinst, Anna. – Es kann schon sein, daß es nicht schön ist. – Was hab' ich denn verbockt?«
»Hat dir die Mutti nicht verboten, von dem Pfirsichbaum zu essen.«
»Das hat sie.«
»Wenn wir heute die Früchte abnehmen, wird die Mutti merken, daß viele fehlen. Sie wird recht traurig sein, daß du heimlich die Pfirsiche genommen hast.«
»Na, das ist doch doll!« brauste das Kind auf. »Die Mutti hat gesagt, Pfirsiche sollen wir nicht essen, da habe ich auch keine gegessen.«
»Aber Pommerle!«
»Ich hab' keine gegessen!«
»Überlege es dir nochmals recht genau. Als du gestern abend schlafen gegangen bist, hast du fünf Stück gegessen.«
»Du sollst auch nicht lügen, Anna, – ich habe keine Pfirsiche gegessen.«
Anna stutzte. Die Entrüstung des Kindes war zu ehrlich, als daß sie sie für Verstellung ansehen durfte. Doch wie kamen die Kerne unter Pommerles Bett? Beim Aufräumen heute früh hatte Anna die Kerne gefunden. Konnte es möglich sein, daß die verschlagene Ida die Reste in Pommerles Zimmer geworfen hatte?
»Ist Ida oder Karoline gestern noch bei dir gewesen?«
»Nein, Ida ist schnell noch mal in den Garten gelaufen, sie sagte, sie wolle noch eine Nase voll frischer Luft mit ins Bett nehmen.«
»Wie kommen dann die Pfirsichkerne in dein Zimmer? Ich habe sie heute früh gefunden!«
Einen Augenblick überlegte das Kind, dann knallte die kleine Faust auf den Küchentisch nieder.
»Die Ida hat schon mal Pfirsiche geklaut, dann ist sie hingefallen. Anna, die Ida ist ein Dieb!«
Just in diesem Augenblick betrat Ida die Küche.
»Du hast Pfirsiche gegessen«, schrie Pommerle heftig ihre Spielgefährtin an, »dann hast du die Kerne zu mir in die Stube geschmissen!«
»Ich hab' keine Pfirsiche gegessen.«
»Doch, du hast Pfirsiche gegessen«, klang ein schüchternes Stimmchen hinter Ida. »Gestern abend, im Bett.«
Es war Karoline, die schon gestern abend der Schwester Vorwürfe über die Unfolgsamkeit gemacht hatte.
Schließlich erschien Frau Bender.
»Ich komme soeben aus dem Garten; mit Betrübnis stelle ich fest, daß sehr viele Pfirsiche genommen wurden. Anscheinend wurden sie mit einer Stange abgeschlagen, denn es liegen noch zahlreiche Früchte unter dem Baum. – Wer von euch hat genascht?«
Es blieb mäuschenstill. Pommerle wandte sich mit einem Ruck Ida zu.
»Na,