Einige Tage darauf wurde Anton durch Fink in das Haus der gnädigen Frau geführt, im neuen Frack, in regelrechten Glacéhandschuhen, ein Opferlamm finsterer Mächte, welche im Begriff waren, den Frieden seines Inneren zu zerstören. Sie lauerten in dem Hause der gnädigen Frau und schnürten dem eintretenden Anton schon im Haustor die Brust zusammen. Sie saßen auf der viereckigen Laterne, welche am Gewölbe des Hausflurs baumelte, sie hingen mit ausgebreiteten Händen an dem Holzgeländer der Treppe und steckten durch die großen Bogenlöcher des Geländers ihre Geisterzungen mit höhnischem Lachen gegen ihn aus. Fink sah mit unwilligem Blick, wie sein Opfer den rötlichen Schimmer der Beklommenheit erhielt, er raunte ihm noch zu: »Unterstehe dich nicht, vor diesem Volk rot zu werden!«, warf dem Diener herablassend seinen Überrock zu und führte den Freund unter die Augen der gnädigen Frau. Diese war wirklich, wie Fink prophezeit hatte, eitel Zuvorkommenheit. Mit Neugierde und einem gewissen menschlichen Anteil sah sie auf den hübschen schüchternen Jungen, der mit seinem treuherzigen Gesicht vor ihr stand und vollständig geneigt schien, ihre Macht auf sich wirken zu lassen.
Anton sagte ihr mit einer tiefen Verbeugung: »Nur die Versicherung meines Freundes, daß Sie, gnädige Frau, mir nicht zürnen werden, hat mir den Mut gegeben, Ihnen persönlich meine Ehrfurcht zu bezeigen.« Und die Dame lächelte holdselig, oder, wie der Unhold Fink diese Tatsache auffaßte, sie grinste und entgegnete: »Herr von Fink hat mir die Hoffnung gemacht, daß Sie diesen Winter ein regelmäßiger Gast bei unsern kleinen Tanzübungen sein werden.«
Darauf konnte sich Anton nicht enthalten zu erröten, sehr glücklich auszusehen und zu versichern: »Ich würde mit Vergnügen teilnehmen, wenn ich die Meinung haben könnte, in der fremden Gesellschaft nicht lästig zu werden.«
Nachdem dies mit Eifer verneint worden war, trat Fräulein Eugenie herein, Anton wurde auch dieser vorgestellt, erhielt einen so schnippischen Knicks, als fünfzehnjährige Damen fremden Herren zu machen pflegen, und stieg nach einer Viertelstunde, ganz entzückt über die Anmut der Familie, mit seinem Mentor Fink die Treppe herab. Der unschuldige Junge hing sich vergnügt an den Arm des Freundes und versicherte diesem auf der Straße ernsthaft: »Ich habe mir nicht vorgestellt, daß es so leicht ist, mit eleganten Leuten zu verkehren.«
Fink brummte etwas in sich hinein, was ebensogut eine Bestätigung dieser Ansicht als das Gegenteil ausdrücken konnte, und sagte: »Im ganzen bin ich mit dir zufrieden. Du hast trotz deines neuen Fracks dagesessen wie ein nackter kleiner Engel in einem durchsichtigen Batistkleide. Indessen das nackte Wesen steht dir nicht ganz schlecht. Nur das verfluchte Erröten wirst du dir diesen Winter abgewöhnen müssen, bei einer schwarzen Krawatte ist es bekanntlich allenfalls noch zu ertragen, aber über einer weißen Halsbinde sieht es abscheulich aus. Du siehst dann aus wie ein apoplektischer Amor.«
Frau von Baldereck dagegen fand von ihrem Standpunkt die Anspruchslosigkeit des geheimnisvollen Jünglings wahrhaft rührend, und als ihre Tochter mit Bestimmtheit aussprach: »Fink ist ein ganz anderer Mann und gefällt mir viel besser«, da schüttelte sie den Kopf und sagte lächelnd: »Das verstehst du nicht, mein Kind, es ist ein Adel und eine natürliche Grazie in den Bewegungen des Fremden, ein gewisser Scharm, der ganz bezaubernd ist.«
Der große Tag, an welchem die Tanzstunde feierlich eröffnet werden sollte, war gekommen. Hastig kleidete sich Anton nach dem Schluß des Kontors an und trat in Finks Zimmer, diesen abzuholen. Der Mentor untersuchte mit prüfendem Blick den Anzug des Novizen. »Zeige dein Taschentuch«, sagte er. »Bunte Seide? Schäm dich. Hier ist eines von den meinen. Gieß dir etwas Parfüm darauf. Wo sind deine Handschuhe?«
Mit solchen Lehren führte er den Freund vor das erleuchtete Haus der Baronin.
Als Anton die Treppe des Hinterhauses hinabschritt, öffnete sich die Tür von Jordans Zimmer, und Herr Specht steckte seinen Kopf am Ende eines langen Halses über die Treppe und sandte dem Kollegen seinen neugierigsten Blick nach.
