Bei ihren Weibern sieht man zuweilen schöne wohlgebildete Gestalten, aber naturgemäss giebt sich bei diesen die Verkommenheit noch viel deutlicher kund als bei den Männern. Struppig hängen ihnen die ungekämmten Haare in die Stirn herein, ihr meist grellfarbiger Anzug ist unordentlich, und die europäischen Röcke stehen ihnen eben so abscheulich wie allen Wildinen. Häufig hocken sie betrunken auf der Strasse herum. Die Weiber höherer Abkunft sind kenntlich an eintätowirten blauen Ornamenten, die sich auf das Kinn und die Lippen beschränken. Die Sprache der Maoris klang mir äusserst wohllautend. Wenn sie sich unterhalten, so begleiten sie ihre Reden gewöhnlich mit einem sehr lebhaften Mienen- und Geberdenspiel, wie alle leicht erregbaren Menschen. Ihr Jähzorn ist bei den Kolonisten sprichwörtlich geworden, sie sagen von einem jähzornigen Menschen, er habe ein »Maori Temper«.
Man erzählte mir, dass sie noch immer die alte Begrüssungsform des Nasenreibens übten. Ich lauerte aber in Wellington vergebens darauf. Erst später in Tauranga war ich so glücklich, diese eigenthümliche Sitte zu beobachten.
Die Maoris von Wellington wohnen zerstreut in den äusseren ländlichen Theilen der Stadt ungefähr ebenso wie ihre europäischen Nachbarn. Nur im »Te Aro« Viertel sind noch die Ueberreste einer ehemals grösseren Maori-Ortschaft gleichen Namens sichtbar, etwa sechs oder acht erbärmliche schmutzige Holzhütten. Dorthin begleitete ich einst einen mir befreundeten Arzt um einen alten Häuptling, der an Lähmung litt, zu elektrisiren. Ein Dutzend brauner Kerls mit blauen Gesichtern liefen zusammen, Zeugen unserer Zauberei zu sein. Schliesslich formirten wir eine Kette und elektrisirten die ganze Gesellschaft. Es war höchst komisch wie furchtsam sie gegen die geheimnissvoll brummende Maschine sich benahmen, und wie sie überrascht und entsetzt zusammenfuhren, als sie ihre Wirkung fühlten. Obwohl der Strom so schwach war, dass wir beide ihn durchpassiren liessen, ohne einen nennenswerthen Schmerz zu empfinden, schnitten die braunen Kerls Grimassen und stöhnten als ob sie gefoltert würden.
Der anständigste und zivilisirteste Maori meiner Bekanntschaft blieb immer mein erster, jener Steuermann der Barkasse, welche bei unserer Ankunft die Hafenkommission an die Euphrosyne gebracht hatte und während meiner Quarantäne fast täglich nach Somes Island gekommen war. Als Staatsangestellter lebt er nüchtern und in geordneten Verhältnissen und pflegt an schönen Sonntagen nebst seiner braunen Gattin und zwei hübschen Kindern festlich geputzt spazieren zu gehen.
Da es mich interessirte, für die Mortalitätsziffer unserer Typhusepidemie an Bord der Euphrosyne einen Massstab zu haben, opferte ich etliche Tage, um in den Akten des Immigrationsamtes nach den entsprechenden Ziffern anderer vor uns angekommener Schiffe zu suchen. Leider war das durch diese gelieferte zweifellos sehr werthvolle statistische Material nicht des Aufhebens werth erachtet worden. Kein Mensch hatte sich darum gekümmert, es war verloren. Nicht einmal die Journale der Schiffsärzte waren vorhanden. Nur durch die Geldabrechnungen der Kassabeamten, die man mit der grössten Liebenswürdigkeit und Liberalität und ohne Bedenken mir durchzumustern gestattete, und nur durch den Umstand, dass kontraktmässig für die auf der Reise Gestorbenen kein Passagegeld gezahlt wird, weshalb jeder Todesfall auch in den Quittungen eine Rolle spielt, erfuhr ich einigermassen was ich wünschte.
Seit dem Beginn des gegenwärtigen Immigrationssystems im Juli 1871 waren im Ganzen 262 Segelschiffe (248 englische, 12 deutsche, 2 norwegische) mit 71 693 Einwanderern von Europa nach Neuseeland abgegangen und bereits verrechnet. Die mittlere Passagierzahl für das einzelne Schiff war 300, die geringste 6, die höchste 651 gewesen. Von diesen 262 Schiffen war eines, der Kospatrick, im November 1874 beim Kap der Guten Hoffnung mit sämmtlichen 429 Passagieren und der ganzen Mannschaft durch Feuer zu Grunde gegangen. Von den übrigen 261 Schiffen hatten einige in Folge von Havarie in Zwischenhäfen einlaufen müssen, wobei fast jedesmal etliche Passagiere desertirten, was dann immer eine Menge Schwierigkeiten, Requisitionen und Auseinandersetzungen für das Immigrationsamt herbeiführte. Nur 38 Schiffe hatten auf der ganzen Reise von 90 Tagen mittlerer Dauer keinen Todesfall zu verzeichnen gehabt. So glücklich waren aber fast nur solche mit weniger als 200 Passagieren und ein einziges mit mehr als 300 gewesen. Im Ganzen zählten die 261 Schiffe (ohne den Kospatrick) 1404 Todesfälle, worunter 588 Säuglinge, 648 Kinder von 1 bis 12 Jahren, 168 Personen über 12 Jahre, »Statute Adults« genannt. Ueber 10 Todte hatten 37, und über 20 Todte 9 Schiffe gehabt. Diese letzteren 9 Schiffe repräsentirten ein Sterblichkeitsverhältniss von 4 bis 10 Prozent. Doch mochten auch unter den übrigen noch genug ebenso schlimme relative Zahlen zu finden sein. Die zugleich relativ und absolut höchste Todtenziffer war 34 von 340 Passagieren, = 10 Prozent. Da unter den 588 gestorbenen Säuglingen viele gewesen sein mögen, die während der Reise geboren waren und deshalb nur als Abgänge nicht aber als Zugänge auf den Listen standen, so fehlt für diese jeder Anhaltspunkt, ihre Mortalität für sich zu beurtheilen. Und auch für die beiden anderen Alterskategorien lässt sich kein spezielles Verhältniss angeben, weil nirgends die gesammte Passagierzahl, sondern blos die Todesfälle nach solchen unterschieden waren.
