»Es thut mir sehr leid, daß Sie abreisen,« sagte sie mit so leiser Stimme, daß es beinahe geflüstert war; sie heftete ihre Augen immer aufmerksamer auf die Noten, während ihre Finger mit einer seltsamen, fieberhaften Energie über die Tasten dahineilten, die ich noch nie zuvor an ihr bemerkt hatte.
»Ich werde mich dieser gütigen Worte erinnern, Miß Fairlie, lange nachdem der morgende Tag gekommen und vergangen ist.«
Die Blässe auf ihrem Gesichte wurde noch weißer, und sie wandte es noch mehr von mir ab.
»Sprechen Sie nicht von morgen,« sagte sie. »Lassen Sie die Musik in glücklicherer Sprache reden, als der unsrigen von heute Abend.«
Ihre Lippen bebten, ein schwacher Seufzer, den sie vergebens zu unterdrücken gesucht, entwand sich ihrer Brust. Ihre Finger glitten unsicher über die Tasten; sie schlug eine falsche Note an, verwirrte sich, indem sie dieselbe berichtigen wollte, und ließ die Hände ungeduldig auf den Schooß sinken. Miß Halcombe und Mr. Gilmore blickten erstaunt vom Kartentische herüber, und Mrs. Vesey erwachte durch das plötzliche Aufhören der Musik aus ihrem Schlummer und frug, was es gäbe.
»Spielen Sie Whist, Mr. Hartright?« frug mich Miß Halcombe, indem sie bedeutungsvoll nach meinem Platze hinblickte.
Ich wußte, was sie meinte, ich wußte, daß sie Recht hatte, und stand augenblicklich auf, um an den Kartentisch zu gehen. Als ich das Instrument verließ, schlug Miß Fairlie ein Blatt ihres Notenheftes um und spielte wieder mit sicherer Hand.
»Ich will es spielen,« sagte sie, fast leidenschaftlich anschlagend, »ich will es spielen – an diesem letzten Abend.«
»Kommen Sie, Mrs. Vesey,« sagte Miß Halcombe, »Mr. Gilmore und ich haben genug vom Ecarté – kommen Sie und seien Sie Mr. Hartright’s Partner beim Whist.«
Der alte Advocat lächelte satyrisch. Er war der Gewinnende gewesen und hatte gerade eben den König ausgespielt. Er schrieb Miß Halcombe’s plötzliche Veränderung in der Anordnung des Kartentisches offenbar der Laune einer Dame zu, die es nicht ertragen konnte, zu verlieren.
Der Rest des Abends verging ohne ein Wort oder einen Blick weiter von ihr. Sie blieb an ihrem Platze am Instrument und ich an dem meinigen am Kartentische. Sie spielte ununterbrochen, spielte, als ob sie in der Musik ihre einzige Zuflucht vor sich selber fände. Zuweilen berührten ihre Finger die Tasten mit einem Ausdrucke zögernder Liebe, einer sanften, klagenden, hinsterbenden Zärtlichkeit, der unaussprechlich schön und rührend war – und dann wieder glitten sie unsicher oder eilten mechanisch über die Tasten dahin, als ob ihre Aufgabe ihnen eine unerträgliche Last sei. Aber wie sie auch in ihrer Unsicherheit den Ausdruck verändern mochten, den sie der Musik verliehen, sie spielten entschlossen weiter. Sie erhob sich nicht eher von ihrem Platze, als da wir Alle aufgestanden und einander gute Nacht wünschten.
Mrs. Vesey war der Thür am nächsten und die Erste, welche mir die Hand gab.
»Ich werde sie nicht wieder sehen, Mr. Hartright,« sagte die alte Dame, »es thut mir aufrichtig leid, daß Sie schon fortgehen. Sie waren immer sehr freundlich und aufmerksam, und eine alte Frau, wie ich, empfindet Freundlichkeit und Aufmerksamkeit. Ich wünsche Ihnen Alles Gute, Sir – ich sage Ihnen ein herzliches Lebewohl.«
Dann kam Mr. Gilmore.
»Ich hoffe, wir werden künftig noch Gelegenheit finden, unsere Bekanntschaft fortzusetzen, Mr. Hartright. Sie verstehen doch vollkommen, daß jene kleine Angelegenheit in meinen Händen wohl aufbewahrt ist? Ja, ja, versteht sich. Mein Gott, wie kalt es schon ist! Ich will Sie nicht länger an der Thür zurückhalten. Bon voyage, mein lieber Herr, bon voyage, wie der Franzose sagt.«
Miß Halcombe war die Nächste.
