In den Schluchten des Balkan. Karl May. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Karl May
Издательство: Public Domain
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Жанр произведения: Зарубежная классика
Год издания: 0
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mit diesem Namen zu bezeichnen beliebt, entfernt und folglich unsichtbar für die Mehrzahl der Reisenden. Gewöhnlich dehnt sich der Celo der Länge nach auf einer Prairie am Rande eines Baches aus, der ihm als Graben und natürliches Schutzmittel dient.

      Jedes dieser Dörfer, die ziemlich eng aufeinander folgen, zählt nur wenige Höfe, welche durch Grasplätze voneinander getrennt sind. Sechs bis zehn Hütten bilden einen Hof. Diese Hütten werden entweder in die Erde gegraben und mit einem kegelförmigen Dache von Stroh oder Zweigen versehen, oder man errichtet sie aus Weidengeflecht, in welchem Falle sie das Aussehen von großen Körben besitzen. Jeder und jedes hat seine abgesonderte Wohnung in diesen Höfen. Es gibt Hütten für die Menschen, für die Pferde, die Rinder, die Schweine, die Schafe und die Hühner. Die Tiere verlassen beliebig ihre Wohnungen und wandern friedlich zwischen den Höfen umher.

      Westeuropäische Chausseen giebt es nicht. Schon das Wort Straße sagt viel zu viel. Will man von einem Celo zum andern, so sucht man sogar meist vergebens nach der Verbindung, welche wir einen Pfad oder Weg zu nennen gewöhnt sind. Wer fremd ist und ein nicht ganz und gar nahes Ziel verfolgt, muß, falls er von dem Ochsenkarrengleis, welches hier als Straße gilt, abweichen will, den Instinkt des Zugvogels besitzen und ist doch schlimmer daran, als dieser, da der Vogel die Luft ungehindert nach jeder Richtung durchstreichen kann, dem Menschen sich hier aber hundert Hindernisse in den Weg legen.

      Ich beging wirklich ein Wagnis, als ich von dem nach Ada-tschaly führenden Wege abwich. Ich wußte nur, daß Mastanly ziemlich genau in südwestlicher Richtung lag, und konnte mich auf unüberbrückte Bäche, unbequeme Täler und waldige Strecken gefaßt machen.

      Zwischen nicht sehr zahlreichen Feldern und Rosengärten und über sonnverbrannte Grasflächen hin gelangte ich an mehreren Dörfern vorüber, bis ich doch endlich das Bedürfnis fühlte, mich zurecht zu fragen.

      Hinter einem urwüchsig aus Weidenruten gezogenen Zaun sah ich einen alten Mann beschäftigt, Rosenblätter einzusammeln. Ich lenkte das Pferd an den Zaun und grüßte. Er hatte mein Kommen nicht bemerkt und erschrak, als er meine Stimme hörte. Ich ersah, daß er mit sich zu Rate ging, ob er näher kommen oder sich hinter die Rosenbüsche zurückziehen solle, und beeilte mich daher, ihm durch einige Worte Vertrauen einzuflößen. Das wirkte wenigstens so weit, daß er langsam herbeigeschritten kam.

      »Was willst du?« fragte er.

      Er musterte mich mit mißtrauischem Blick.

      »Ich bin ein Dilentschi[18],« antworte ich. »Möchtest du mir nicht eine Gul es Semawat[19] schenken? Dein Garten ist voll dieser herrlichsten der Rosen.«

      Da lächelte er mich freundlich an und sagte:

      »Reitet ein Bettler solch ein Pferd? Ich habe dich noch nie gesehen. Du bist fremd?«

      »Ja.«

      »Und du liebst die Rosen?«

      »Sehr.«

      »Ein böser Mensch ist nicht ein Freund der Blumen. Du sollst die schönste meiner Himmelsrosen haben, halb Knospe und halb aufgeblüht; dann ist der Duft so süß und entzückend, als komme er direkt von Allahs Thron.«

      Er schnitt mir nach längerer Wahl zwei der Blüten ab und reichte sie mir über den Zaun herüber.

