Soll und Haben. Gustav Freytag. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gustav Freytag
Издательство: Public Domain
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Жанр произведения: Зарубежная классика
Год издания: 0
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werden heute alle durcheinandertanzen und uns um unsern Tanzmeister gar nicht kümmern«, sagte endlich das Fräulein. »So ist mir’s am liebsten. – Sie dürfen jetzt nicht länger mit mir allein sprechen, unterhalten Sie sich mit andern Damen. Ich gehe zu meiner Mutter. Wenn die Musik anfängt, kommen Sie zu mir, ich werde Sie der Mama vorstellen.«

      So winkte sie ihm gnädig zu und schritt majestätisch durch den Saal in einen Kreis von Frauen.

      Jetzt war Anton gefeit gegen alle Schrecken der Gesellschaft, seine Befangenheit war verschwunden, eine angenehme Begeisterung erfüllte ihn. Was konnten ihm noch diese hellgekleideten, buntbebänderten Gestalten sein, welche um ihn hüpften oder festgewurzelt standen? Sie waren ihm gleichgültig wie eine Schar kleiner Vögel oder wie die Pflanzen auf der Wiese. Er suchte schnell Fink auf und ließ sich von ihm ein Dutzend Herren vorstellen, ohne irgendeinen Namen der Vorgestellten zu behalten. Darauf bat er Fink sofort, ihn zu einzelnen der jungen Damen zu führen.

      »Hast du mit der Tochter vom Hause gesprochen?« fragte Fink.

      »Nein«, sagte Anton lustig.

      »Schnell hin, Unseliger«, ermahnte Fink, »mache dich gefaßt auf schlechte Behandlung.«

      »Ist mir ganz einerlei«, sprach Anton, den Arm seines Freundes drückend, diesem ins Ohr, während er vor Fräulein Eugenie aufgestellt wurde.

      Das Fräulein war so kalt gegen Anton, als sich nach der langen Vernachlässigung nur irgend erwarten ließ. Er hatte Mühe, einige kurze Antworten zu erlangen, und wurde durch den Anblick ihres Hinterzopfes beglückt, sobald Leutnant von Zernitz an sie herantrat.

      Auch diese Niederlage bekümmerte ihn nicht. In seiner Nähe waltete Frau von Baldereck und beobachtete mit einem Auge die Gesellschaft, mit dem anderen ihre Tochter und mit dem unnennbaren sechsten Sinn, welchen die Fledermäuse in so ausgezeichnetem Grade besitzen sollen, Herrn von Fink. Schnell trat Anton an sie heran und bat, ihn mit einem rosafarbenen Wesen, welches braunes Haar und silberne Kornähren zu tragen schien, bekannt zu machen.

      »Sie meinen Komteß Lara?« fragte die Dame vom Hause.

      Natürlich verneigte sich Anton bejahend, Lara, Tara oder Gutgewicht war ihm in diesem Augenblick ganz unwesentlich. Die Komteß sah ihn befremdet an, er aber sprach mit gemütlicher Wärme in sie hinein, von den Freuden der zu erwartenden Tanzstunde, von der allerliebsten Dekoration des Salons und wie schön man jetzt Säle auszuschmücken wisse, und von dem neuen Wintergarten in Paris, den er am Tage zuvor aus irgendeiner Zeitung kennengelernt hatte. Er schilderte ihr Springbrunnen und Glaskuppeln und vergoldete Gitter und künstliche Felsen mit tropischen Pflanzen und kleine Salamander, welche zur Freude des Publikums dazwischen umherschlüpften, alles mit einem Feuer, daß die kleine Dame in Rosa nach und nach auftaute und endlich, als er bei den Eidechsen angekommen war, ebenfalls beweglich wurde und ihrerseits von zwei Feuermolchen erzählte, die sie einmal auf einem Stein gesehen, und von dem Entsetzen, das sie ihr eingejagt. Wenn sie Anton gesagt hätte, daß die beiden Molche mit untergeschlagenen Beinen auf dem Felsen gesessen und Bier aus einem Deckelglase getrunken hätten, so wäre ihm auch das als ein alltägliches Ereignis aus dem Nachtgebiete der Natur erschienen. Da gerade, als Anton wieder den Übergang machte vom Molch zu einer großen Ausstellung von Kürbissen, welche einige Wochen zuvor in der Stadt gewesen war, da dröhnte die Pauke, da schmetterte die Trompete, und das rosafarbene Kleid sowie die silbernen Ähren versanken vor seinen Augen in den Boden, er machte eine kurze Wendung und verließ das betroffene Fräulein, bevor er seine Rede geendet hatte.

      Dort stand seine Königin im Gespräch mit ihrer Mutter, welche, jetzt kleiner als die hochaufgeschossene Gestalt der Tochter, zu dieser aufsehen mußte. Der kriegerische Trotz Antons verschwand, als er vor die Baronin trat. Das waren die feinen Züge, das unaussprechlich vornehme Wesen, welches ihn einst so sehr in Erstaunen gesetzt hatte. Die letzte Vergangenheit hatte die Schönheit der Baronin nicht vermindert, und die Nähe, in welcher Anton sie jetzt betrachtete, erhöhte den Zauber, den ihre Erscheinung auf ihn ausübte. Die erfahrene Frau sah mit dem ersten Blick in Anton einen Neuling der Gesellschaft, seine Annäherung zeigte einen Überfluß an Hochachtung, und sein Hut, den er im Arme hielt, war von dem Druck wollig geworden und sah aus wie mit einem Pudelfell überzogen.

