Als der Abend hereinbrach, fuhren wir noch immer auf der Beach entlang. Der Himmel war wolkenlos, die Luft wurde kühl, glühend sank die Sonne unter den dunklen Meeresrücken, und links vor uns, weit weit draussen über der See schwamm eine auffallend blaue Bergespyramide in der Luft, der altehrwürdige Vulkan von Taranaki Mount Egmont, zu dem sich die Küste in einem weiten, mehr als 100 Kilometer langen Bogen hinüberzieht.
So lange wir auf dem glatten Ufersand fuhren, ging es trotz der Dunkelheit rasch dahin. Fünf grosse blitzende Laternen warfen ihr helles Licht voraus auf den Weg. Die vier Pferde fühlten, dass es galt, das Nachtquartier zu erreichen.
Kurz vor Foxton mündet der Fluss Manuwatu. Ihn zu überschreiten hatten wir eine Fähre etwa zwei Kilometer binnenlands aufzusuchen. Aber es war nicht leicht, den undeutlichen Weg durchs Gestrüpp zu finden, und erst als der Kutscher abstieg und mit einer Laterne rekognoszirte, entdeckte er, dass er zu weit auf der Beach gekommen war und zurückfahren musste. Ein wildes Wirrsal von Phormium und Schilf suchte unsere Fahrt zu hemmen, aber die eifrigen Pferde rissen ungestüm den heftig stampfenden und rollenden Wagen vorwärts, um so ungestümer je hartnäckiger die zähen Pflanzen sie zurückzuhalten strebten, dass die Fetzen davonstoben.
Endlich hielten wir an der Fähre. Lichter glimmten auf der anderen Seite der weiten Wasserfläche. Langsam trug die plumpe schwimmende Brücke, an ein quergespanntes Tau gefesselt, mittels des schräg gehaltenen Steuers durch die Strömung getrieben, Wagen, Pferde und Passagiere hinüber. Im Gallop gings dann durch einen lehmigen Hohlweg hinauf und vors Hotel.
Während wir in dem geräumigen Speisesaal des köstlichen, äusserst reinlich servirten Abendmahles genossen, bei welchem der Kutscher präsidirte gleichwie der Kapitän eines Schiffes, lungerten draussen in der schmutzigen und räucherigen Schnapsstube ein paar Maorifrauenzimmer herum, mit Hut und Schleier Europäerinnen imitirend, und betranken sich.
Seit wenigen Wochen war die Eisenbahn von Foxton nach Palmerston, eine Strecke von ungefähr 37 Kilometern, dem Verkehr übergeben. Mit Tagesanbruch sollten wir auf ihr weiterreisen und legten uns deshalb zeitig zu Bett.
Das Hotel war voll, und ich wurde mit drei anderen Reisenden zusammen in ein Zimmer gesteckt. Unter diesen befand sich ein europäisch und verhältnissmässig fein gekleideter Maori, der morgen früh mit demselben Zuge wegzufahren beabsichtigte. Er war beständig in Furcht nicht zur richtigen Zeit aufzuwachen, machte alle Stunden Licht und sah nach der Uhr, und als Mitternacht vorüber war, zündete er sich seine Pfeife an und rauchte, um ja nicht mehr einzuschlafen. Diese Unruhe störte auch unseren Schlaf, und die zwei anderen Weissen begannen zu schimpfen. Mich selbst liess die Neuheit des braunen Kerls tolerant gegen sein Benehmen, und ich blieb unparteiischer Zuhörer des Streites, in welchem der Maori sehr viel Gutmüthigkeit und Naivetät, die zwei Weissen sehr viel Gehässigkeit zu entwickeln schienen.
Die kurze Strecke Eisenbahn zwischen Foxton und Palmerston war, wie bereits erwähnt, erst seit ein paar Wochen eröffnet, und der Betrieb noch überaus primitiv und bummelhaft gemüthlich. Eine aussergewöhnlich kleine Maschine mit Tender und zwei Personenwagen amerikanischen Styls bildeten den ganzen Zug. Ziemlich lange schon war die fahrplanmässige Abfahrtszeit vorüber, die Passagiere trippelten laut vor Kälte und Ungeduld mit den Füssen, die Lokomotive summte, aber Maschinist und Schaffner fehlten noch. »Charly, Charly« rief der Billeteur durch die Hinterthüre des Miniaturstationsgebäudes nach einer Kneipe hinüber, und auch wir riefen aus Leibeskräften »Charly, Charly«. Jedoch Charly kam nicht. Wir stiegen wieder aus, und erst eine Viertelstunde später erschien mit einem Rudel Freunde der Schaffner, frug nach dem Maschinisten und ging ihn suchen, worauf sogleich dieser erschien und nun den Schaffner suchen ging. Und als endlich beide sich gefunden hatten, und der Zug in Bewegung war, musste nochmals gehalten werden, weil man den Briefsack vergessen hatte.
Norddeutsche Freunde sagen meinem edlen baiuvarischen Vaterlande nach, dass dort Eisenbahnzüge an allen Stationen länger hielten, wo die Kondukteure gutes Bier wüssten. In Neuseeland würde ich dies unbedingt für möglich halten, wenn es in Neuseeland überhaupt einen Stoff gäbe, dem der Baiuvare den Namen Bier zuerkennen möchte.
