Eine Hügelkette tritt nahe ans Ufer vor und zwingt einen Theil der Stadt, sich sowohl terrassenförmig an ihr aufzubauen als auch den seichteren Partieen des Hafens Land abzugewinnen, womit Geröll herbeischleppende Eisenbahnzüge auf der nur wenige Kilometer am westlichen Rande der Bai hin nach einem Dorf namens Hutt River führenden Strecke fortwährend beschäftigt sind. Mag dieses auch viel Geld kosten, und wird auch deshalb viel wegen verfehlter Anlage geschimpft – und wo in der Welt wird nicht geschimpft – die Ansicht von Wellington ist durch solche Terrainschwierigkeiten nur um so hübscher. Der Tourist kümmert sich bekanntlich egoistischer Weise nicht um die Kosten, die eine schwierige Landschaft macht, wenn sie nur das Auge befriedigt.
Ein langes und mächtig breites Pier führt hinaus zum tieferen Wasser, wo die grossen Schiffe liegen. Ihm gegenüber steht das Zollgebäude und die Post. In Folge eines Erdbebens, welches vor etwa zwölf Jahren die Bevölkerung in einen noch jetzt nicht ganz verklungenen Schrecken gesetzt hat, sind alle Häuser von Holz bis auf zwei von Backstein, die deshalb als Merkwürdigkeiten gezeigt werden. Das Holz als Baumaterial thut übrigens dem Styl der Bauwerke keinen Eintrag. Das neue Regierungsgebäude ist ein stattlicher Palast in der gediegensten Renaissance, und die Hauptkirche täuscht dem Fremdling von ferne eine stolze gothische Kathedrale aus weissem Marmor vor, bis er näher tritt, und der Marmor in eitel Tünche sich auflöst. Ueberall sind Gärten zerstreut, in denen der zwar höchst dankbare und nützliche aber unschöne aus Australien importirte Eukalyptusbaum vorherrscht.
Die ersten Tage in Wellington vergingen mir wie die meisten ersten Tage in überseeischen Städten. Man wird von dem deutschen Bruder und Landsmann in Beschlag genommen und als neueste Merkwürdigkeit überall herumgezeigt, man lässt sich treaten und treatet zur Abwechselung selbst, und legt sich am Abend mit schwerem Kopf und mit dem Gedanken, dass es eigentlich sehr viel langweilige Menschen giebt, zu Bett. Das in allen jungen Ländern aufrechterhaltene schöne Prinzip der Ständegleichheit und der in Abstrakto gewiss unanfechtbaren Hochhaltung der Arbeit scheint im grossen Ganzen auf den deutschen Gevatter Schneider und Handschuhmacher nicht sehr vortheilhaft einzuwirken. Er wird leicht unverhältnissmässig selbstbewusst.
Man trägt in Wellington fast niemals Handschuhe und befleissigt sich einer löblichen Enthaltung von Luxus und Kleiderpracht. Rothbackige Kinder tummeln sich auf den freien Plätzen. Reiter mit Marktkörben sprengen vom Lande herein um Vorräthe zu kaufen. Zeitungsjungen schreien mit denselben gellenden Stimmen wie in England oder Amerika ihre Blätter aus.
Ganz besonders unangenehm sind hier die meteorologischen Eigenthümlichkeiten des stürmereichen neuseeländischen Herbstes wegen der Fülle von Staub, die der sandige Boden liefert. Die Windstösse kommen so plötzlich und heftig, dass man oft mehrere Schritte zurückgedrängt wird, und einmal sah ich den grossen Jagdhund meines Hotelwirths von einem solchen dermassen überrascht, dass er schleunig sich umwandte und entsetzt mit eingekniffenem Schwanze davon lief. Es werden schauerliche Geschichten von der Gewalt des Windes erzählt. Manchmal soll es nicht möglich sein das Landungspier zu betreten ohne Gefahr ins Wasser geweht zu werden.
Unter den Sehenswürdigkeiten der Metropole nimmt das Museum die erste Stelle ein. Wie alle derartigen Institute ausserhalb Europas ist dasselbe ziemlich universeller Art. Naturalien und Kunstgegenstände, lebende Thiere und ein Münzkabinett, Waffen und getrocknete Pflanzen, alles Mögliche findet sich neben einander aufgestellt. Von hervorragender Schönheit ist das Innere eines Maoriversammlungsgebäudes, aus stylvollen Holzschnitzereien zusammengesetzt. Unter den Münzen sah ich einen bairischen Sechser neben chinesischen und brasilianischen Geldstücken paradiren. Ein grosser botanischer Garten war erst im Entstehen begriffen. Vorläufig erinnerte in der Wildniss hinter der Stadt, welche diesen Namen trug, nichts als das Verbot Pflanzen abzureissen und Hunde mitzubringen an ihre Bestimmung.