Da wo eine auffallende Sterblichkeit unter den Kindern herrschte, mögen wohl Scharlach und Masernepidemieen, und wo die Erwachsenen sich überwiegend an der Sterblichkeit betheiligten, vielleicht Typhusepidemieen die Ursache derselben gewesen sein. Im Allgemeinen schien mir hervorzugehen, dass die Sterblichkeit unter gewöhnlichen Verhältnissen ziemlich wenig, durchschnittlich etwa 0,5 Prozent betrug, und dass da wo diese Ziffer erheblich übertroffen wurde, Epidemieen zu Grunde gelegen haben müssen. Immerhin konnte ich mit meiner Euphrosyne-Typhusmortalität von 1,7 Prozent (6 Erwachsene, 1 dreijähriges Kind, aus 397 Personen) den mindestens 9 Schiffen von 4 bis zu 10 Prozent gegenüber ganz beruhigt und zufrieden sein.
Mit dem Hospital sollte ich noch eine intimere Bekanntschaft machen als mir lieb war. Schon während ich die Akten des Immigrationsamtes für meine Mortalitätsstatistik durchmusterte, litt ich so sehr an Kopfweh, dass ich krank zu werden fürchtete, und als ich einige Tage darauf den 200 Meter hohen Mount Viktoria bestiegen hatte, auf welchem die Signalstation für die von draussen hereinkommenden Schiffe eine wundervolle Aussicht auf die Südinsel und den Ozean beherrscht, überfiel mich ein starker Schüttelfrost und eine Mattigkeit, dass ich kaum mehr nach Hause kam. Ich mass meine Temperatur und fand 40 Zentigrade. Dies bewog mich am nächsten Morgen aus dem Hotel ins Hospital überzusiedeln. Ich glaubte nun selbst den Typhus zu haben. Eine Woche später aber war ich wieder gesund und voll frischer Reiselust.
Es litt mich nicht länger mehr in Wellington. Meine anfängliche Absicht, einige der blühenden Städte auf der Südinsel zu besuchen, gab ich auf, da ich diese durch tagelange Dampferfahrten hätte erkaufen müssen. Von der See hatte ich vorläufig genug, und ich beschloss deshalb, durch das Innere der Nordinsel mit seinen berühmten Geysern und seiner zahlreichen Maoribevölkerung nach Auckland zu gehen.
Das Reisen in diesen Gegenden hat heutzutage keine Schwierigkeiten mehr. Poststrassen durchziehen die Wildniss, und fast überall findet man an den Nachtstationen gute Hotels. Eine Menge Touristen aus sämmtlichen Theilen Australiens treibt sich zu Fuss, zu Ross und zu Wagen dort herum.
VII
VON WELLINGTON NACH OHINEMUTU
Ein Neuseeländischer Urwald. Die Post und ihre Gefahren. Pahantanui, Otaki und Foxton. Neuseeländische Eisenbahngemüthlichkeit und ein eisenbahnfiebriger Maori. Die Manuwatu Gorge und der Seventy Miles Busch. Palmerston, Waipakarao und Waipawa. Die Repudiation Office von Te Aute. Ein Tag in Napier. Farnhügellandschaft. Tarawera und seine Soldateska. Kaliban in der Wildniss. Opipi. Ein Tag in Tapuaeharuru. Mister Jack the Guide of Taupo. Nächtlicher Skandal.
Ich kaufte mir zunächst ein Ticket nach Napier an der Hawkes-Bai, welches ungefähr nördlich von Wellington liegt, theils per Postkutsche, theils per Eisenbahn in drei Tagen zu erreichen. Von Napier aus ging es dann ausschliesslich per Postkutsche in nordwestlicher Richtung über Tarawera und Tapuaeharuru am Taupo-See, und von hier in nördlicher Richtung über Ohinemutu nach Tauranga an der Bai of Plenty, was im Ganzen vier weitere Tagereisen ausmachte.
Am Morgen des 29. Mai, als es noch dunkel war, holte mich die vierspännige Postkutsche vor dem Hotel ab, ich bestieg den ausbedungenen Bocksitz und verliess freudigen Sinnes die Stadt Wellington,