In den Schluchten des Balkan. Karl May. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Karl May
Издательство: Public Domain
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Жанр произведения: Зарубежная классика
Год издания: 0
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zu ängstigen braucht?«

      »O, vor dir hatte ich keine Furcht.«

      »Vor wem denn?«

      »Vor Manach el Barscha.«

      »Ah, so kennst du ihn?«

      »Ja.«

      »Wo hast du ihn kennen gelernt?«

      »In Mastanly und Ismilan.«

      »Wie oder wo bist du da mit ihm zusammengetroffen?«

      »Er ist Einnehmer der Kopfsteuer in Uskub und war nach Seres gekommen, um sich mit den dortigen Einwohnern zu besprechen. Er besuchte von da aus den berühmten Jahrmarkt zu Menlik.«

      »Wann war das?«

      »Vor zwei Jahren. Dann hatte er in Ismilan und Mastanly zu tun, und an beiden Orten hatte ich ihn gesehen.«

      »Hast du auch mit ihm gesprochen?«

      »Nein. Aber ich hörte kürzlich von ihm, daß er höhere Steuern erhoben hat, als er durfte, und daß er deshalb geflohen sei. Er ist in die Berge gegangen.«

      »In die Berge gehen« heißt, wie bereits bemerkt, unter die Räuber gehen. Darum sagte ich jetzt in strengem Tone:

      »So hattest du, sobald er zu dir kam, die Verpflichtung, ihn festzuhalten!«

      »O Effendi, das durfte ich nicht wagen!«

      »Warum nicht?«

      »Es wäre mein Tod gewesen. Es wohnen so viele Männer in den Bergen; in allen Schluchten stecken sie, und ihre Verbündeten zählen nach Hunderten. Sie kennen sich alle und rächen einander. Hätte ich ihn gefangen genommen, so wären seine Freunde gekommen und hätten mich getötet!«

      »Du bist ein Feigling und fürchtest dich, deine Pflicht zu tun. Du solltest keinen Augenblick länger Vorstand bleiben dürfen!«

      »O Herr, du irrst! Es ist mir nicht um mich zu tun; aber sie hätten unser ganzes Dörfchen dem Erdboden gleich gemacht.«

      Da öffnete sich die Türe, und der Kopf des kleinen Hadschi erschien in der Oeffnung.

      »Sihdi,« sagte er, »ich habe ein Wort mit dir zu sprechen.«

      Er sprach das, um von dem Kiaja und Nachtwächter vielleicht nicht verstanden zu werden, in arabischer Sprache, und zwar in dem westsaharischen Dialekt seiner Heimat.

      »Was ist es?« fragte ich.

      »Komm her; mach geschwind!« antwortete er, ohne sich weiter zu erklären.

      Ich ging also zu ihm hin. Er hatte mir jedenfalls etwas nicht Unwichtiges mitzuteilen.

      »Nun rede!« flüsterte ich ihm zu.

      »Sihdi,« erklärte er leise, so daß die beiden ihn nicht zu verstehen vermochten. »Einer von den Einwohnern gab mir einen verstohlenen Wink und entfernte sich hinter das Haus. Ich folgte ihm so unauffällig wie möglich, und da sagte er, daß er uns etwas mitteilen wolle, wenn wir ihm zehn Piaster bezahlen möchten.«

      »Wo befindet er sich jetzt?«

      »Noch hinter dem Hause.«

      »Er hat dir weiter nichts gesagt?«

      »Nein, kein Wort.«

      »Ich werde zu ihm gehen. Bleibe einstweilen hier, damit diese zwei Männer sich nicht gegen uns verständigen können.«

      Zehn Piaster, ungefähr zwei Mark, das war gar nicht zu viel, um etwas Wichtiges zu erfahren. Ich ging nicht vorn auf die Dorfstraße hinaus, sondern ich verließ den Raum direkt durch den schmalen hinteren Ausgang. Da sah ich eine viereckige Umzäunung, innerhalb deren sich mehrere Pferde befanden. In der Nähe stand ein Mann, der augenscheinlich auf mich wartete. Als er mich sah, kam er schnell auf mich zu und sagte leise:

      »Willst du bezahlen, Effendi?«

      »Ja.«

      »So gib her!«

      »Hier!«

      Ich zog die kleine Summe hervor. Er steckte sie ein und raunte mir dann zu:

      »Sie sind dagewesen!«

      »Ich weiß es.«

      »Er hat ihnen ein Pferd vertauscht.«

      »Welches?«

      »Einen Schimmel. Sie wollten drei Schimmel haben und ließen das andere da. Siehe, dort in der Ecke steht es.«

      Ich blickte hin. Die Farbe des Pferdes stimmte mit dem, was man mir gesagt hatte.

