Claus Störtebecker. Georg Engel. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Georg Engel
Издательство: Public Domain
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Жанр произведения: Зарубежная классика
Год издания: 0
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      Da riß sie ihn an seinen langen Haaren und schleifte ihn fast bis zur Schwelle der Kate.

      »Gleich packst du dich in dein Boot«, schäumte sie in übertriebener Wut, obgleich eine unnennbare Angst ihr die Seele zudrückte. »Geh – geh, Müßiggänger, und Maulaffen brauchen wir hier nicht. Bring lieber was Tüchtiges heim, damit wir Ruhe haben vor dem Vogt. Und gnade dir Gott, wenn du jemals wieder dein Maul auftust über Dinge, die uns nichts angehen.« Ohne jeden Übergang fiel sie dem schon in die Nacht Geschobenen um den Hals, klammerte ihre Arme fest um seinen Nacken, und zum erstenmal hörte der überwältigte Sohn seine Mutter betteln und stöhnen:

      »Tu's nicht, mein liebes Kind – schlag dir solche Gedanken aus dem Kopf. Taugen nichts für arme Leut' – richten dich und uns zugrunde. Sieh, die Herren sind nun einmal in Samt und Seide geboren und leiden nichts anderes. Geh – sei wieder mein lieber, guter Junge – geh, geh!« Gewaltsam drängte sie den Zögernden, der in heißer, geweckter Zärtlichkeit ihren Mund suchte, von sich und wußte nicht, daß sie ihn seinem Schicksal entgegentrieb.

***

      Noch befangen von all dem Widerspruchsvollen glitt Claus die Dünen hinab; aber je kälter ihm der scharfe Seewind um die Ohren strich, desto klarer erholten sich seine lebhaften Sinne, und kaum spürten seine Füße den feuchten Strand unter sich, da hatte das bewegliche und stets nach Neuem schweifende Gemüt des Knaben bereits den Streit mit den Seinen vergessen. Kräftig zog er sich den Ledergürtel enger und horchte im Schreiten auf das unheimliche Schreien der wilden Schwäne.

      »Jetzt eine Armbrust, wie sie den Herren eignet«, dachte er, »und ein paar stattliche Federn für die Kappe sollten mir nicht fehlen.«

      Die Nacht und die graue Leere, die sich wie ein offenes Tor auftat, schreckten und hinderten ihn so wenig, daß seine Augen vielmehr anfingen, halb im Spiel den Schimmer der weißen Strandwellen von dem Gefieder der belauschten Vögel zu unterscheiden. »Sie kämpfen da draußen«, urteilte er gespannt, »und stoßen einander gegenseitig die Brust ein.« Und dann schoß es ihm durch den Kopf, ob es nicht möglich sei, sich solch ein königliches Tier zu zähmen. Noch niemand hatte das zwar versucht. Es mochte wohl schwerhalten. Aber sein nach Pracht und Glanz ewig dürstendes Herz wurde von dieser Idee völlig bestrickt. Beinahe vergaß er bereits die Jagd nach den unsichtbaren Geschöpfen.

      »Man müßte gegen den Wind heranschleichen – –«, murmelte Claus, »und dann – –« Da stutzte er. Dicht neben dem Pfahl, an dem sein Boot angebunden lag, erhob sich eine dunkle Gestalt. Der breite, untersetzte Mann mußte bis dahin auf dem Bordrand gesessen haben, jetzt wendete er sich voll dem Ankömmling entgegen, und durch die Nacht schimmerte zuvörderst eine gewaltige Schädelplatte. Auch wenn die schwere, wuchtige Figur noch tiefer von Finsternis bedeckt gewesen wäre, dieses beinerne Dach, gegen das sich rechts und links zwei dicke graue Haarwülste abbuschten, würde den Besitzer verraten haben. Zudem stand niemand so herrisch auf gespreizten Beinen wie der Vogt. Schweigsam musterte der Sechziger den Fischer, denn auch seinen Blicken bot die Dunkelheit kein Hindernis, und erst nachdem er ein paarmal über die kurze, vermottete Bartkrause gestrichen, spuckte er hart und abfällig, wie es in seiner Art lag: »Der Mond steigt schon. Warum kommst du so spät?«

      »Ich?«

      »Ja, dich meine ich, wen sonst?«

      Oh, da war es abermals. Claus Beckera kniff die Fäuste zusammen, bis die Nägel ihm ins Fleisch schnitten. Und doch erzählten seine mühsam zurückgepreßten Atemzüge ganz deutlich davon, welche Anstrengung es ihn kostete, um seinen unzähmbaren Haß gegen den ewigen Zwang hinunterzuwürgen. Knirschend vor Überwindung bückte er sich, und seine Hände rissen viel heftiger an den Stricken des Bootes herum, als nötig gewesen wäre, um die Knoten zu lösen. Dabei stieß er hinter zusammengebissenen Zähnen hervor, daß er ein Segel besitze und deshalb viel schneller die Fahrt zurücklegen könne, als es selbst der Vogt mit seinen plumpen Rudern vermöchte. Und überdies – allein das weitere verlor sich. Schon stemmte er die Schultern gegen den Kahn, und unbekümmert um den Beobachter begann er das Schifflein zwischen den großen Steinen hindurchzuschieben.