»Morgen früh um halb acht Uhr,« sagte sie und fügte dann flüsternd hinzu, »ich habe mehr gesehen und gehört, als Sie glauben. Ihr Benehmen heute Abend hat mich auf Lebenszeit zu Ihrer Freundin gemacht.«
Miß Fairlie kam zuletzt. Ich wagte nicht, sie anzusehen, als ich ihre Hand nahm und an den nächsten Morgen dachte.
»Meine Abreise wird sehr früh stattfinden, Miß Fairlie,« sagte ich, »ich werde fort sein, ehe Sie –«
»Nein, nein,« unterbrach sie mich hastig, »nicht, ehe ich herunter komme. Ich werde mit Marianne zum Frühstück herunter kommen. Ich bin nicht so undankbar, kann die letzten drei Monate nicht so leicht vergessen –«
Ihre Stimme versagte ihr; ihre Hand schloß sich sanft um die meinige und ließ sie dann plötzlich fallen. Ehe ich noch »gute Nacht« sagen wollte, war sie verschwunden.
Das Ende kommt mir schnell entgegen, kommt unvermeidlich, wie das Licht des letzten Morgens in Limmeridge House.
Es war kaum halb acht Uhr, als ich hinunter ging, aber ich fand Beide bereits am Frühstückstisch, mich erwartend. In der kalten Luft, in dem trüben Lichte, in der finsteren Morgenstille setzten wir Drei uns an den Frühstückstisch und versuchten zu essen und zu sprechen. Der Kampf, den Schein zu bewahren, war hoffnungslos – war nutzlos; ich stand auf, um ihm ein Ende zu machen.
Als ich meine Hand ausstreckte und Miß Halcombe, die mir zunächst war, dieselbe nahm, wandte Miß Fairlie sich plötzlich ab und eilte aus dem Zimmer.
»Es ist besser so,« sagte Miß Halcombe, als die Thür sich hinter ihr schloß, »es ist besser so, für Sie und für Laura.«
Ich zögerte einen Augenblick, ehe ich sprechen konnte – es war so hart, sie zu verlieren ohne ein Abschiedswort oder einen Abschiedsblick. Ich faßte mich wieder und versuchte, mit passenden Worten Miß Halcombe Lebewohl zu sagen; aber alle Abschiedsworte, die ich hätte sprechen mögen, lösten sich in einem einzigen Satze auf:
»Verdiene ich, daß Sie mir schreiben!« war Alles, was ich sagen konnte.
»Sie Edelster, haben Alles verdient, was ich für Sie thun kann, so lange wir Beide leben. Was auch das Ende sei, Sie sollen es erfahren.«
»Und wenn ich jemals wieder von Nutzen sein kann, zu irgend einer künftigen Zeit, lange nachdem meine Anmaßung und Thorheit vergessen –«
Ich konnte nicht weiter. Die Stimme versagte mir, meine Augen wurden trübe, wie sehr ich auch dagegen ankämpfte.
Sie ergriff meine beiden Hände – sie drückte sie fest wie mit dem Griffe eines Mannes – ihre schwarzen Augen glänzten – ihre dunklen Wangen errötheten tief – die Kraft und Energie ihres Gesichtes glühte und wurde wunderschön in dem reinen inneren Lichte ihrer Großmuth und ihres Mitleids.
»Ich will Ihnen vertrauen, wenn jemals die Zeit kommt, da will ich Ihnen vertrauen, wie meinem Freunde und ihrem Freunde; wie meinem Bruder und ihrem Bruder.« Sie hielt inne, trat näher zu mir heran – das furchtlose, edle Weib berührte schwesterlich meine Stirn mit ihren Lippen und nannte mich bei meinem Vornamen.
»Gott segne Sie, Walter,« sagte sie, »warten Sie hier allein und fassen Sie sich – ich will um unsrer Beider willen lieber gehen; ich will Sie lieber vom Balcon herab abreisen sehen.«
Sie verließ das Zimmer. Ich wandte mich zum Fenster, wo Nichts als die einsame Herbstlandschaft meinen Blicken begegnete – ich wandte mich ab, um meine Bewegung zu bemeistern, ehe auch ich das Zimmer verließ – auf immer verließ.
Es verging eine Minute – es konnte kaum mehr gewesen sein, als ich die Thür noch einmal leise öffnen hörte, und es nahte sich nur das Rauschen eines Frauenkleides. Mein Herz schlug heftig, als ich mich umwandte. Miß Fairlie kam vom entgegengesetzten Ende des Zimmers auf mich zu.
Sie stand still und zögerte, als sich unsere Blicke begegneten und sie gewahr wurde, daß wir allein seien. Dann trat sie mit jenem Muthe, den die Frauen bei geringen Gelegenheiten so leicht, bei großen so selten verlieren, zu mir heran, mit einem seltsam bleichen, ruhigen Antlitze, indem sie eine Hand auf dem Tische nach sich zog, wie sie an demselben entlang ging, und in der anderen, die an ihrer Seite