Bald nach diesem nautischen Intermezzo erreichten wir die Berge und die wegen ihrer halsbrecherischen Gefährlichkeit berühmte Strasse durch die Manuwatu Gorge, von der man sich in Neuseeland in höherem Masse, als von irgend einem anderen Punkt der Postlinien wundert, dass sie noch nie eine Kutsche zu Fall, das heisst zum Sturz in den Abgrund gebracht hat. Etwa dreissig Meter unter uns zur Linken toste der Manuwatu über Felsblöcke und Baumstämme, zur Rechten war eine steile, zuweilen drohend überhängende Felswand, und wäre eines der vier Pferde scheu geworden, nichts hätte uns gehindert, hinabzustürzen.
Ein überaus herrlicher Busch baut sich jenseits in die Höhe, unzweifelhaft das Schönste, was ich je an Waldszenerie gesehen. Das helle Grün elegant geformter Farnbäume strahlt prangend aus den dunkleren Farben üppigen Unterholzes und majestätischer Baumriesen, an denen Schmarotzerpflanzen in buntester Mannigfaltigkeit sich hinanschlingen. Wunderbar leicht und graziös wachsen alle diese Laubmassen auseinander hervor, von den überhängenden Zweigen unten, die ins Wasser des schäumenden Gebirgsstromes tauchen, bis hinauf zu den luftigen Höhen, in denen sich die Wipfel der Totaras wiegen. Tiefe Ruhe und Einsamkeit lagert über dem Ganzen, nur selten unterbrochen durch das dann um so befremdender klingende seltsame Geschrei eines aufgeschreckten Papageis oder Tuis, die wenige Augenblicke sichtbar, über den Busch hinwegfliegen, um sogleich wieder in den geheimnissvollen Schatten einer dunklen Laubhöhle zu tauchen. Nur Tauben sind weniger vorsichtig und bleiben oft sitzen, bis wir so nahe sind, dass wir sie schiessen könnten. Schade, dass die gefährliche Situation den Genuss all dieser Schönheit störte. Immer wieder wurde das Auge nach dem Boden abgelenkt, der kaum einen Fuss von den Rädern fast senkrecht abgeschnitten war.
Noch eine Biegung, eine hochbeinige hölzerne Brücke erscheint, wir poltern donnernd im Gallop über sie hinweg. Die gefährliche Gorge ist hinter uns, aber auch die schöne romantische Szenerie ist vorüber, und die Ansiedelung Woodville zieht sich an der Strasse entlang, auf welcher Schaaren gesund und fröhlich blickender Kinder uns entgegen lärmen. Die Brücke ist zugleich die Grenze zwischen den Provinzen Wellington und Napier, und wir befinden uns nun in der letzteren. Bis nach Takapau, unserem Nachtquartier, ging es durch den Seventy Miles Busch und hauptsächlich durch skandinavische Ansiedelungen, deren eine den Namen Danewirk führt.
Mittag machten wir in einem einsamen Gehöft, in dessen Nähe ich die ersten Maorihütten im alten Style sah, niedrig und mit vorspringendem Dach tief in der Erde steckenden Schweizerhäuschen nicht unähnlich, melancholisch öde, ohne Menschen, nur von einigen weidenden Pferden umgeben. Ein altes Maoriweib begegnete uns in Lumpen gehüllt, blieb oft stehen und saugte gierig an einer Medizinflasche, welche einen röthlichen Stoff, wahrscheinlich Rum enthielt.
Unser Nachtquartier Takapau bestand aus einem Gebäude, welches den stolzen Namen »Railroad Hotel« unter dem Giebel trug. Hinter ihm jungfräulicher Urwald, vorne eine wellenförmige Stoppel und Moorebene, von einer Eisenbahn weit und breit nichts zu entdecken. Der Schienenstrang von Napier her war vorerst noch nicht über das Stadium des Projektirtseins hinausgekommen, aber doch gab es hier in der Wildniss bereits ein Railroad Hotel.
Am nächsten Tag, der uns nach Napier bringen sollte, kamen wir zum Dinner an eine höhere Stufe der durch die künftige Bahn bedingten Entwicklung. Waipakarao hiess der Ort, ein Dorf der Zahl, ein Städtchen dem Aussehen seiner Häuser nach, die alle neublinkend in einer Reihe stehen, ringsum weitgestreckte Wiesenflächen. Es berührte komisch, mitten in solcher Ländlichkeit die Aufschrift »Bank of New Zealand« zu lesen. Grossartige Geldgeschäfte waren in dieser Filiale wohl noch nicht abgemacht worden. Indess war hier die Eisenbahn schon im Bau begriffen, die Gegend ist fruchtbar, und aus der einen halben Strasse kann sich in kürzester Zeit eine blühende Stadt entwickeln.
Dass es in Waipakarao viel Vieh geben musste, darauf deuteten die allenthalben auf den Wiesen errichteten Schlachtgalgen hin. Ich hatte diese eigenthümlichen Gerüste, welche dazu dienen, die unglücklichen Rinder mittels eines Rades in die Höhe zu winden, um sie bequemer zu tödten und abzuhäuten, aus der Ferne für Ziehbrunnen gehalten, bis ich sie näher betrachtete und die blutigen Spuren ihres Zweckes einsah.
