Am folgenden Morgen, Dienstag, ging Sir Percival in Begleitung eines der Diener als Führer nach Todd’s Ecke. Seine Nachfragen, wie ich später erfuhr, blieben ohne Erfolg. Nach seiner Rückkehr hatte er eine Unterredung mit Mr. Fairlie, und Nachmittags ritt er mit Miß Halcombe aus. Nichts ereignete sich weiter, das des Erwähnens werth wäre. Der Abend verging wie gewöhnlich.
Die Post am Mittwoch brachte die Antwort von Mrs. Catherick. Ich nahm eine Abschrift von dem Documente, die ich hier anführen will. Es enthielt Folgendes:
»Madame!
Ich habe die Ehre, Ihnen den Empfang Ihres Briefes anzukündigen, in welchem Sie mich fragen, ob meine Tochter mit meinem Mitwissen und meiner Einwilligung unter ärztliche Aufsicht gestellt und ob Sir Percival Glyde’s Antheil an der Sache derart gewesen, daß er den Ausdruck meiner Dankbarkeit verdiente. Genehmigen Sie auf beide Fragen meine bejahende Antwort und erlauben Sie, daß ich mich zeichne
gehorsamst
Kurz, und bestimmt: der Form nach für eine Frau fast zu sehr ein Geschäftsbrief, dem Inhalte nach die deutlichste Bestätigung der Angabe Sir Percivals. Dies war meine Ansicht und mit gewissen unbedeutenden Vorbehalten auch die von Miß Halcombe. Sir Percival schien über den kurzen, scharfen Ton des Briefes nicht erstaunt, als wir ihm denselben zeigten. Er sagte uns, Mrs. Catherick sei eine scharfsichtige, gerade, phantasielose Person, die ebenso kurz und deutlich schreibe wie sie spreche.
Die nächste Pflicht, die uns oblag, da jetzt die Antwort angelangt, war die, Miß Fairlie mit Sir Percivals Erklärung bekannt zu machen. Miß Halcombe hatte dies übernommen und das Zimmer verlassen, um zu ihrer Schwester zu gehen, als sie plötzlich wieder zurückkehrte und sich neben dem Lehnstuhle niedersetzte, in welchem ich die Zeitung las. Sir Percival war einen Augenblick vorher hinausgegangen, um sich die Pferdeställe anzusehen, und es war niemand als wir Beide im Zimmer.
»Wir haben also wirklich und getreulich Alles gethan, was wir thun konnten?« sagte sie, indem sie Mrs. Catherick’s Brief hin und her wandte.
»Wenn wir Sir Percivals Freunde sind, die ihn kennen und ihm trauen, so haben wir Alles, ja mehr als nothwendig war, gethan,« sagte ich etwas verdrießlich über die Rückkehr ihrer Zögerung. »Sind wir aber Feinde, die ihn beargwöhnen –«
»An eine solche Alternative ist nicht zu denken,« unterbrach sie mich, »wir sind Sir Percivals Freunde, und falls Großmuth noch etwas zu unserer Achtung für ihn hinzufügen konnte, so sollten wir sogar seine Bewunderer sein. Sie wissen, daß er gestern eine Unterredung mit Mr. Fairlie hatte und später mit mir ausritt?«
»Ich sah Sie zusammen fortreiten.«
»Wir unterhielten uns zuerst von Anna Catherick und der seltsamen Art und Weise, in der Mr. Hartright mit ihr zusammentraf. Sir Percival sprach dann in den uneigennützigsten Ausdrücken über sein Verhältniß zu Laura. Er sagte, er habe bemerkt, daß sie niedergeschlagen sei, und falls man ihn nicht von dem Gegentheil unterrichte, so müsse er dieser Ursache die Veränderung in ihrem Benehmen gegen ihn während seines gegenwärtigen Besuches zuschreiben. Falls jedoch dieser Veränderung eine ernstere Ursache zu Grunde liege, so beschwöre er mich sowohl als Mr. Fairlie, ihrer Neigung keinen Zwang anzuthun. Das Einzige, worum er sie in diesem Falle nur bitte, sei, daß sie sich zum letzten Male der Umstände erinnere, unter welchen ihre Verlobung stattgefunden und welcher Art sein Benehmens vom ersten Augenblicks derselben bis zu diesem gewesen sei. Falls sie nach reiflicher Ueberlegung dieser beiden Fragen wirklich wünsche, daß er seine Ansprüche auf die Ehre, ihr Gemahl zu werden, zurücknehme – und falls sie ihm dies mit ihren eigenen Lippen sagen wolle, so werde er sich selbst aufopfern und sie frei lassen.«
»Kein Mann konnte mehr sagen, Miß Halcombe. Soweit meine Erfahrung geht, würden wenige Männer so viel gesagt haben.«
Sie schwieg eine Weile, nachdem ich gesprochen, und sah mich mit einem seltsamen Ausdrucke der Verlegenheit und Betrübniß an.