      »Ist das alles, was du mir sagen wolltest?« fragte ich.

      »Nein, es kam kurz nach Mittag einer, der sich nach ihnen erkundigt hat.«

      »Bei wem?«

      »Bei mir. Darum weiß ich es. Ich stand am Wege, als er kam, und er fragte nach drei Reitern, von denen zwei auf weißen Pferden geritten wären. Ich wußte nichts und wies ihn zum Wächter; dieser aber führte ihn dann zu dem Kiaja.«

      »Hielt er sich lange auf?«

      »Nein. Er schien es sehr eilig zu haben.«

      »Kannst du ihn beschreiben?«

      »Ja. Er ritt einen alten Falben, der bereits sehr schwitzte. Auf dem Kopf hatte er ein rotes Fez, und da er sich in ein langes, graues Binisch[3] gehüllt hatte, konnte ich nur noch seine roten Kundurra[4] sehen.«

      »Hatte er einen Bart?«

      »Er war außer einem kleinen, hellen Byjik[5] vollständig bartlos, wie ich bemerkt habe.«

      »Wohin ritt er?«

      »Nach Mastanly zu. Aber die Hauptsache hast du noch gar nicht gehört. Nämlich der Kiaja hat in Ismilan eine Schwester, deren Mann der Bruder der Schuta ist.«

      Das war allerdings so wichtig, daß ich vor Ueberraschung einen Schritt zurückwich.

      Auf der Balkanhalbinsel hat dem Räuberunwesen niemals gesteuert werden können; ja, grad in den gegenwärtigen Tagen berichten die Zeitungen fast ununterbrochen von Aufständen, Ueberfällen, Mordbrennereien und anderen Ereignissen, welche auf die Haltlosigkeit der dortigen Zustände zurückzuführen sind. Da oben nun, in den Bergen des Schar Dagh, zwischen Prisrendi und Kakandelen, machte ein Skipetar von sich reden, der mit den Unzufriedenen, die er um sich versammelt hatte, bis hinüber zum Kurbecska-Planinagebirge und bis herab in die Täler des Babuna streifte. Man erzählte sich, daß er sogar in den Schluchten des Perin-Dagh gesehen worden sei und in der Einsamkeit des Despoto-Planina seine Anhänger habe.

      Seinen eigentlichen Namen wußte niemand. El Aßfar, Sayrik, Schut, so wurde er genannt, je nach der Sprache, deren man sich bediente. Diese drei Wörter bedeuten »der Gelbe«. Vielleicht hat er diese Färbung infolge einer Gelbsucht erhalten. Schuta ist das serbische Femininum von Schut und bedeutet die >Gelbe<.

      Also diese Schuta, die Frau dieses Skipetaren, war eine Verwandte meines Kiaja. Das gab mir natürlich sehr zu denken. Doch konnte es mir nicht einfallen, ihm wissen zu lassen, was ich schloß und folgerte.

      »Hast du noch etwas zu sagen?« fragte ich den Mann.

      »Nein. Bist du nicht zufrieden?«

      »O doch. Aber wie kommt es, daß du deinen Vorgesetzten gegen mich verrätst?«

      »Effendi, er ist kein guter Mensch. Keiner hat ihn lieb, und alle leiden unter seiner Ungerechtigkeit.«

      »Weiß noch jemand, daß du mit mir sprichst?«

      »Nein. Ich bitte dich, es keinem zu sagen.«

      »Ich werde schweigen.«

      Nach dieser Versicherung wollte ich abbrechen, da aber fiel mir ein, daß ich beinahe etwas sehr Notwendiges unterlassen hätte.

      »Bist du in Ismilan bekannt?« fragte ich.

      »Ja.«

      »So kennst du auch wohl den Schwager des


<p>3</p>

Mantel.

<p>4</p>

Türkische Schuhe.

<p>5</p>

Schnurrbart.