      »Dies ist Herr Wohlfart«, sagte Lenore mit einer empfehlenden Handbewegung, »hier ist der Herr, um dessentwillen du mich schon einmal ausgescholten hast. Ja, mein Herr, ich habe damals, als ich Sie zuerst sah, von Mama Schelte bekommen, weil ich Sie so lange in unserm Garten aufbehalten hatte.«

      »Das macht mich sehr unglücklich«, erwiderte Anton mit dem Ausdruck eines unsäglichen Leidens. »Ach, Sie können nicht ahnen, Frau Baronin, wie glücklich ich damals durch die Teilnahme des gnädigen Fräuleins geworden bin; ich ging zu fremden Menschen und in eine ungewisse Zukunft. Ihre freundlichen Worte haben mir Mut gegeben. Und oft sind sie mir seitdem in einsamen Stunden wieder in die Erinnerung gekommen, als eine gute Prophezeiung für meine Zukunft.«

      »Sie wissen das so rührend zu sagen«, rief Lenore, ihn unverwandt ansehend.

      Die Baronin hörte verwundert den Erguß Antons und betrachtete den gefühlvollen Tänzer mit einer Neugierde, die nicht ohne leises Unbehagen war. Lenore aber unterbrach die beginnende Unterhaltung Antons mit ihrer Mutter, indem sie unruhig sagte: »Man tritt an, wir müssen zum Tanz.« Anton ergriff ihre Hand mit den Fingerspitzen und führte sie in den Kreis der tanzenden Paare.

      »Er walzt erträglich, etwas spießbürgerlich, zuviel Zirkel, aber es ist Haltung darin«, brummte Fink.

      »Ein distinguiertes Paar«, rief Frau von Baldereck in der Nähe der Baronin von Rothsattel, als Anton und Lenore vorbeiwalzten.

      »Sie spricht zuviel mit ihm«, sagte Frau von Rothsattel zu ihrem Gemahl, welcher in diesem Augenblick zu ihr trat.

      »Mit ihm?« fragte der Freiherr. »Wer ist der junge Mann? Ich habe das Gesicht noch nicht gesehen.«

      »Er gehört zu den Poursuivants des Herrn von Fink, er ist nicht von Familie, er soll reiche Verwandte in Amerika oder Rußland haben. Mir gefällt das Entree für Lenore nicht.«

      »Nun«, erwiderte der Freiherr, »er hat das Aussehen eines frischen Jungen. Für dieses Kindervergnügen ist eine solche Gestalt immer noch besser als die alten Knaben, die ich hier im Kreise sehe. Die Jüngeren amüsieren sich und ihre Tänzerinnen, während Benno Tönnchen sich nur belustigen wird, wenn er die Mädchen rot macht oder ihnen das Rotwerden abgewöhnt. Lenore sieht recht gut aus. Ich gehe zu meinem Whist, laß mich rufen, wenn du den Wagen befiehlst.«

      Anton hörte nichts von allem, was über ihn und seine Tänzerin gesprochen wurde, und wenn die Gesellschaft um ihn herum so laut gesummt hätte wie die große Glocke am höchsten Kirchturm der Stadt, er hätte nichts gehört. Der Erdball war für ihn sehr klein geworden, nicht größer als der Kreis, den er mit seiner Tänzerin durchmaß, was etwa noch außerhalb existierte, war Finsternis, Öde, ein Nichts, nur was er im Arm halten durfte, das nahm alle seine Sinne gefangen. Das schöne blonde Haar, so nahe an seinem Haupt, daß er mit seinen Locken die ihren berühren konnte, ihr warmer Atem, der seine Wange streifte, der unsägliche Reiz des hellen Handschuhes, der ihre weiche Hand versteckte, das Parfüm ihres Taschentuches, die rote Blüte, welche vorn am Kleide befestigt war, das sah und empfand er, und sonst nichts. Wenn sie im Tanz sich vertrauend von seinem Arm umschlingen ließ, wenn sie ihn fröhlich ansah auch während des Tanzes, wenn er sie atemlos anhielt und sie sich langsam von seiner Hand löste, ein Armband zurechtrückte oder ihr allerliebstes Taschentuch einen Augenblick an den Mund hielt, wie reizend waren nicht alle ihre Bewegungen. Wie bezaubernd der freundliche Gruß ihrer Augen oder ihr leises Lächeln, wenn Anton etwas sagte, was ihr gefiel.

      Und er hatte das Glück, ihr zu gefallen; sie sagte ihm, er spreche allerliebst und es höre sich ihm gut zu. Ach, was er plauderte, war gleichgültig, er hätte vielleicht nicht weniger Erfolg gehabt, wenn er von den Neuseeländern oder dem Kaiser von Japan gesprochen hätte. Denn nicht was er erzählte, sondern wie er es sagte, die stille Huldigung seiner Augen, der bebende Ton seiner Stimme, das drang schmeichelnd in die Seele seiner Tänzerin.

      Die Pauke schwieg, der Trompeter setzte sein Blech ab, der Erdball löste sich auf in ein achtloses Chaos. »Schade!« rief Lenore, als die letzte Note verklungen war.

      »Ich