Erst spät trennten sich die Kollegen. Anton wollte nicht zu Bett gehen, bevor er seinem Freunde Fink das Glück berichtet hatte. Er eilte dem Ankommenden entgegen und erzählte ihm im Mondschein auf der Treppe das große Ereignis. Fink schrieb mit seiner Reitpeitsche eine lustige Acht in die Luft und sagte: »Es ist brav, daß das Vorderhaus auf den Einfall gekommen ist, ich hätte einen solchen Exzeß unserm Despoten nicht zugetraut. Jetzt kommst du ein Jahr eher übers Wasser in die große Welt.«
Am nächsten Morgen rief der Prinzipal den neuen Kommis in das kleine Zimmer hinter dem letzten Kontor, in das Allerheiligste des Geschäfts, und hörte lächelnd die Dankesworte Antons an. »Ich habe so gehandelt«, sagte er, »weil Sie tüchtig sind und weil der Brief, den Sie mir bei Ihrem Eintritt in das Geschäft überbrachten, Ihnen einen Kredit bei mir eröffnet hat. Es wird Ihnen Freude machen, daß Sie von jetzt ab durch Ihre eigene Tätigkeit Ihr Leben zu erhalten vermögen. Sie treten von heut in die Stellung, also auch in das Gehalt des Ausgeschiedenen ein.«
Zuletzt bei der Mittagstafel gratulierten auch die Damen dem neuen Geschäftsmann, Sabine kam sogar bis zum untern Ende des Tisches, wo Anton hinter seinem Stuhle stand, und begrüßte ihn dort mit herzlichen Worten, der Bediente setzte jedem der Herren eine Flasche Wein vor das Kuvert, und der Kaufmann erhob das Glas, und dem glücklichen Anton zuwinkend, sagte er mit gütigem Ernst: »Lieber Wohlfart, dies dem Andenken an Ihren guten Vater!«
Zweites Buch
1
An einem Sonntagmorgen las Anton emsig in dem Letzten Mohikaner von Cooper, während vor dem Fenster die ersten Schneeflocken ihren Kriegstanz anfingen und sich vergeblich bemühten, in das Asyl der gelben Katze zu dringen. Da trat Fink eilig in das Zimmer und rief schon an der Tür: »Anton, zeige mir deine Garderobe.« Er öffnete den Kleiderschrank, untersuchte den Leibrock und die übrigen Stücke mit großem Ernst, schüttelte den Kopf und schloß seine Musterung mit den Worten: »Ich werde dir meinen Schneider heraufschicken, laß dir ein neues Gewand anmessen.«
»Ich habe kein Geld«, antwortete Anton lachend.
»Unsinn«, versetzte Fink, »der Schneider gibt dir Kredit, soviel du willst.«
»Ich möchte aber nichts auf Kredit nehmen«, erwiderte Anton und setzte sich behaglich auf dem Sofa zurecht, um gegen seinen mächtigen Ratgeber zugunsten guter Wirtschaft zu plädieren.
»Diesmal mußt du eine Ausnahme machen«, entschied Fink, »es ist Zeit, daß du mehr unter Menschen kommst. Du sollst in die Gesellschaft treten, ich werde dich einführen.«
Anton stand errötend wieder auf und rief eifrig: »Das geht nicht, Fink, ich bin hier ganz unbekannt und habe noch keine Stellung, welche mir die Sicherheit gibt, in großer Gesellschaft aufzutreten.«
»Eben deshalb, weil du keine gesellschaftliche Courage hast, sollst du unter Menschen«, sagte Fink strafend. »Diese jammervolle Schüchternheit mußt du los werden, so schnell als möglich; sie ist der dümmste Fehler, den ein gebildeter Mensch haben kann! Verstehst du zu walzen? Hast du eine Ahnung davon, was eine Tour in der Quadrille ist?«
»Ich habe vor einigen Jahren in Ostrau Tanzstunde genommen«, versetzte Anton.
»Einerlei, du sollst noch einmal Tanzstunde nehmen. Frau von Baldereck hat mir gestern vertraut, daß einige Familien für ihre flüggen Märzhühnchen einen Tanzsalon einrichten wollen, damit diese in Sicherheit vor Raubvögeln die Flügel bewegen lernen. Die Tanzstunde soll in dem Hause der gnädigen Frau sein, welche ihr eigenes Küchlein darin für den Markt abrichten will. Das ist etwas für dich, ich werde dich dort einführen.«
Antons Seele wurde durch diese Zumutung stark alarmiert, er setzte sich erschrocken wieder auf dem Sofa zurecht und sagte mit aller Ruhe, über die er in diesem Augenblick verfügen konnte: »Fink, das ist einer von deinen tollen Einfällen, es ist unmöglich, daß ich darauf eingehe; Frau von Baldereck gehört zu der hiesigen Aristokratie, und die Tanzgesellschaft bei ihr wird ohne Zweifel aus demselben Kreise sein.«
»Ohne Zweifel«, nickte Fink, »reines blaues Blut, die Urgroßmütter sämtlicher Damen haben ohne Ausnahme im deutschen Urwald die Ehre gehabt, der Fürstin Thusnelda die Nachtmütze nachzutragen.«
»Siehst du«, sagte unser Held, »wie kannst du den Einfall haben, mich in diese Gesellschaft zu bringen; du würdest mir nur das bittere Gefühl bereiten, zurückgewiesen zu werden oder, was noch schlimmer wäre, eine übermütige Behandlung zu erfahren.«
»Soll man da nicht die Geduld verlieren?« rief Fink entrüstet. »Gerade du und deinesgleichen haben mehr Recht, den Kopf hoch zu tragen, als der größte Teil der Sozietät, welche dort zusammenkommen wird. Und gerade ihr seid es, die durch ungeschicktes Benehmen, bald durch Schüchternheit, bald durch Kriecherei, die Prätentionen der Landjunkerfamilien erhalten. Wie kannst du dich selbst für schlechter halten als irgend jemand anderen? Ich hätte nicht gedacht, daß eine solche Niedrigkeit auch in deiner Seele Raum findet.«
»Du irrst«, erwiderte Anton erzürnt, »ich halte mich nicht für geringer, als ich bin, aber es wäre töricht und anmaßend, wenn ich mich in die Gesellschaft anderer eindrängen wollte, welche mich aus irgendeinem Grunde nicht gerne sehen. Gerade mein Selbstgefühl verbietet mir, mit solchen zu verkehren, welche einen Mann deshalb geringer achten, weil er in einem Kontor arbeitet.«
»Ich sage dir aber, deine Person wird den guten Leuten nicht unangenehm sein, ich stehe dir dafür«, sagte Fink überredend. »Du kennst die Gesellschaft nicht und denkst dir alles viel zu schwer. Es ist Mangel an Herren, ich gelte etwas bei der Frau vom Hause – nebenbei gesagt, ich bin nicht stolz darauf –, sie hat mich gebeten, einige junge Männer meiner Bekanntschaft bei ihr einzuführen; ich führe dich ein, die Sache ist ganz in der Ordnung. Sieh das Geschäft doch etwas näher an. Was ist diese Tanzstunde? Es ist eine Art Aktienverein zur Verbesserung der Waden aller Teilnehmer, du bezahlst