»Er geht«, rief er in die Stube zurück, »es ist unerhört. So etwas hat sich noch nicht ereignet, solange die Welt steht. Es sind lauter Adlige dort. Das wird eine schöne Geschichte werden.«
»Zuletzt, warum soll er nicht gehen, wenn sie ihn einladen?« sprach der gutmütige Herr Jordan, um den stummen Vorwürfen der Kollegen zu begegnen. Keiner wußte etwas dagegen zu sagen, nur Herr Pix rief ärgerlich vom Sofa: »Mir aber gefällt’s nicht, daß er eine solche Einladung annimmt. Er gehört in das Kontor und zu uns. Etwas Gutes wird er unter den Schwadronierern nicht lernen. Fensterglas ins Auge kneifen und Süßholz raspeln, und das wird noch nicht das Schlechteste sein.«
»Es soll merkwürdig bei diesen Tanzgesellschaften zugehen«, rief Specht. »Äußerst frivol, Liebesgeschichten und Duelle jeden Tag. Aber Wohlfart hat immer einen Tick auf solche Dinge gehabt. Nächstens wird er an einem Morgen mit seinen Pistolen unterm Arm ausgehen, und wie er zurückkommen wird, das will ich gar nicht sagen. Auf seinen Füßen nicht, das ist sicher.«
»Unsinn«, erwiderte Pix ärgerlich, »es gibt dort nicht mehr Händel als bei andern Leuten.«
»Und französisch muß er sprechen«, fuhr Specht unaufhaltsam fort.
»Warum nicht russisch?« rief Herr Pix.
Hier gerieten Herr Pix und Herr Specht in einen Streit über die Sprache, durch welche man sich im Salon der Frau von Baldereck verständlich mache. Aber alle Kollegen waren darin einig, daß dieser Besuch der Tanzstunde für Wohlfart ein äußerst gewagter und verhängnisvoller Schritt sei, der unaussprechliches Unheil bereite und die gesamte menschliche Ordnung störe.
»Er ist gegangen«, rief die Tante, von einer Konferenz mit dem Bedienten zurückkehrend.
»Das ist wieder ein Streich seines Freundes Fink«, sagte der Prinzipal.
Sabine sah auf ihre Arbeit nieder. »Mich freut’s«, sagte sie endlich, »daß Fink seinen Einfluß dazu benutzt, dem Freunde ein Vergnügen zu machen. Er selbst tanzt nicht gern, und ihm persönlich ist dies Kränzchen gewiß eher ein Opfer als eine Freude.« Der Bruder sah die Schwester prüfend an, sie nickte ihm leise zu. »Und wie gönne ich’s Wohlfart, daß er unter Menschen kommt! Er ist am meisten von allen Herren zu Haus. Fast jeden Abend, wenn ich zu Bett gehe, sehe ich bei ihm die Lampe brennen. Die andern haben Verwandte oder gute Freunde von früher her, er ist ganz allein, er hat nichts, als was dieses Haus einschließt. Es ist hart, das ganze Jahr so zu leben.«
»Er hat sich bis jetzt brav gehalten«, sagte der Prinzipal, »wollen sehen, ob das Dauer hat.«
»Aber wie war es möglich, daß er in diese Gesellschaft…« rief die Tante. »Bedenkt doch, diese Frau von Baldereck…«
Sabine tippte mit dem Fingerhut auf die Tischplatte. »Fink hat’s ihnen befohlen«, sagte sie, »und das war hübsch von ihm. Und zum Dank dafür soll er morgen trotz dem ernsten Gesicht meines Chefs sein Lieblingsgericht erhalten.«
»Also Schinken mit Burgundersoße«, rief die Tante. »Aber ich bitte dich, wie wird sich Wohlfart unter diesen Uniformen ausnehmen? Und wie wird er mit diesen Lebemännern fertig werden? Er kann’s ihnen nicht gleichtun. Dazu gehört doch wenigstens Geld.«
»Dafür laß ihn sorgen«, erwiderte Sabine fröhlich. »Um den grämen wir uns nicht.«
»Er ist gegangen«, sagte Karl am Abend zu seinem Vater. »Kleine lackierte Glanzstiefel, ich habe sie geholt. Herr von Fink verbot ihm, Schuhe anzuziehen. Und ein neuer Hut, alles vom Kopf bis zu den Füßen neu. So also sieht man aus, wenn man bei vornehmen Leuten tanzen will.«
»Du möchtest wohl auch tanzen gehen?« fragte der Vater.
»Nein«, erwiderte Karl, »aber ich möchte sehen, wie sie’s auf einem Balle machen.«
»Sieh in den ›Blauen Mond‹ nebenan, da kannst du es alle Sonntage sehen; es ist bei den Vornehmen auch nicht anders, nur daß sie einander behutsamer anfassen und außerdem mit Handschuhen.«
»Na, morgen wird’s einen guten Staub in den Kleidern geben«, sagte Karl.
»Es ist ein staubiges Vergnügen«, bestätigte der Riese. »Es besteht im Umwenden, es besteht im Springen,