»Ganz gewiß nicht, Miß Halcombe. Ich mache den Vorschlag rein als einen Act der Aufmerksamkeit gegen Sie. Wollen Sie meine Hartnäckigkeit entschuldigen, wenn ich noch einmal darauf zu dringen wage?«
Er ging an den Schreibtisch, während er sprach, rückte einen Stuhl heran und öffnete die Schreibmappe.
»Ich bitte Sie sehr, den Brief zu schreiben,« sagte er, »erzeigen Sie mir diese Gunst. Es braucht Sie nur wenige Minuten zu beschäftigen; Sie haben Mrs. Catherick nur zwei Fragen vorzulegen, einmal, ob ihre Tochter mit ihrer Kenntniß und Bewilligung in die Anstalt gebracht wurde, und zweitens, ob der Antheil, den ich an der Sache hatte, derart war, daß er den Ausdruck der Dankbarkeit von ihrer Seite verdient hätte. Mr. Gilmore ist über diese unangenehme Angelegenheit beruhigt; Sie sind beruhigt – bitte, beruhigen Sie nun auch mich, indem Sie den Brief schreiben.«
»Sie nöthigen mich, Ihrem Wunsche zu willfahren, Sir Percival, während ich Ihnen denselben doch weit lieber versagen möchte.« Mit diesen Worten verließ Miß Halcombe ihren Platz und ging an den Schreibtisch. Sir Percival dankte ihr, reichte ihr eine Feder und trat dann an den Kamin. Miß Fairlie’s kleines Windspiel lag auf dem Kaminteppich. Er hielt ihm die Hand hin und rief den Hund gutmüthig zu sich.
»Komm, Nina,« sagte er, »wir kennen einander, wie?«
Das kleine Thier, das, wie die meisten Schoßhunde, feige und mürrisch war, sah scharf zu ihm hinauf, zog sich vor seiner ausgestreckten Hand zurück, winselte, zitterte und kroch unter das Sopha. Es war kaum möglich, daß ihn eine solche Kleinigkeit hätte verdrießen sollen – aber ich bemerkte dennoch, daß er sich sehr plötzlich zum Fenster wandte.
Miß Halcombe brauchte nicht viel Zeit zu ihrem Briefe. Als sie ihn beendet, stand sie vom Schreibtische auf und reichte Sir Percival das offene Blatt Papier. Er verbeugte sich, nahm dasselbe, legte es zusammen, ohne den Inhalt anzusehen, versiegelte es, schrieb die Adresse und gab es ihr dann schweigend zurück. Das Ganze geschah mit einer Anmuth und Würde, wie ich sie in meinem Leben nicht einnehmender gesehen.
»Sie bestehen darauf, daß ich diesen Brief auf die Post gebe, Sir Percival?« sagte Miß Halcombe.
»Ich bitte darum,« entgegnete er. »Und jetzt, da er geschrieben und versiegelt ist, gestatten Sie mir ein paar letzte Fragen über das unglückliche Frauenzimmer, das er betrifft. Ich habe die Mittheilung gelesen, welche Mr. Gilmore die Güte hatte, meinem Advocaten zu machen und welche die Umstände beschrieben, unter welchen die Verfasserin des anonymen Briefes indentificirt wurde. Doch sind da gewisse Punkte, welche in der Mittheilung nicht berührt werden. Hat Anna Catherick Miß Fairlie gesehen?«
»Gewiß nicht,« entgegnete Miß Halcombe.
»Hat sie Sie gesehen?«
»Nein!«
»Dann also sah sie Niemanden aus dem Hause außer einem gewissen Mr. Hartright, der ihr zufällig auf dem Gottesacker begegnete?«
»Weiter Niemand.«
»Mr. Hartright war in Limmeridge als Zeichenlehrer beschäftigt, wie ich glaube? Ist er ein Mitglied eines der Aquarellistenvereine?«
»Ich glaube, ja,« entgegnete Miß Halcombe. Er hielt einen Augenblick inne, wie wenn er ihre letzte Antwort erwäge, und fügte dann hinzu:
»Erfuhren Sie, wo Anna Catherick während ihres Aufenthaltes in dieser Nachbarschaft wohnte?«
»Ja. Auf einem Gehöfte in der Haide, Todd’s Ecke genannt.«
»Wir sind es Alle diesem armen Geschöpfe schuldig, ihr nachzuforschen,« fuhr Sir Percival fort. »Sie hat vielleicht in Todd’s Ecke etwas gesagt, das uns helfen mag, sie wiederzufinden. Auf die Möglichkeit hin will ich hingehen und Nachfragen anstellen. Unterdessen, da ich es nicht über mich vermag, über diesen peinlichen Gegenstand mit Miß Fairlie zu sprechen, möchte ich Sie bitten, Miß Halcombe, ihr den nöthigen Aufschluß darüber zu geben, natürlich aber erst, wenn Sie Antwort auf jenen Brief erhalten haben werden.«
Miß Halcombe versprach ihm, seinen Wunsch zu erfüllen. Er dankte ihr, nickte uns freundlich zu und verließ uns, um von seinem Zimmer Besitz zu nehmen. Als er die Thür öffnete, steckte das mürrische Windspiel seine spitze Schnauze unter dem Sopha hervor und knurrte und bellte ihm nach.