»Ich beschuldige Niemanden und argwöhne Nichts,« rief sie plötzlich aus. »Aber ich kann die Verantwortlichkeit, Laura zu dieser Heirat zu überreden, nicht auf mich nehmen.«
»Nun, das ist ja gerade das Verfahren, das Sir Percival Sie einzuschlagen ersucht hat,« sagte ich erstaunt. »Er hat sie gebeten, ihrer Neigung keinen Zwang anzuthun.«
»Und indirect nöthigt er mich dazu, wenn ich ihr seine Botschaft sage.«
»Wie ist das möglich?«
»Befragen Sie Ihre eigenen Erfahrungen über Laura, Mr. Gilmore. wenn ich ihr sage, sich der Umstände ihrer Verlobung zu erinnern, wende ich mich an zwei der stärksten Gefühle ihrer Natur, an ihre Liebe zum Andenken ihres Vaters und an ihre unerschütterliche Wahrheitsliebe. Sie wissen, daß sie noch nie in ihrem Leben ein Versprechen gebrochen hat; Sie wissen, daß sie in diese Verlobung zu Anfang der tödlichen Krankheit ihres Vaters willigte, welcher auf seinem Sterbelager voll Hoffnung und Freude von ihrer Vermählung mit Sir Percival Glyde sprach.«
»Sie wollen doch sicherlich nicht darauf anspielen,« sagte ich, »daß Sir Percival, als er gestern zu Ihnen sprach, auf einen solchen Erfolg speculirt hätte?«
»Denken Sie, daß ich einen Augenblick in der Gesellschaft eines Mannes bleiben würde, den ich einer solchen Schlechtigkeit fähig hielte?« fragte sie aufgebracht.
Es that mir wohl, ihre tiefe Entrüstung auf mich herabblitzen zu fühlen. In meinem Berufe sieht man so viel Bosheit und so wenig wirkliche Entrüstung.
»In dem Falle,« sagte ich, »entschuldigen Sie mich, wenn ich Ihnen sage, daß Sie über den Bereich der Sache hinausgehen. Welcher Art auch die Folgen sein mögen, Sir Percival hat das Recht zu verlangen, daß Ihre Schwester ihre Verlobung von jedem Gesichtspunkte aus reiflich überlege, ehe sie fordert, daß man sie derselben entbinde. Falls jener unglückselige Brief sie gegen ihn eingenommen, so gehen Sie sogleich und sagen ihr, daß er sich in Ihren und meinen Augen gerechtfertigt hat. Was kann sie dann noch gegen ihn einzuwenden haben? Welche Entschuldigung kann sie möglicherweise dafür haben, wenn sie ihre Meinung über einen Mann ändert, den sie schon vor zwei Jahren als ihren künftigen Gemahl annahm?«
»In den Augen des Gesetzes und der Vernunft keine, Mr. Gilmore, das glaube ich wohl. Falls sie noch zögert, so müssen Sie unser sonderbares Betragen, wenn es Ihnen beliebt, in beiden Fällen der Laune zuschreiben, und wir müssen den Tadel ertragen, so gut wir eben können.«
Mit diesen Worten erhob sie sich plötzlich und verließ mich. Wenn einem vernünftigen Frauenzimmer eine ernste Frage vorgelegt wird und sie derselben durch eine leichtfertige Antwort ausweicht, so ist dies in neun und neunzig Fällen von hunderten ein sicheres Zeichen, daß sie Etwas zu verhehlen hat. Ich kehrte zu meiner Zeitung zurück, indem ich stark vermuthete, daß Miß Halcombe und Miß Fairlie ein Geheimniß hatten, das sie mir sowohl als Sir Percival verbargen. Mir schien dies hart gegen uns Beide, namentlich gegen Sir Percival.
Meine Zweifel, oder um mich richtiger auszudrücken, meine Ueberzeugung wurde durch Miß Halcombe’s Sprache und Benehmen bestätigt, als ich sie später am Tage wiedersah. Sie war mißtrauisch kurz und zurückhaltend, als sie mir den Erfolg ihrer Unterredung mit ihrer Schwester mittheilte, Miß Fairlie, wie es schien, hatte ihr ruhig zugehört, als sie ihr die Briefaffaire aus dem richtigen Gesichtspunkte vorlegte; als aber Miß Halcombe ihr darauf mittheilte; daß Sir Percival’s Besuch in Limmeridge den Zweck habe, sie zu bitten, den Tag für ihre Vermählung festzusetzen, that sie jeder ferneren Erwähnung des Gegenstandes Einhalt, indem sie um Zeit bat. Wenn Sir Percival sie jetzt noch verschonen wolle, so verpflichte sie sich, ihm vor Ablauf des Jahres noch ihre entscheidende Antwort zu geben. Sie hatte mit solcher Angst und Aufregung um diesen Verzug gefleht, daß Miß Halcombe ihr versprochen, nöthigenfalls ihren Einfluß geltend zu machen,