Die Kinder hatten aufmerksam gelauscht. Pommerles Augen leuchteten. »Natürlich, lieber, lieber Harfenkarle, das verstehe ich gut. Ja, die Ida hat ein goldenes Herz gekriegt, nun soll sie auch den Rübezahlstein behalten. Wenn du ihn anguckst, Ida, dann denkst du immer daran, daß man mit einem steinernen Herzen nicht herumlaufen darf.«
Ida legte die Hände über die Augen. Tränen rollten ihr über die Bäckchen.
»Ja, in mir ist es in letzter Zeit so hell und auch so froh geworden, alles ist jetzt so anders als früher. Und nun fahre ich auch froh wieder zurück nach Breslau. Ich werde dort lachen, spielen und singen, und die Mutter darf auch nicht mehr traurig sein. Macht das alles das Gold, das ich jetzt in mir habe?«
»Ja, mein kleines Mädchen«, sagte der Harfenkarle gerührt, »von innen heraus kommt alles Gute und Schöne, was die Erde uns schenkt. Man sieht dann alles mit froheren Augen an. Schaut nur immer hoffnungsvoll in die Zukunft, bleibt gute und brave Kinder, wachst heran zu prächtigen Jungfrauen, auf die wir stolz sein dürfen. Ich werde es nicht erleben, daß ein jeder sein Gold im Innern fühlt. Aber das Hoffen habe ich bis in meine alten Tage nicht verlernt. Das ist mein Gold, das ich mir im Herzen gespart habe. Ich habe große Zeiten mit angesehen, bin als junger Bursche hinausgezogen in den Krieg und habe ein freies, starkes Vaterland gehabt. Das sind Erinnerungen, die mir niemand nehmen kann, davon singe ich so gern. Aber auch ihr, die ihr nicht in solch einer glücklichen Zeit heranwachsen dürft, ihr könnt trotzdem mit hellen Augen um euch sehen, denn euch wird der Weg auch wieder aufwärts führen.«
»Harfenkarle«, sagte Pommerle bittend, »sing uns eins, singe etwas recht Schönes, das die Ida mitnehmen kann nach Breslau, damit sie auch ihren kleinen Geschwistern etwas Goldenes bringt.«
»So will ich euch etwas singen, das die Ida auch bald auf ihrer Mandoline spielen kann. Ein Lied, das uns Jungen schon lieb und teuer war, ein Lied, unter dem wir kämpften und siegten, das uns in schweren Tagen erhob. Ein heiliges Lied, ihr Kinder, das ihr in euch ernst verarbeiten müßt. Das Lied stehe über eurem Leben wie ein Leitstern, wie etwas Goldenes, das euch strahlt. Der alte Harfenkarle, der über neunzig Jahre alt ist, gibt es euch mit auf den Weg, und ihr mögt es dermaleinst auch euren Kindern weitergeben.«
Er holte die Harfe aus der Ecke, setzte sich mit andächtiger Miene nieder, und dann griffen die dünnen Finger in die Saiten. Es war ein Lied, das den Kindern nicht neu war, sie hatten es alle schon in der Schule gesungen. Doch heute schienen die Worte eine ganz wundersame Bedeutung zu haben. Stumm und andächtig lauschten alle, als der Harfenkarle mit zitternder Stimme sang:
»Ich hab' mich ergeben mit Herz und mit Hand
Dir, Land voll Lieb und Leben, mein deutsches Vaterland.
Mein Herz ist entglommen, dir treu zugewandt,
Du Land der Frei'n und Frommen,
Du herrlich Hermannsland.
Will halten und glauben an Gott fromm und frei,
Will, Vaterland, dir bleiben auf ewig fest und treu.
Laß Kraft mich erwerben in Herz und in Hand,
Zu leben und zu sterben fürs heilge Vaterland.«
Pommerle auf Reisen
Jule hat eine Wut
Aus dem großen Kinderzimmer, das im ersten Stockwerk der Benderschen Villa lag, scholl lautes Pollern und Rumpeln. Das zehnjährige Hannchen, dem rechts und links je ein blonder Zopf über die Schultern hing, räumte das Zimmer um. Der große Tisch, sonst in der Mitte, wurde seitwärts geschoben; darauf stellte das Kind den hochbeinigen Stuhl mit dem blauen Kissen. Vor den Stuhl kam der Handtuchhalter. Er fiel zwar erst mehrmals herunter, aber endlich war der merkwürdige Aufbau vollendet. Die blondzöpfige Hanna, seit vielen Jahren nur »Pommerle« genannt, betrachtete mit den blauen Augen prüfend das Werk ihrer Hände. Nun wurden die vielen Puppen, die Pommerle besaß, herbeigeholt, behutsam auf Stühle gesetzt oder an die Wand gestellt; jeder einzelnen drohte das kleine Mädchen mit dem Finger.
»Daß du keinen Radau machst, Berberitze! Du mußt ganz still sein! Und du, Hornblende, hast immer einen großen Mund. Jetzt schweigst du – gleich geht es los. – Schau nur, wie artig der Baldrian dort sitzt. Oh – der Granit ist umgefallen, er schläft schon wieder! – Wach auf, Granit!«
Pommerle eilte zu dem umgefallenen Puppenkind, einem blondlockigen Knaben in Gebirgstracht, dessen Schlafaugen geschlossen waren.
»Schäme dich, Granit, gleich sollst du eine gelehrte Rede hören und gut aufpassen; schlafen kannst du in der Nacht. – Nicht wahr, liebe Fenchel?«
Nochmals schritt Pommerle prüfend die elfköpfige Puppenreihe entlang und nickte zufrieden. Die großen und kleinen Puppenkinder schienen erwartungsvoll auf den Tisch zu starren, auf den Stuhl, auf den davorgestellten Handtuchhalter.
»Oh –«, rief Pommerle und schlug mit der flachen Hand gegen die Stirn, »der Lora wird es nichts schaden, wenn sie den gelehrten Vortrag hört, und der Schnapp muß auch dabei sein.«
Aus dem Wohnzimmer wurde der Käfig mit dem Papagei geholt.
»Rück mal ein Stückchen, Hornblende, hier kommt die Lora her. – Na, Lavendel, du könntest doch von selbst Platz machen. – So, ist nun alles in Ordnung?«
»Schafskopf«, rief der Papagei und plusterte das bunte Gefieder auf. Es schien ihm nicht zu gefallen, daß er seinen Sonnenplatz am Fenster des Wohnzimmers verlassen mußte und hier auf den Fußboden neben die leblosen Puppenkinder gestellt worden war.
»Du –«, sagte Pommerle vorwurfsvoll, »man soll nicht stören, wenn andere reden. Und dein häßliches Wort brauchst du überhaupt nicht zu sagen. – So, nun hole ich den Schnapp!«
Anna, das langjährige Mädchen Benders, wusch in der Küche das Geschirr ab. Schnapp saß daneben und wartete darauf, daß