Claus Störtebecker. Georg Engel. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Georg Engel
Издательство: Public Domain
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Жанр произведения: Зарубежная классика
Год издания: 0
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Zuhörer willfährig entgegen. Und mit einem kaum sichtbaren Lächeln trieb er die gewonnenen Seelen vor sich her. Nur der junge Claus Beckera, der mit verkrampften Händen und keuchender Brust lauschend neben dem Stuhl des Fremden hing, als ob ihm der geistige Lauf noch immer nicht schnell genug ginge, ihm zitterten mitten durch seine leidenschaftliche Bewunderung hie und da die Einwürfe einer kühlen Vernunft hindurch, und dann kam ihm zwischen all dem bunten Maskenspiel der Einwand, warum wohl der Ankömmling zwei voneinander so gründlich verschiedene Sprachen redete. Denn das merkte der achtsame Scharfsinn des Jungen sofort, die Weise des Zierlichen klang anders, seitdem er sich an die Alten wendete. Einfach, schlicht, bauernmäßig, all der vornehme und unverständliche Putz fehlte, durch den er vorhin seinen Fährmann im Kahn so sehr gefesselt und geblendet hatte. Und der junge Claus erriet mit Widerstreben, daß der Angespülte offenbar einen gewichtigen Teil seines Wesens zu verdunkeln strebte, als ob gerade dasjenige Gefahr brächte, was dem nach Wissen gequälten Buben so köstlich und erstrebenswert erschien. Deshalb preßte der Junge auch widerwillig den Mund zusammen, und die Angaben des Fremden, die er jetzt auf Forderung der Alten über sein bisheriges Treiben machte, sie glitten belanglos und unwahrscheinlich an dem Aufgestörten vorüber. Nein, nein, schon jetzt beschloß er, er wollte binnen kurzem eine vertraute Stunde wahrnehmen, um den gewandten Taschenspieler härter zu prüfen. So wappnete sich Claus denn mit einer künstlichen Gleichgültigkeit, und doch, kaum hatte der strohblonde Mensch in seiner mitreißenden Lebhaftigkeit die Geschichte seiner Fahrten begonnen, da summte es dem jüngsten der Zuhörer auch schon vor den Ohren, und siehe da, ganz gegen seinen Willen schleppte ihn der starke, fremde Strom von bannen. Und es handelte sich doch nur um eine Begebenheit, absichtlich einfach und alltäglich ersonnen.

      »Nichts für ungut«, hörte der Sohn den alten Beckera tasten, denn der Riese schämte sich, seine Wohltat an Bedingungen zu knüpfen. »Wie magst du dich heißen, Mann?«

      Der Kleine zupfte an seinen gelben Haaren und lächelte unschuldig. Eine Erinnerung an seine Kindheit schien ihn zu haschen.

      »Heino Wichmann«, erwiderte er, sich leichthin verbeugend, was er jedoch mitten in der Bewegung unterdrückte. »Meine Wiege hing in Hamburg zwischen zwei Lederriemen.«

      Da streichelte der junge Claus unwillkürlich über den Schemel seines Gastes. Er wußte selbst nicht warum, aber aus dem Namen des Kleinen musizierte es auf, wie von Flötenspiel auf einer Kirmeß.

      »Heino«, flüsterte er zärtlich.

      Die Mutter jedoch schlug abwehrend mit der flachen Hand über den Tisch. »Und dein Vater?« fragte sie lauernd.

      Heino Wichmann schloß das schwarze Auge. Er glich gänzlich einem guten sanften Kinde, als er nun ehrfürchtig vorbrachte:

      »Ich brauche euch nichts zu verbergen. Mein Vater war ein zünftiger Sattler, und ich selbst hatte schon in seiner Werkstatt auf dem Mönkedamm mein Gesellenstück gefertigt, einen Kutschbock für den Herrn Alderman Tschokke, als mich der Rat mit anderer Jungmannschaft aushob, damit wir als hansische Besatzung drüben nach dem dänischen Schonen in das feste Schloß Helsingborg gelegt würden.«

      »Dänemark«, atmete der alte Claus vor sich hin und hob witternd die Nase gegen die Fensterluke, hinter der sich der blaue Strich des Meeres hob und senkte. Für ihn lag das Nachbargestade unmeßbar fern hinter den schaukelnden Glashügeln. »Schonen? Helsingborg, so weit?« dachte er kopfschüttelnd.

      Sein Sohn aber fühlte sich vom Erdboden aufgehoben. Waren doch an ihm erst gestern die Sendlinge einer bunten, kaum begreifbaren Gemeinschaft vorübergezogen, die seidenen Fahnen ihrer Gewandung hatten ihn gestreift, halbverstandene aufregende Andeutungen sein gärendes Hirn getroffen, jetzt drängte es den auf dem Gewoge der Unwissenheit wütend Herumgeworfenen, sich irgendwo anzuklammern.

      Wundersam bedrängt spannte er den braunen Lockenkopf in beide Hände, und während er bohrend vor sich hinstarrte, löste es sich wie die Hülle eines inneren Traumes von ihm ab:

      »Dort herrscht ein Weib. Wie war's doch? – Margareta.«

      Der Ausruf klang wie das Sehnen eines Eingekerkerten, wie der Hilfeschrei eines Unfreien, der in einer Grube hockt und den Himmel um Licht anfleht, und sofort richteten sich auch die Häupter der Seinen unheimlich berührt und abmahnend gegen den in inneres Schauen Verlorenen.

