In den Schluchten des Balkan. Karl May. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Karl May
Издательство: Public Domain
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Жанр произведения: Зарубежная классика
Год издания: 0
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lügst!«

      »Herr, ich rede die Wahrheit!«

      In diesem Augenblick drehte ich mich schnell nach dem Kiaja um und sah, daß dieser den Finger warnend an den Mund gelegt hatte. Erst hatte er dem Wächter zugeraunt, schnell zu antworten, und nun veranlaßte er ihn, zu schweigen. Das war natürlich auffällig. Ich fragte den Wächter:

      »Du hast auch mit keinem Fremden gesprochen?«

      »Nein.«

      »Gut! Kiaja, wo ist deine Wohnung?«

      »Das Haus da drüben,« antwortete der Gefragte.

      »Du und der Bekdschi, ihr werdet mich dort hinüber begleiten, ihr beide allein. Ich habe mit euch zu sprechen.«

      Ohne mich nach ihnen umzusehen, schritt ich nach dem mir bezeichneten Hause und trat in die Türe.

      Es war ganz auf bulgarische Weise gebaut und bestand nur aus einem Raum, der aber durch Weidengeflecht in mehrere Abteilungen geschieden war. In dem vorderen Gelaß fand ich eine Art von Stuhl, auf den ich mich setzte.

      Die beiden Genannten hatten nicht gewagt, mir zu widerstreben; sie traten daher fast unmittelbar hinter mir ein. Und durch das Mauerloch, welches als Fenster diente, bemerkte ich, daß sich draußen noch immer die Bewohner des Ortes zusammenhielten, jedoch in respektvoller Entfernung von meinen Begleitern.

      Der Kiaja und sein Untergebener befanden sich sichtlich in einer nicht beneidenswerten Lage. Beide hatten Angst, und das mußte ich benützen.

      »Bekdschi, bleibst du auch jetzt noch bei dem, was du mir vorhin gesagt hast?« fragte ich.

      »Ja,« antwortete er.

      »Trotzdem du mich belogen hast?«

      »Ich habe nicht gelogen!«

      »Du hast gelogen, und zwar nur deshalb, weil es der Kiaja so haben wollte.«

      Das Ortsoberhaupt fuhr erschrocken auf:

      »Effendi!«

      »Was? Was willst du sagen?«

      »Ich habe ja zu diesem Mann kein Wort gesagt!«

      »Nein, aber gewinkt hast du ihm!«

      »Nein!«

      »Ich sage euch, daß ihr beide lügt. Kennt ihr das Sprichwort von dem Juden, welcher ertrank, weil er sich in den Brunnen schlafen gelegt hatte?«

      »Ja.«

      »Wie jenem Juden wird es auch euch ergehen. Ihr begebt euch in eine Gefahr, welche wie das Wasser des Brunnens über euch zusammenfließen und euch ersticken wird. Ich aber will euer Unglück nicht; ich will euch warnen. Ich rede hier mit euch, damit eure Untergebenen und Freunde nicht erfahren sollen, daß ihr dennoch die Unwahrheit gesagt habt. Ihr seht, daß ich mild und freundlich mit euch bin. Nun aber verlange ich auch, von euch die Wahrheit zu hören!«

      »Wir haben sie bereits gesagt,« beteuerte hierauf der Kiaja.

      »Es sind also während dieser Nacht nicht Fremde durch diesen Ort geritten?«

      »Nein.«

      »Drei Reiter?«

      »Nein.«

      »Auf zwei Schimmeln und einem dunklen Pferd?«

      »Nein.«

      »Sie haben nicht mit euch gesprochen?«

      »Wie können sie mit uns gesprochen haben, wenn sie gar nicht hier gewesen sind! Wir haben keinen Fremden gesehen.«

      »Gut! Ich habe es gut mit euch gemeint, ihr aber meint es desto schlimmer mit euch selbst. Da ihr mich belügt, so werde ich euch nach Edreneh schaffen lassen, und zwar zum Wehli[2] selbst. Ich habe deshalb die drei Kawassen mitgebracht. Man wird euch dort schnell den Prozeß machen. Nehmt Abschied von den Eurigen!«

      Ich sah, daß beide heftig erschraken.

