Sie wandte das Gesicht ab und hielt mir eine kleine Zeichnung hin, ganz von ihrer eigenen Hand, eine Skizze des kleinen Gartenhäuschens, in dem wir uns zuerst gesehen. Das Papier zitterte in ihrer Hand, als sie es mir darreichte, es zitterte in der meinigen, als ich es nahm.
Ich wagte nicht zu sagen, was ich fühlte – ich entgegnete blos: »Dies soll mich nie verlassen; solange ich lebe, soll es der Schatz sein, der mir über Alles werth ist. Ich bin sehr dankbar dafür – und Ihnen sehr dankbar dafür, daß Sie mich nicht abreisen ließen, ohne Ihnen Lebewohl zu sagen.«
»O!« sagte sie mit ihrem unschuldsvollen Blicke, »wie hätte ich Sie so abreisen lassen können, nachdem wir so viele glückliche Tage zusammen verlebt!«
»Solche Tage mögen nimmer wiederkehren, Miß Fairlie; Ihr Weg im Leben und der meinige liegen sehr weit auseinander. Sollte aber jemals eine Zeit kommen, wo die Ergebenheit meines ganzen Herzens, meiner ganzen Kraft und ganzen Seele Ihnen einen Augenblick des Glückes verschaffen oder einen Augenblick des Kummers ersparen kann, wollen Sie sich da des armen Zeichenlehrers erinnern, der Ihnen Unterricht gab? Miß Halcombe hat versprochen, mir zu vertrauen, wollen Sie es mir auch versprechen?«
Die Abschiedstrauer der lieben blauen Augen leuchtete matt durch ihre Thränen hindurch.
»Ich verspreche es,« sagte sie in gebrochenen Tönen. »O, sehen Sie mich nicht so an! Ich verspreche es von ganzem Herzen!«
Ich wagte einen Schritt näher zu ihr heranzutreten und streckte meine Hand aus.
»Sie haben viele Freunde, die Sie lieben, Miß Fairlie. Ihre glückliche Zukunft ist ihre theuerste Hoffnung. Darf ich Ihnen zum Abschied sagen, daß sie auch mir die theuerste Hoffnung ist?«
Die Thränen strömten über ihre Wangen, sie stützte eine Hand auf den Tisch, um sich festzuhalten, während sie die andere mir reichte. Ich nahm sie und hielt sie fest in der meinigen. Ich beugte das Haupt – meine Thränen fielen darauf herab, ich drückte sie an meine Lippen – nicht in Liebe, o Gott, nein, nicht in Liebe, sondern in dem bitteren Selbstvergessen der Verzweiflung jenes letzten Augenblickes.
»O! um Gotteswillen, verlassen Sie mich!« sagte sie mit schwacher Stimme.
Das Bekenntniß des Geheimnisses ihres Herzens brach in tiefen flehenden Worten von ihren Lippen. Ich hatte nicht das Recht, sie zu hören, sie zu beantworten: sie waren die Worte, die mich im Namen ihrer heiligen Schwäche aus dem Zimmer verbannten. Es war Alles vorüber; ich ließ ihre Hand sinken und sagte Nichts mehr. Die Thränen entzogen mir ihren Anblick, und ich zerdrückte sie schnell, um sie zum letzten Male zu sehen. Noch einen Blick, als sie auf einen Sessel sank, ihre Arme auf den Tisch und auf sie ihr mattes Haupt fiel. Einen letzten Blick, und die Thür schloß sich – der große Abgrund der Trennung hatte sich zwischen uns aufgethan – Laura Fairlie’s Bild war schon eine Erinnerung vergangener Zeit.
Die Aussage von
Advocat Vincent Gilmore
in Chancery-Lane, London
I
Ich schreibe diese Zeilen auf das Ersuchen meines Freundes, des Mr. Walter Hartright. Dieselben sollen von gewissen Ereignissen Act nehmen, welche ernstlichen Einfluß auf Miß Fairlie’s Interessen übten und bald nach Mr. Hartright’s Abreise von Limmeridge House stattfanden.
Ich brauche hier nicht anzugeben, ob meine eigene Ansicht die Enthüllung einer merkwürdigen Familiengeschichte billigt, von der meine Darstellung einen wichtigen Bestandtheil ausmacht. Mr. Hartright hat diese Verantwortung auf sich genommen, und die in den folgenden Blättern mitgetheilten Umstände werden zeigen, daß er sich hiezu ein Recht erworben, falls es ihm beliebt, dasselbe auszuüben. Sein Plan, diese Erzählung Anderen auf die wahrhafteste und lebendigste Weise mitzutheilen, verlangt, daß der Gang der Ereignisse in seinen verschiedenen Stadien von Personen erzählt werde, welche zur Zeit derselben unmittelbar mit ihnen in Verbindung standen. Mein Auftreten hier als Erzähler ist die nothwendige Folge solcher Anordnung. Ich war während Sir Percival Glyde’s Aufenthalt in Cumberland dort anwesend und hatte persönlichen Antheil an einem wichtigen Ergebnisse seines kurzen Aufenthaltes unter Mr. Fairlie’s Dache. Es ist daher meine Pflicht, der Kette der Begebenheiten diese neuen Glieder anzufügen und die Kette selbst an dem Punkte wieder aufzunehmen, wo Mr. Hartright sie – nur für jetzt – hat fallen lassen.