      Was sollte das? Woher kam dem Ungelehrten diese Kunde? Und konnte dem Sassensohne der Drang nach so gewaltigen Dingen nicht Unsegen stiften? Denn darauf kam für sie alles an. Man wollte doch ungestört leben!

      Auch über das halbgeschlossene schwarze Auge des Gastes war bei dem unerwarteten Einwurf ein kurzes Zucken gelaufen, dann jedoch bewegte er gleichgültig die schmalen Schultern, und als wäre nichts besonders Auffälliges geschehen, fuhr er ruhig in seiner bescheidenen Schilderung fort.

      »Ja, ja, Margareta«, nickte er, sich schwierig besinnend. »Ich meine, so heißt die Wittib. Hat ein kleines zartes Büblein, für das sie die Herrschaft in acht nimmt. Mag sie. Was schiert uns Geringe die Plackerei der Großen? Wenn wir nur unsere Löhnung pünktlich erhalten und sonst in Ruhe unser Brot essen können.«

      »Ja«, stimmte Hilda zum erstenmal gierig zu, »das ist das rechte.«

      Den alten Claus dagegen zog es aus dem Allgemeinen zu etwas Näherem. »Nun«, hüstelte er gespannt, »habt ihr Hansischen pünktlich eure Löhnung erhalten? Habt ihr in Ruhe euer Brot gegessen?«

      Jetzt hob auch der junge Claus das Haupt, und aus seinen schwarzen Augen züngelten ungestüme Flammen nach Abenteuer und Erlebnis.

      »Wie war's?« stammelte er.

      »Unruhig, lärmvoll«, sagte der Kleine und faltete die Hände auf dem Tisch wie ein artiges Kind, das eine Geschichte wiedergeben soll. »Ihr könnt euch denken, die Frau hat viele Widersacher innen und außen. Ist eben doch ein Spinnrocken, dem sich der Schnauzbart ungern beugt. In der Nähe streckt, wie man sagt, der dürre Schwedenkönig Albrecht die Finger nach dem saftigen Erbe und treibt seinen ausgehungerten Spott über den Unterrock und die Kunkel. Da könnt ihr in jeder Schenke hören, wie er erst jüngstens der »Dirne der Pfaffen‹ – also schimpft er die Regentin – feierlich Schere und Fingerhut überreichen ließ nebst einem Wetzstein, damit sie ihre Nadeln daran schärfe. Und innen da schreien die Krämer darüber, weil sie uns Hansische in Helsingborg, Falsterbo und Ikanör einliegen ließ, denn wir Deutschen, heulen sie, nähmen ihnen den Markt. So kommt es dann oftmals zu Aufläufen, und bei einer solchen Zusammenrottung, seht ihr, da zeichnete mir ein vorlauter Schwertfeger seine Zunftmarke auf die Stirn.«

      Hier lachte der Strohblonde wie über einen wohlgelungenen Streich, wickelte sich die gelben Haare spielend um den Finger und ließ die wohlgeformten Beine vergnügt schaukeln.

      »Und du?« stotterte Nikolaus erwartungsvoll, denn seine verehrungsheiße Hingabe an den Fremden verlangte dringend von Gegenwehr und scharfer Vergeltung zu hören. »Was tatest du?«

      »Ich?« Erst maß der Kleine die alten Beckeras, in deren stumpfen Gesichtern sich schweigend der Abscheu vor Bürgerkampf und Söldnerübergriff malte, dann hob er ebenfalls abgeneigt die Achseln, um sofort in seiner leisen, unschuldigen Art zu hauchen: »Mir liegt nichts an derlei Ehrenschuld. Daran dürft ihr nicht glauben. Gott bewahre, ich bin ein Bürgersohn und will nur hoffen, daß dem Ehrsamen der kleine Hautritz gut bekommen sei.« Und damit er nicht tiefer in diesen Punkt verstrickt würde, begann er emsig auf der rohen Tischplatte hin und her zu zeichnen, als ob er das folgende schriftlich niederzulegen hätte. »Wie es aber so geht, ihr guten Leute, es erhob sich trotzdem ein wildes Geschrei bei den Dänischen, und schließlich waren unsere Hauptleute um des lieben Friedens willen gezwungen, etliche ihrer Leute von sich zu tun. Darunter wunderbarerweise auch mich, Heino Wichmann.«

      »Heino«, wiederholte hier der junge Claus, abermals von Liebe getroffen, und legte seinem Gaste zärtlich die Rechte auf die Schulter. Gepackt wandte jetzt auch der Kleine dem glühenden Jungen sein schmales Antlitz zu, seine beiden Augen öffneten sich weit und zogen förmlich die flatternde Seele des Unbehüteten an sich. Das geschah aufblitzend, schnell, wie ein einfallender Lichtstrahl. Die alten Beckeras merkten nichts von dem geschlossenen Bund, weil sich ihren Werktagsblicken nur enthüllte, wie das Kerlchen