      »Effendi, du scherzest!« sagte der Ortsvorsteher.

      »Was fällt dir ein?« antwortete ich, von meinem Sitz aufstehend. »Ich habe euch weiter nichts zu sagen und werde jetzt die Kawassen rufen.«

      »Aber wir sind unschuldig!«

      »Man wird euch beweisen, daß ihr schuldig seid. Dann aber seid ihr verloren. Ich hatte die Absicht, euch zu retten. Ihr aber wollt es nicht. Nun möget ihr auch die Folgen eures Starrsinnes tragen!«

      Ich schritt der Türe zu, als ob ich die Polizisten rufen wollte; da aber trat der Kiaja mir schnell in den Weg und fragte:

      »Effendi, ist‘s wahr, daß du uns retten wolltest?«

      »Ja.«

      »Auch jetzt noch?«

      »Hm! Ich weiß es nicht. Ihr habt geleugnet!«

      »Aber wenn wir nun gestehen?«

      »Dann ist‘s vielleicht noch Zeit.«

      »Du wirst nachsichtig sein und uns nicht gefangen nehmen?«

      »Ihr habt nicht zu fragen, sondern zu antworten. Versteht ihr mich? Was ich dann beschließe, das werdet ihr erfahren. Grausam aber bin ich nicht.«

      Sie blickten einander an. Der Nachtwächter erhob wie in stummer Bitte ein wenig die Hand.

      »Und hier wird niemand erfahren, was wir dir erzählen, Effendi?« fragte der Kiaja.

      »Wohl schwerlich.«

      »Nun gut, so sollst du die Wahrheit hören. Gehe nicht hinaus; bleibe hier und sage uns, was du wissen willst. Wir werden dir nun antworten.«

      Ich nahm meinen vorigen Platz wieder ein und wendete mich an den Nachtwächter:

      »Also es sind Fremde in der Nacht durch das Dorf gekommen?«

      »Ja.«

      »Wer?«

      »Nach Mitternacht ein Ochsenwagen. Später aber diejenigen, nach denen du zu forschen scheinst.«

      »Drei Reiter?«

      »Ja.«

      »Auf was für Pferden?«

      »Auf zwei Schimmeln und einem Braunen.«

      »Sprachen sie mit dir?«

      »Ja. Ich stand mitten auf der Straße, und da redeten sie mich an.«

      »Sprachen alle drei mit dir?«

      »Nein, sondern nur der eine.«

      »Was sagte er?«

      »Er bat mich, zu verschweigen, daß ich diese drei Reiter gesehen habe, wenn ich gefragt werden sollte. Er gab mir ein Bakschisch.«

      »Wie viel?«

      »Zwei Piaster.«

      »Ah, das ist viel, sehr viel!« lachte ich. »Und für diese zwei Piaster hast du gegen das Gebot des Propheten gesündigt und mir Lügen gesagt?«

      »Effendi, nicht diese Piaster allein haben die Schuld.«

      »Was noch?«

      »Sie fragten mich, wie unser Kiaja heiße, und als ich den Namen sagte, begehrten sie, zu ihm geführt zu werden.«

      »Kanntest du sie oder einen von ihnen?«

      »Nein.«

      »Aber sie scheinen den Kiaja gekannt zu haben, da sie wünschten, mit ihm zu sprechen. Hast du ihren Wunsch erfüllt und sie zu ihm geführt?«

      »Ja.«

      Infolgedessen wendete ich mich an den Ortsvorsteher, welcher sich offenbar in weit größerer Sorge befand, als sein Untergebener. Der unsichere Blick, welchen ich an ihm beobachtete, ließ leicht erraten, daß er kein gutes Gewissen hatte.

      »Behauptest du immer noch, daß niemand durch das Dorf gekommen sei?« fragte ich ihn.

      »Effendi, ich hatte Angst,« antwortete er.

      »Wer Angst fühlt, hat Unrecht getan! Du selbst gibst dir da ein schlechtes Zeugnis.«

      »Herr,


<p>2</p>

Vizekönig.