      Aufmerksam hörte der Vogt zu. Endlich jedoch nickte er wie in galligem Vergnügen über die Kraft des Jungen, dann äußerte er mit seiner markigen Gelassenheit:

      »Schön, du wirst dein Segel nötig haben, denn ihr seid im Rückstand. Lange warte ich nicht mehr.«

      Claus Beckera schob, er schob, als ob er den Strand von den Wäldern und Bergen losreißen wollte. Ruhig ließ es der Vogt geschehen. Als aber der Bug des Schiffes gerade in das Wasser hinabtauchen wollte, da schlenderte er plötzlich näher und legte seine Faust hemmend auf den Bordrand.

      Ruckartig fuhr der Bursche empor. »Was gibt's?« drohte er gepreßt, und jetzt konnte er es nicht mehr hindern, daß sich das Weiße seiner Augäpfel unheimlich zu drehen begann. »Wozu hältst du mich, Vogt?«

      Voll dumpfer Warnung durchschnitt es die Nacht, der salzige Wind führte förmlich die Vorahnung einer Gewalttat, den Ruch eines aufschnellenden Raubtiersprunges mit sich; doch den Machthaber schien diese sich windende Bosheit mehr zu ergötzen. Fast wohlwollend knurrte er:

      »Kuck, Söhnlein, deine Lichter funkeln wie faules Holz. Wollen sehen, ob man sie zu was Nützlichem brauchen kann.« Er warf den Arm vor und wies seitwärts gegen das Meer. »Paß auf, was siehst du da?«

      Von dem Ernst des Mannes getroffen, kehrte sich Claus überrascht der angedeuteten Richtung zu, heimlich geschmeichelt, weil der Gefürchtete offenbar seine Hilfe in Anspruch zu nehmen gedachte.

      »Nun?« forschte der Alte nach einer Pause.

      Merkwürdig, der Junge beugte sich über das Boot und starrte hinaus. Zu seiner Linken, dort, wo der Umschwung der Wälder dunkel und schwarz zur Stubnitz abbog, glomm ein schmaler Feuerstreifen auf dem Gewässer. Eine schaukelnde rote Lache, wiegte es sich, immer wieder von der ebbenden Flut zerrissen und ebensooft von neuem zu einem losen, blitzenden Fließ gesammelt. Auffällig stach der Schein von den blassen, silbernen Rillen ab, die weit hinten am Horizont der heraufgleitende Mond in das Wasser furchte.

      Was konnte das bedeuten?

      Gepackt strengte Claus Beckera sein Sehvermögen aufs äußerste an, längst war er auf die umspülten Strandsteine gesprungen, und nun suchte er dort draußen, suchte, ob vielleicht ein Schiff mit entzündeten Pechfackeln seines Weges glitte.

      Doch der Vogt lehnte brummig eine solche Vermutung ab. Seit drei Nächten fahnde er vergeblich den Strich entlang. Auch dort oben auf der Freiplatte von Stubbenkammer hätte er nachgeforscht. Umsonst – außer ein paar Rehen nichts Besonderes! Und doch, wie zum Hohn flimmere die verwünschte rote Haut auf dem Wasser. Verärgert kehrte sich der Alte ab, als möchte er das äffende Feuerspiel nicht länger betrachten. »Sieh zu, Söhnlein«, meinte er zum Abschied, und es klang wieder recht giftig und überlegen, »ob du klüger bist als wir anderen. Hältst dich ja ohnehin für einen stattlichen Hecht. Am Ende glückt dir der Fang. Wird dir gewiß größeren Spaß bereiten als Heringe ziehen und Flundern. Aber gib acht«, setzte er noch im Fortgehen hinzu und hob warnend den kronengeschmückten Stab, »daß du nicht in eine Falle gerätst! Wer weiß? Die Rotte möchte vielleicht den Herren zu Stralsund was zum Raten aufgeben.« Und schon außer Hörweite lachte er kurz in sich hinein: »Wer kriegt heraus, wo die Freunde des armen Mannes gern gesehen werden? Es ist Becherspiel.«

      In demselben Augenblick setzte Claus Beckera von seinem Stein mit einem weiten Sprung in das Boot. Hochauf peitschte der Schaum, und der Wind trieb ein helles Jauchzen herüber.

      »Es steckt ander Blut in ihm«, dachte der Vogt, »als in dem faulen Bauch. Bauernblut, Sassenblut, das Blut des armen Mannes. Die Augen des Jungen glühen, wie wenn eine Hütte brennt. Man wird ihm öfter eins auf den Kopf geben müssen. – Schade, mag ihn gern leiden.«

***

      Es war zur gleichen Stunde, als die beiden dänischen Großen im Gastzimmer des Klosters ihre Betten aufsuchten. Der Reichshofmeister Henning von Putbus saß bereits entkleidet auf dem breiten Pfühl, und seine nackten Beine sahen so elend mager und abgezehrt aus, daß der Hauptmann Konrad Moltke, der nach