      »Hier, Fremdling!« sagte er. »Einen einzigen Duft nur gibt es, welcher über denjenigen der Rose geht.«

      »Welcher ist das?«

      »Der Duft der Tütün dschebeli[20]

      »Kennst du denn diesen Duft?«

      »Nein; aber ich hörte davon sprechen und ihn rühmen als den herrlichsten der Wohlgerüche. Allah hat uns nicht erlaubt, ihn kennen zu lernen. Wir rauchen hier nur Tütün mysr bughdajy[21]

      »Hascha! Scheni! – Gott bewahre! Abscheulich!«

      Er nickte mit dem Kopfe und erklärte:

      »Ja, wir sind arm, sehr arm. Ich bin ein alter Rosenhüter und muß die Blätter des Maises in den Tabak schneiden.«

      »Und doch ist euer Rosenöl so teuer!«

      »Sus ol – sei still! Wir wären wohl nicht so arm; aber die Babi humajun, die Babi humajun[22]! Die steht stets offen für das, was hineinfließen soll. Die Paschas und Minister können wohl Dschebeli rauchen. Wenn ich ihn doch nur einmal riechen dürfte, nur riechen!«

      »Hast du denn eine Tabakspfeife?«

      »O Allah! Ich werde doch wohl einen Tschibuk haben!«

      »Nun, so komm einmal her!«

      Ich nahm mein Bast-Etui aus der Satteltasche und öffnete es. Der Alte war so zutraulich gegen mich; ich mußte ihm eine Freude machen. Seine Augen waren mit Begierde auf das Etui gerichtet.

      »Ein Dscheb tütünün[23]!« sagte er. »Nicht wahr, es ist Tabak darin?«

      »Ja. Du hast mir zwei deiner köstlichen Rosen geschenkt; ich werde dir dafür von meinem Tabak geben.«

      »O Effendi, wie gütig du bist!«

      Ich hatte zwei oder drei Briefcouverts bei mir. Ich füllte eins davon mit Tabak und gab es ihm. Er hielt es an die Nase, roch daran, zog die Brauen hoch empor und sagte:

      »Das ist kein Maistabak!«

      »Nein, sondern es ist Dschebeli.«

      »Dschebeli!« rief er aus. »Effendi, sagst du mir auch die Wahrheit?«

      »Ja. Ich täusche dich nicht.«

      »So bist du nicht ein Effendi, sondern ein Pascha oder gar ein Minister. Nicht?«

      »Nein, mein Freund. Der Dschebeli wird nicht nur an der hohen Pforte geraucht. Ich war da, wo er wächst.«

      »Du Glücklicher! Aber ein hoher Herr bist du doch!«

      »Nein. Ich bin ein armer Schriftsteller; aber die hohe Pforte hat mir doch ein wenig Dschebeli gelassen.«

      »Und von dem Wenigen gibst du mir! Allah segne dich! Aus welchem Lande bist du?«

      »Aus Nemtsche memleketi.«

      »Ist es das, welches wir auch Alemanja nennen?«

      »Ja.«

      »Ich habe noch keinen Nemtsche gesehen. Sind die eurigen alle so gut wie du?«

      »Ich hoffe, daß sie so sind, wie du und ich.«

      »Und was tust du hier im Osmanly memleketi? Wo willst du hin?«

      »Nach Mastanly.«

      »Da bist du doch vom Wege ab. Du mußt nach Geren, um von da zunächst nach Derekiöj zu kommen.«

      »Ich bin mit Absicht von diesem Wege abgewichen. Ich will in möglichst gerader Linie nach Mastanly reiten.«

      »Das ist für einen Fremden schwer, sehr schwer.«

      »Kannst du mir nicht vielleicht den Weg beschreiben?«

      »Ich werde es versuchen. Da blicke einmal gegen Südwest hinüber. Wo jetzt die Sonne auf die Höhen fällt, das sind die Berge von Mastanly. Nun weißt du die Richtung. Du kommst durch viele Dörfer, auch durch Koschikawak. Dort mußt du über den Burgasfluß, und dann liegt Mastanly grad im Westen. Deutlicher kann ich es dir nicht sagen. Morgen abend wirst du dort sein.«

      Das war spaßhaft. Ich fragte lächelnd:

      »Du bist wohl kein Reiter?«

      »Nein.«

      »Nun, ich will heute auf alle Fälle bis Koschikawak kommen.«

      »Unmöglich! Kannst du hexen?«

      »Nein; aber mein Pferd läuft wie der Wind.«

      »Ich habe gehört, daß es so schnelle Pferde geben soll. Du willst also diese


<p>18</p>

Bettler.

<p>19</p>

Himmelsrose.

<p>20</p>

Dschebelitabak.

<p>21</p>

Maistabak.

<p>22</p>

Die hohe Pforte.

<p>23</p>

Tabakstasche.