»Ich will dir etwas vorschlagen«, sagte Fink ungeduldig, »du sollst in diesen Tagen mit mir einen Besuch bei Frau von Baldereck machen. Ich werde dich als Anton Wohlfart aus dem Kontor der Firma ›T. O. Schröter‹ vorstellen; du sollst kein Wort von der Tanzstunde erwähnen; du wirst abwarten, wie die gute Dame dich aufnimmt. Wenn diese Tanzmutter etwas anderes ist als eitel Liebenswürdigkeit, wenn sie dir auch nur im geringsten anmaßend ist und nicht selbst von der Tanzstunde anfängt, so sollst du vollständige Freiheit haben, bei deiner Weigerung zu beharren. Dagegen kannst du nichts Stichhaltiges einwenden.«
Anton zauderte und überlegte. Die Sache schien ihm keineswegs so einfach, wie sie Fink darstellte, aber er war nicht mehr der Mann, kaltblütig zu prüfen und zu wählen. Seit Jahren verbarg er einen Wunsch im Grunde seiner Seele, die Sehnsucht nach dem freien, stattlichen, prunkvollen Leben der Vornehmen. Sooft er die Tanzmusik im Vorderhause hörte, sooft er von dem Treiben der aristokratischen Kreise las, sehr oft, wenn er mit sich allein war, wurde in ihm eine holde Erinnerung lebendig, das hohe Schloß mit Türmen im Blumenpark und das adlige Kind, das ihn über den Schwanenteich gefahren. Jetzt wieder stieg das Bild in ihm auf, in dem goldenen Licht, das seine Poesie in jahrelanger Arbeit dazugetan. Er sprang auf und willigte in den Vorschlag des erfahrenen Freundes.
Eine Stunde darauf kam der Schneider, von Fink geführt, und Fink bestimmte selbst das Detail der neuen Ausstattung mit einer Sachkenntnis, welche dem Schneider nicht weniger als Anton imponierte.
Am Nachmittag leckte die Novembersonne den Schnee von den Steinen der Straße. Da steckte Fink einige merkwürdig aussehende Papiere in seine Brusttasche, schlenderte als müßiger Wanderer durch die lebhaftesten Straßen der Stadt und sah sich mit scharfem Blick um, wie ein Polizeibeamter, der Beute sucht. Endlich lenkte er mit zufriedenem Gesicht auf das Trottoir der entgegengesetzten Straßenseite und stieß dort auf zwei elegante Herren, welche, wie er, einsam durch das plebejische Treiben der Sonntagsspaziergänger zogen. Es war der Leutnant von Zernitz und Herr von Tönnchen, beide von großem Unternehmungsgeist und untadelhaften Allüren.
»Teufel, Fink!«
»Guten Tag, ihr Herren!«
»Was treiben Sie so träumerisch auf der Straße?« f ragte Herr von Tönnchen.
»Ich suche Menschen«, erwiderte Fink melancholisch, »ein paar treue Gesellen, welche verdorben genug sind, an diesem langweiligen Sonntage bei Tageslicht eine Flasche Portwein zu trinken und mir vorher in einem kleinen Geschäft als Zeugen zu dienen.«
»Als Zeugen?« fragte Herr von Zernitz. »Wollen Sie sich hinter der Kirche duellieren?«
»Nein, schöner Kavalier«, entgegnete Fink, »Sie wissen, ich habe diese Unart verschworen, seit der kleine Lanzau meiner Pistole den Hahn abgeschossen hat. Gerade jetzt bin ich sehr friedfertig, ein geplagter Geschäftsmann, würdiger Sohn der Handlung Fink und Becker. Ich suche Zeugen für eine notarielle Urkunde, welche eiligst ausgestellt werden muß. Ich finde wohl einen Notar, aber die gewöhnlichen Gerichtszeugen sind heut am Sonntag auf den Kegelschub gelaufen. Es wäre menschlich von Ihnen, wenn Sie mir diesen unglücklichen Nachmittag durchbringen hülfen, eine Viertelstunde beim Notar, den Rest beim Italiener.«
Mit Vergnügen waren die Herren bereit. Fink führte sie zu einem bekannten Notar und bat diesen, vor beiden Zeugen eine Abtretungsurkunde auszustellen, da die Zession sofort erfolgen müsse und die Sache von größter Bedeutung sei. Er überreichte ein ehrwürdiges, in englischer Sprache geschriebenes Dokument, worin der Generaladvokat irgendeiner County im Staate New York urkundlich offenbarte, daß Herr Fritz von Fink Eigentümer des Territoriums Fowlingfloor, sowohl des Grund und Bodens als der darauf befindlichen Gebäude, Bäume, Gewässer und aller daran haftenden Nutzungen, sei. Darauf erklärte er vor dem Notar, daß er alle nach dieser Urkunde ihm zustehenden Eigentumsrechte an Herrn Anton Wohlfart, zur Zeit im Geschäft von T. O. Schröter, zediere, Zahlung dafür sei vollständig geleistet. Endlich bat er den Notar inständig, das Dokument schleunigst auszustellen und über die ganze Sache Stillschweigen zu bewahren. Der Herr versprach das, und die beiden Zeugen unterschrieben die Verhandlung. Beim Hinausgehen bat er diese ebenfalls mit mehr Ernst, als er sonst zu verwenden pflegte, diesen Akt als tiefes Geheimnis zu bewahren und vor allem gegen Herrn Anton Wohlfart selbst ein unverbrüchliches Schweigen zu beobachten. Beide gelobten das mit einiger Neugierde, und Herr von Zernitz konnte nicht umhin, zu bemerken: »Ich will nicht hoffen, Fink, daß Sie hier Ihr Testament gemacht haben, in diesem Falle wäre ich Ihnen dankbar gewesen, wenn Sie mir Ihre Büchse vermacht hätten.«
»Wenn Sie die Büchse von dem lebendigen Fink annehmen wollen«, erwiderte Fink, »so werden Sie ihn sehr glücklich machen.«
»Teufel!« rief der gutmütige Leutnant fast erschrocken. »So war es nicht gemeint. Ich weiß doch nicht, ob ich das mit gutem Gewissen annehmen darf.«
»Tun Sie es immerhin«, sagte Fink freundlich, »ich habe das Rohr satt, es wird bei Ihnen in guten Händen sein.«
»Es ist ein kostbares Geschenk«, warf der Leutnant mit Gewissensbissen ein.