Unweit davon kreuzten wir den Tukituki Fluss in der landesüblichen Weise, indem wir einfach hindurchfuhren, neben der Eisenbahnbrücke, die in den nächsten Tagen vollendet sein sollte. Bald darauf gings durch das Städtchen Waipawa und über den Eisenbahndamm, vor welchem bereits eine funkelnagelneue Tafel »Look out for the Locomotive« warnte.
Wieder kam eine Stunde menschenleerer Einsamkeit, und unter einem immer düsterer werdenden Himmel dehnte sich eine wüste gelbgebrannte Steppe, durch welche ein ausgetrocknetes kiesiges Flussbett mit einem dünnen Wasserfaden sich schlängelt. Phormiumdickichte und die seltsamen starren Büschelköpfe der für Neuseeland so charakteristischen Cordyline australis, einzeln oder zu kleinen Wäldchen gruppirt über jene hervorragend, sahen fast aus, als ob sie einer früheren geologischen Epoche angehörten und nicht mehr in unser Zeitalter passten. Ringsum Todesstille. Selbst Pferde und Wagen sind kaum hörbar auf dem weichen Rasen, der ab und zu den schwarzen Moorboden bedeckt.
Eine einsame Seemöve flog unstät ihre Richtung ändernd über die düstere Landschaft. Hatte sie sich verirrt, oder fliegen hier die Möven über ein hundert Kilometer breites Land von einer Küste zur anderen, oder war es eine darwinistisch gesinnte Möve, die des wilden Seelebens satt sich in den Kopf gesetzt hatte, ein ehr- und tugendsamer Landvogel zu werden? Der Weg wurde wieder herzlich schlecht und nahm stellenweise den Charakter eines richtigen Moorsumpfes an, in den die Räder tief einschnitten, bis wir endlich eine Hügelkette erreichten. Jenseits derselben begann ein Wald, der stellenweise gelichtet und mit den Hütten von Holzschlägern durchsetzt war. Diese Hütten hatten alle nicht nur hölzerne Wände und Dächer, sondern auch hölzerne Schornsteine, aus schweren grob gearbeiteten Bohlen flüchtig zusammengezimmert und grossentheils halbverkohlt.
Kurz vor Te Aute sahen wir in der Ferne einige Maorigehöfte, und bald darauf passirten wir eine noch interessantere Stätte. »Dies ist die Repudiation Office« sagte mit spöttischem Ausdruck der Kutscher, indem er auf eine durch Neuheit glänzende Hütte wies, und machte mich dadurch auf eine berechtigte Eigenthümlichkeit Neuseelands aufmerksam, von der ich noch nichts wusste.
Bekanntlich hatten die Engländer in Folge schreiender offiziell sanktionirter Ungerechtigkeiten von 1860 bis 1870 einen zehnjährigen Krieg mit den Maoris zu bestehen, welcher ihnen oft Gelegenheit gab, soviel Respekt vor der Tapferkeit und Kriegsfähigkeit dieser sogenannten Wilden zu bekommen, dass sie sich nunmehr ängstlich hüten, abermals mit ihnen anzubinden. Die weissen Ansiedler müssen heutzutage das Land, was sie von den Maoris haben wollen, auf ehrliche Weise erwerben, und die gute alte Zeit, in welcher man sich grosse Besitzthümer erschwindeln konnte, ist vorüber. Nun aber entstand eine Partei, welche vorgiebt, dass ihr dieser einfache goldene Mittelweg der Gerechtigkeit noch nicht genüge, und behauptet, sich in ihrem Gewissen so lange bedrückt zu fühlen, bis alle seit undenklichen Zeiten geschehenen Landkäufe geprüft und wenn nicht in Ordnung befunden, rückgängig gemacht worden sind. Solch hoher Edelsinn konnte natürlich nicht verfehlen, sofort die Herzen der Maoris zu gewinnen. Die Gegner freilich waren der Ansicht, dass es nur ein Blendwerk sei, unternommen um die treuherzigen Wilden desto sicherer auszubeuten. Das ungefähr verstand man damals unter Repudiation Party, und die neue Holzhütte an der wir vorüberfuhren, war eines der Hauptquartiere, die Repudiation Office von Te Aute, bestehend aus einem Direktor, zwei Advokaten und zwei Dolmetschern.
Bis nach Te Aute kam uns die fertige Eisenbahn entgegen, und in einem auffallend komfortablen und eleganten Wagen fuhren wir nach Napier. Ein geschwätziger, alter Herr, ein reichgewordener »Schafbaron« sass neben mir und erklärte mir die Gegend. Das Land zwischen Te Aute und Napier ist flach und ganz im Gegensatz zu den bisher gesehenen, weniger kultivirten Gegenden Neuseelands saftig grün von erst kürzlich gesäetem englischem Gras. Ueberall weiden Schafe. Auf einem Farnhügel stand ein alter Maori-Pa, der jetzt nur mehr wenige Hütten enthielt. Noch ragten zwei schlanke Pfeiler, nach oben etwas anschwellend und mit ornamental geschnitzten Kapitälen ähnlich den Gondelpfosten zu Venedig empor, deren früher hier hunderte gewesen sein sollen. Sie waren einst ein charakteristischer Schmuck der befestigten Dörfer.
Als wir Napier erreichten, war es bereits Nacht. Ich fuhr in einer Droschke ins Kriterion Hotel, berühmt in ganz Neuseeland durch