Ich besuchte das Hospital, das Irrenhaus und die Kaserne für die Immigranten, in welcher diese von der Regierung verpflegt werden, bis sie Arbeit gefunden haben, und fand Alles sehr gut und zweckmässig eingerichtet. Meinem Hotel gegenüber lag der Gerichtshof, ein griechischer Säulentempel. Die Richter schwitzen hier unter denselben altmodischen Perrücken wie zu Hause in England. Es wurde eben ein Ehescheidungsprozess verhandelt. Ein Chinese, der erste und letzte, den ich in Neuseeland sah, liess sich von seiner abwesenden weissen Gemahlin, die mit einem Anderen durchgegangen war, trennen. Das zahlreiche Publikum benahm sich ernst und würdig, obwohl das sonderbare Pidschin English des Mongolen die Lachlust erregte, so oft er den Mund aufthat. Neben dem Gerichtshof ist das Athenäum, ein Lesesaal, in welchem alle möglichen Zeitschriften aufliegen. Jede noch so kleine Stadt Neuseelands hat ihr Athenäum, in welchem der gebildete Fremde als Gast stets willkommen ist. Auch einen feinen Klub besitzt Wellington, unser Konsul hatte die Güte mich dort einzuführen. Im grossen hölzernen Theater wurde nicht gespielt, weil keine Schauspieler vorhanden waren. Man erwartete eben aus Melbourne eine für den Winter engagirte amerikanische Mimengesellschaft mit etlichen »Stars«.
Neuseeland macht unter allen Ländern, die ich kenne, den solidesten Eindruck. Man sieht keine Bettler. Es scheint ein mehr allgemeiner Wohlstand zu herrschen ohne die Extreme von Reichthum und Armuth. Die servilen noch immer mit dem Stempel ihrer einstigen Leibeigenschaft gebrandmarkten Bauerngestalten fehlen gleichwie in Amerika. Jedermann ist sich bewusst, im grossen Ganzen eben so viel werth zu sein wie ein Anderer.
Die Hotels sind gut und billig, billiger als bei uns und unvergleichlich besser. Ich habe selten mehr als acht Mark pro Tag bezahlt. »Two Shillings for the Bed and for every Meal« ist der beinahe allgemein übliche in ganz Australien geltende mittlere Satz, wofür bis auf die Spirituosen Alles gewährt wird, was die täglichen Bedürfnisse eines anständigen Menschen verlangen. Dass zu diesen auch ein Badezimmer, bei uns leider noch als Luxusartikel betrachtet, gehört, versteht sich in jedem Lande englischer Zunge von selbst. Keinem Menschen fällt es ein, Trinkgelder zu geben, die einer höheren Kulturstufe überhaupt unwürdig sind. Das Aufwartepersonal wird vom Wirth so gehalten, dass es nicht zu betteln braucht. Die Rubriken für »Bougies« und »Service« und ähnliche schmähliche Prellereien sind unbekannte Dinge. Eine Prostitution weisser Rasse giebt es kaum, oder sie ist auf das menschenmöglichste Minimum reduzirt. Bei der stark überwiegenden Zahl der männlichen Bevölkerung hat jedes neuankommende Mädchen die beste Aussicht, zu heirathen. Weibliche Dienstboten sind deshalb ein äusserst gesuchter Artikel, und die Löhne und Anforderungen derselben dürften nach den Begriffen deutscher Hausfrauen haarsträubend zu nennen sein.
Der Königin Geburtstag (24. Mai), der in die Zeit meiner Anwesenheit fiel, gab mir Gelegenheit, einem militärischen Schauspiel beizuwohnen. Die gesammte Miliz Wellingtons, Infanterie und Artillerie, rückte zur Parade aus. Sie ist ganz eben so gekleidet und equipirt wie die englische. Dass sie im letzten Maorikrieg wenig Erfolge gewann, konnte nicht wundern, wenn man sie sah. Eine grössere Strammheit zeigte die sehr geschmackvoll uniformirte, dunkelgrüne Konstabulary Force, die stehende Söldlingsschaar der Kolonie. Sie rekrutirt sich hauptsächlich aus Mauvais Sujets – jene Menschensorte, die in Bezug auf ritterliche Erscheinung dem Spiessbürger allenthalben überlegen ist.
Meine grösste Aufmerksamkeit zogen natürlich die Maoris auf sich. Man begegnet ihnen in Wellington ziemlich häufig auf der Strasse, und in einem Wirthshaus Namens »Crown und Anchor Hotel«, das sie mit Vorliebe besuchen, um dem Schnapstrinken zu fröhnen, kann man jederzeit sicher sein, eingeborene Zecher zu finden, meist alte Häuptlinge, die hier ohne Beschäftigung von dem Ertrag ihrer Landverkäufe leben. Das Frappanteste bei ihrem ersten Anblick sind die kunstvollen Tätowirungen, in die Haut einziselirte Arabesken von hohem Kunstwerth, welche über und über ihr Gesicht bedecken, so dass es von ferne ganz blau zu sein scheint, und welche ihren harten und grossen Zügen einen starken Ausdruck von Wildheit verleihen. Einige hatten etwas Stolzes und Gebieterisches in ihrer Haltung und trugen den Stempel einer ursprünglich edlen und hochbegabten, jetzt aber immer mehr