Ich kam an einem Freitage entweder zu Ende des Monats October oder Anfangs November – der genaue Zeitpunkt ist für meinen augenblicklichen Zweck ohne Wichtigkeit – in Limmeridge House an.
Mein Zweck war, bis zu Sir Percival Glyde’s Ankunft in Mr. Fairlie’s Hause zu bleiben. Falls dieselbe die Anberaumung des Tages zur Verbindung Sir Percivals mit Miß Fairlie zur Folge hatte, sollte ich die nöthigen Instructionen mit mir nach London zurücknehmen und mich mit Abfassung des Heiratscontractes der Dame beschäftigen.
Am Freitag genoß ich nicht die Ehre einer Unterredung mit Mr. Fairlie. Er war seit Jahren ein Invalide gewesen – oder hatte sich doch dafür gehalten – und war nicht wohl genug, um mich zu sehen. Miß Halcombe war das erste Mitglied der Familie, das ich sah, sie kam mir an der Hausthür entgegen und stellte mich dem Mr. Hartright vor, der sich seit einiger Zeit in Limmeridge aufhielt.
Ich sah Miß Fairlie erst bei Tische. Sie sah nicht wohl aus und es betrübte mich, dies zu sehen. Sie ist ein sanftes, liebenswerthes Mädchen, so freundlich und aufmerksam gegen Alle, die sie umgeben, wie ihre vortreffliche Mutter zu sein pflegte, obgleich sie im Aeußern ihrem Vater gleicht. Mrs. Fairlie hatte dunkles Haar und dunkle Augen, und ihre älteste Tochter, Miß Halcombe, erinnert mich sehr an sie. Miß Fairlie spielte uns Abends vor, doch nicht so gut wie gewöhnlich, wie mich dünkte, wir machten einen Rubber Whist – eine wahre Profanation jenes edlen Spieles. Mr. Hartright hatte, als wir einander zuerst vorgestellt wurden, einen günstigen Eindruck auf mich gemacht; aber ich machte bald die Entdeckung, daß er von den gesellschaftlichen Fehlern seines Alters nicht frei war. Es gibt drei Eigenschaften, welche den jungen Leuten der jetzigen Generation abgehen. Sie können nicht beim Weine sitzen, nicht Whist spielen und verstehen nicht, einer Dame ein Compliment zu sagen. Mr. Hartright bildete keine Ausnahme in dieser allgemeinen Regel. Sonst fiel er mir selbst in jenen ersten Tagen und nach so kurzer Bekanntschaft als ein höchst bescheidener und wohlgebildeter junger Mann auf.
So verging der Freitag. Ich sage Nichts von den ernsteren Angelegenheiten, die an jenem Tage meine Aufmerksamkeit beschäftigten, dem anonymen Briefe an Miß Fairlie, den Maßregeln, die ich für zweckmäßig erachtete, bis man mir die Sache mitgetheilt hatte, und von meiner Ueberzeugung, daß Sir Percival Glyde uns jede Aufklärung über die Umstände geben werde, die wir nur verlangen konnten, da Alles dies, wie ich höre, schon in der Erzählung mitgetheilt ist, welche der meinigen voraufgeht.
Am Sonnabend war Mr. Hartright bereits abgereist, ehe ich zum Frühstück herunter kam. Miß Fairlie blieb den ganzen Tag auf ihrem Zimmer und Miß Halcombe schien mir niedergeschlagen. Das Haus war nicht mehr, was es zu Mr. und Mrs. Philipp Fairlie’s Zeiten zu sein pflegte. Ich machte am Vormittag ganz allein einen Spaziergang und besah mir einige von den Stellen, die ich gesehen, als ich zum erstenmale vor mehr als dreißig Jahren Familiengeschäfte halber in Limmeridge war. Auch sie waren nicht mehr, wie sie zu sein pflegten.
Um zwei Uhr ließ Mr. Fairlie mir sagen, er sei wohl genug, um mich zu sehen. Er hatte sich jedenfalls nicht verändert, seitdem ich zuerst seine Bekanntschaft gemacht. Seine Unterhaltung hatte denselben Gegenstand wie früher: sich selbst und seine Leiden, seine seltenen Münzen und seine unvergleichlichen Rembrandt’schen Skizzen. Sowie ich von dem Geschäfte anfing, das mich in sein Haus geführt, schloß er die Augen und sagte, ich erschüttere seine Nerven. Doch blieb ich dabei, seine Nerven zu erschüttern, indem ich wiederholt zu dem Gegenstande zurückkehrte. Alles, was ich aus ihm herausbringen konnte, war, daß er die Heirat seiner Nichte als eine abgemachte Sache betrachte, daß ihr Vater dieselbe bestätigt, daß es eine wünschenswerthe Heirat und daß er sich glücklich schätzen werde, sobald die ganze Plackerei damit vorbei sei. Was den Contract