»Eine gute Morgenarbeit, Miß Halcombe,« sagte ich, sobald wir allein waren. »Ein sorgenvoller Tag hat bereits gut geendet.«
»Ja,« erwiderte sie, »ohne Zweifel. Ich bin sehr froh, daß Sie befriedigt sind.«
»Ich! Nun, mit jenem Briefe in der Hand sind Sie es gewiß doch auch?«
»O, ja – wie könnte es anders sein? Ich weiß, es konnte nicht sein,« fuhr sie mehr zu sich selbst als zu mir sprechend fort; »aber ich wollte, Walter Hartright wäre lange genug hier geblieben, um bei der Erklärung gegenwärtig zu sein und den Vorschlag zu hören, auf den hin ich diesen Brief schrieb.«
Ich war ein wenig verdrossen, vielleicht gar gereizt über diese letzten Worte.
»Die Begebenheiten brachten allerdings Mr. Hartright auf sehr bemerkenswerthe Weise mit der Geschichte des Briefes in Verbindung,« sagte ich, »und ich gebe bereitwillig zu, daß, Alles wohl bedacht, er sich mit vielem Zartgefühl und großer Discretion benommen. Aber ich begreife durchaus nicht, inwiefern seine Gegenwart einen nützlichen Einfluß in Bezug auf den Eindruck ausgeübt hätte, den Sir Percivals Erklärung auf Sie und mich gemacht.«
»Es war nur eine Idee,« sagte sie zerstreut. »Es ist unnöthig, noch weiter darüber zu sprechen, Mr. Gilmore. Ihre Erfahrung ist der beste Führer, den ich mir wünschen könnte.
Es gefiel mir nicht besonders, daß sie so entschieden die ganze Verantwortung auf mich lud; die entschlossene, klarsehende Miß Halcombe war die letzte Person, von welcher ich erwartet hätte, daß sie den Ausdruck ihrer eigenen Meinung umgehen würde.
»Falls Sie noch irgendwie durch Zweifel beunruhigt sind,« sagte ich, »warum theilen Sie mir solche nicht sogleich mit? Sagen Sie nur aufrichtig, haben Sie irgend welche Gründe, Sir Percival zu mißtrauen?«
»Durchaus gar keine.«
»Sehen Sie irgend etwas Unwahrscheinliches oder Widersprechendes in seiner Erklärung?«
»Wie kann ich das nach dem Beweise, den er mir von der Wahrheit gegeben? Gibt es ein Zeugniß, das mehr zu seinen Gunsten sprechen könnte, als das Zeugniß der Mutter des Mädchens, Mr. Gilmore?«
»Es gibt kein besseres. Falls die Antwort auf ihre Nachfrage befriedigend ausfällt, so sehe ich meinestheils nicht, was ein Freund Sir Percivals noch ferner von ihm verlangen kann.«
»Dann wollen wir den Brief abschicken,« sagte sie, indem sie aufstand, um das Zimmer zu verlassen, »und die Sache ruhen lassen, bis die Antwort kommt.«
Sie verließ mich schnell. Ich hatte sie seit ihrer frühesten Kindheit gekannt, und als sie heranwuchs, hatte ich sie von mehr als einer schweren Familienkrisis geprüft gesehen, und meine lange Erfahrung ließ mich ihrer Zögerung unter den hier erzählten Umständen eine Wichtigkeit beilegen, welche ich sicherlich nicht gefühlt hätte, wäre sie irgend ein anderes Weib gewesen. In meiner Jugend hätte mich die Aufregung meines unklaren Gemütszustandes geärgert und ungeduldig gemacht. In meinem Alter war ich klüger und ging hinaus, um ihn mir durch einen Spaziergang zu vertreiben.
II
Bei Tische trafen wir Alle wieder zusammen.
Sir Percival war bei so lauter, munterer Laune, daß ich ihn kaum als denselben Mann wieder erkannte, dessen ruhiger Takt, feine Bildung und klarer Verstand in der Unterredung am Morgen einen so günstigen Eindruck auf mich gemacht. Die einzige Spur seines früheren Selbst, die ich bemerken konnte, erschien hin und wieder in seiner Art und Weise gegen Miß Fairlie. Ein Blick oder ein Wort von ihr unterbrach seine heiterste Rede und genügte, daß er sofort seine ganze Aufmerksamkeit ihr zuwandte. Obgleich er sie nie offenbar in die Unterhaltung zu ziehen suchte, so ließ er doch auch nicht