Es ging durch flaches dünenartig welliges Land, vorne im Osten erhoben sich blaue Berge. Farn bedeckte weithin den Boden und machte von ferne den Eindruck unseres heimischen Haidekrauts. Dunkle Büschel von Phormium tenax und die graziösen Rispen von Arundo conspicua, bald vereinzelt, bald dichter zusammengedrängt, ragten darüber hervor, Schilfhütten und Zelte lagen zerstreut und kaum erkennbar in die übermannshohe Vegetation eingebettet. Männer, Weiber, Kinder und Hunde standen zuweilen oben am Rande der Bahneinschnitte, sahen herab auf unseren gemächlich dahin wackelnden Zug, und kalt glänzte hinter ihren dunklen Gestalten der wolkenlose Morgenhimmel. Die Passagiere froren und klopften mit den Füssen, und in der frostigen Stimmung, die ringsum herrschte, bedauerte ich herzlich jene armen Wilden, die hier in einer so unwirthlichen Landschaft ohne genügende Wohnstätten und ohne genügende Kleidung leben mussten. Hie und da kamen dann auch Maorihütten, die einer höheren Kulturstufe angehörten, bis zu europäischen Holzhäusern mit Veranden hinauf. Aber nur wenige Fenster waren ganz an diesen, und alle Theile, Dach und Wände, hatten Defekte und trugen den Stempel der Verlotterung.
Ein hoher Busch nahm uns auf. Der Durchhau für die Bahn war so schmal, dass über ihm die Bäume zusammenschlugen und eine grandiose Laube bildeten. Weisse Zelte, über deren Eingang häufig ein Stück rohen Fleisches hing, guckten hie und da aus dem Dickicht, die Nachtquartiere von Bahnarbeitern. An einer Stelle mussten wir halten, weil die Schienen momentan nicht in Ordnung waren. So quälten wir uns langsam durch diesen herrlichen Busch, dessen Genuss die Kälte schwer beeinträchtigte.
Die Gesellschaft, meist männlichen Geschlechts, war einsilbig und verfroren und roch nach Schnaps. Nur mein Schlafgefährte der letzten Nacht, der eisenbahnfiebrige Maori, war munter und redselig.
Er hatte in mir einen ausnahmsweise wohlwollenden »Pakeha« (Europäer) erkannt und suchte mich unausgesetzt zu unterhalten, und wenn ihm gerade nichts zu schwatzen einfiel, so blinzelte er mir wenigstens freundlich mit den Augen zu. Er machte mich auf seine schöne Bekleidung aufmerksam, auf seine Stiefel, die bis zum Knie reichten, und dass er Unterhosen trug. Alles musste ich bewundern und befühlen, Hose und Weste, Stiefel, Rock und Hut. Ganz besonders stolz aber war er auf seine goldene Uhr, die er überlegen lächelnd meiner silbernen gegenüberhielt. Und von jedem dieser Artikel sagte er mir den Preis und war erstaunt, vielleicht auch misstrauisch, als er mich umsonst um den Preis der meinigen frug, den ich nicht mehr wusste. Er war schwer zu verstehen, obwohl er besser englisch sprach, als je ein anderer Maori vor oder nach ihm, mit dem ich in Berührung gekommen bin. Aber die Aussprache des »S«, welcher Buchstabe im Maori, wie in den meisten polynesischen Sprachen fehlt, machte ihm grosse Schwierigkeit und gelang auch ihm nicht immer. Statt »Sixpence« sagte er »Hickipenni« und »Chilling« statt »Shilling«.
Das Wetter verdüsterte sich, ehe wir in Palmerston ankamen, wo jenseits eines freien Platzes, auf welchem noch die frischen Stümpfe gefällter Bäume aus der Erde hervorstanden, das Hotel mit dem Frühstück und davor die bereits angespannte Postkutsche unser harrten.
Palmerston bot mir das richtige Bild einer hinterwäldlerischen Ansiedelung. Ringsum ist Busch. Ausser ein paar grösseren Holzhäusern sieht man nichts als ganz kleine, niedliche Hütten, eine genau wie die andere, ebenfalls aus Holz und nur die ziemlich geräumigen Schornsteine gemauert, durch das weithin gelichtete Terrain zerstreut. Vereinzelt stehen noch etliche Bäume in ihrer ganzen gigantischen Höhe und vermehren dadurch die Winzigkeit der Hütten. Sägemühlen dampfen geschäftig, und schwere Blockwagen tragen ihnen die Riesen des Waldes zu.
Eine halbe Stunde von Palmerston entfernt erreichten wir wieder den schmutzigen Manuwatufluss und eine Fähre, um abermals, zurück nach dem linken Ufer, überzusetzen. Die Pferde wurden ausgespannt, und der Wagen mit vereinten Kräften der Fährleute und des Kutschers an der Deichsel und an Stricken, das Hintertheil voran, den steilen, lehmigen Uferrand hinabgelassen auf eine Platform aus Brettern, welche auf zwei schwächlich aussehenden Kähnen ruhte, denen ich ohne diese Probe eine solche Tragfähigkeit niemals zugetraut hätte. Dann kamen paarweise