»Es ist ein altes Rohr«, sagte Fink, »und morgen müssen Sie es ohne Widerrede annehmen, denn heut werden Sie mich nicht los, Sie sollen mit mir zu Feroni. Was aber die geheimnisvolle Abtretung der Güter betrifft, so handle ich hier nicht ganz freiwillig. Es ist eine Art politisches Geheimnis dabei, das ich auch Ihnen nicht mitteilen kann, schon deshalb nicht, weil mir die Sache selbst noch nicht klar ist.«
»Ist denn das Gut groß, welches Sie abgetreten haben?« fragte Herr von Tönnchen.
»Ein Gut?« fragte Fink und sah nach dem Himmel. »Es ist gar kein Gut. Es ist eine Bodenfläche, Berg und Tal, Wasser und Wald, ein freilich kleiner Teil von Amerika. Und ob dieser Besitz des Herrn Wohlfart groß ist? Was nennen Sie groß? Was heißt groß auf dieser Erde? In Amerika mißt man die Größe des Landbesitzes nach einem andern Maß als in diesem Winkel von Deutschland. Ich für meinen Teil werde schwerlich je wieder eine solche Besitzung mein Eigentum nennen.«
»Wer ist denn aber dieser Herr Wohlfart?« fragte auf der anderen Seite der Leutnant.
»Sie sollen nächstens seine Bekanntschaft machen«, antwortete Fink. »Er ist ein netter Junge aus der Provinz, über dem ein merkwürdiges Schicksal schwebt, von dem er selbst zur Zeit noch gar nichts weiß und nichts wissen darf. Doch genug von den Geschäften. Ich habe für diesen Winter etwas mit Ihnen vor. Sie sind zwei alte Knaben, aber Sie müssen doch noch einmal Tanzstunde nehmen.«
Bei diesen Worten traten sie in die Weinstube des Italieners, wurden von Feroni mit tiefen Bücklingen empfangen und vertieften sich schnell in Untersuchungen über die Reize der schweren Weine von Portugal.
Frau von Baldereck war eine Hauptstütze der allerbesten Gesellschaft, welche durch die Familien des Landadels, einige höhere Beamte und Offiziere gebildet wurde. Es war schwer zu sagen, welche Vorzüge der Dame eine solche achtunggebietende Stellung verschafft hatten, sie war weder sehr vornehm noch sehr reich, noch sehr elegant, noch sehr geistreich, noch sehr medisant, aber sie besaß von allen diesen Eigenschaften etwas. Sie hatte in ihrem Privatleben stets soviel als irgend möglich auf Grundsätze gehalten und hatte das Selbstgefühl gehabt, sich den Anspruchsvollen niemals aufzudrängen. Wegen dieser konstanten Mäßigung war sie von der öffentlichen Meinung erhöht worden. Sie besaß eine sehr ausgebreitete Bekanntschaft, war vertraut mit allen Heiraten und Verwandtschaften aller Familien der Provinz, stand in allen distinguierten Häusern auf der ersten Seite der Einzuladenden und machte als Witwe selbst ein mäßiges Haus, welchem der Hahnfederbusch eines Jägers und zwei fette Rappen zu anständigem Schmuck gereichten. Frau von Baldereck war zu alledem eine regelrechte Dame, welche Personen und Ereignisse genau nach den Vorurteilen der Gesellschaft, in welcher sie lebte, zu beurteilen wußte; deshalb wurde ihr Urteil überall mit großer Achtung angehört. Daß sie außerdem nicht ohne Gutmütigkeit war, rechnete ihr die Gesellschaft, für welche sie lebte, wahrscheinlich nicht so hoch an als der alte Engel des Gerichts, welcher im Himmel über die Taten der Menschen Buch führt und welcher, nebenbei bemerkt, nach der Usance seines heiligen Geschäfts oben auf die Seiten des Buches statt des irdischen Kredit