»Bellissimo«, lallte er und hielt seinem Gefährten die zinnerne Lampe fast unter die Nase, damit er ihn besser betrachten könne. »Man tut Euch Unrecht, Drost; auf mein Schwert, bitteres Unrecht, Drostlein. Ich weiß es jetzt – Ihr bezaubert unsere erhabene Königin durch die Schlagfertigkeit Eures Witzes – sagt nichts, ich bezeuge es. Ja, wenn Ihr noch ein Pfaff wäret, solch ein weicher, niedlicher, dann, dann –« Krampfhaft schluckte er ein paarmal, und die Erinnerung an die eben genossenen Tafelfreuden stieß wieder empfindlich gegen sein schwankes Hirn. »Gut, gut«, gab er den neuen Eindrücken nach und sank, immer die Leuchte zwischen den Fingern drehend, mitten in dem Zimmer auf einen geflochtenen Stuhl nieder. »Es kommen jetzt reiche Zeiten. Wir brauchen nur – brauchen nur den Schuimern all die hübschen Dinge aus den Taschen zu ziehen, die sie gar fleißig zusammengekratzt, und Ihr könnt Euch Margretlein in einem seidenen Hemd vorstellen. Meiner Seel –«
»Steht auf und seht zu, ob wir nicht behorcht sind«, sagte der Drost einsilbig statt einer Antwort.
»Behorcht?« fuhr der Krieger etwas ernüchterter empor und tastete sich beleidigt an die Stelle, wo früher sein Wehrgehenke befestigt war – »Ihr meint die Kutten? Ih, da soll doch gleich ein Mordsdonner –«
Schwerfällig wankte er bis zu dem engen Pförtlein und lugte hinaus. Allein seinem trüben Blick enthüllte sich nichts als ein dänischer Knecht, der am Ende des schmalen Ganges unter einem Bogenfenster die Wache hielt. Undeutlich glitzerte das Mondlicht auf seinem Kettenhemd. Knallend warf der Hauptmann die Tür ins Schloß. Dann fröstelte er zusammen.
»Nichts«, stellte er ermüdet fest und schaute wieder verglast auf den langen Menschen unter der Zipfelmütze. »Habe ihnen einen unserer Spieße in den Weg gestellt. Was sonst?«
»Was sonst?« Behutsam war der Drost unterdessen ins Bett gekrochen, und während er nun den Schlafsack über sich zog, der für die unmäßige Länge dieser Gliedmaßen keineswegs ausreichte, da blinzelte er zu seinem wieder hingesunkenen Gefährten hinüber und schien zu prüfen, ob die glühende Geiernase noch ein Tröpfchen Vernunft zu wittern imstande wäre.
»Solltet Ihr mich verstehen«, sprach er endlich mit seiner leisen, salbungsvollen Stimme, »dann rate ich Euch, Herr Hauptmann, versprecht morgen den Hansischen und denen vom preußischen Orden und namentlich den mißtrauischen Städtern, was unter dem Himmel Raum hat. Wir Dänen schicken Schiffe, daß man die See nicht mehr wahrnimmt, und Wäppner, soviel als Sterne um den Mond wandern. Greift tief in den Beutel unserer guten Absichten und seid nicht sparsam.«
Der auf dem Strohstuhl hielt sich die Hand hinter das Ohr, damit er kein Wort verliere, und der runde glänzende Schädel begann lebhaft zu nicken. Die Aussicht auf die nahe Beute vertrieb dem Habsüchtigen sogar den Weindämmer ein wenig.
»Recht, recht«, stimmte er gierig zu. Wir tonnen die Schuimer. Ihr wißt, meine Erfindung. Wir stecken sie in Fässer, den Kopf nach draußen, und lassen sie schwimmen. Gute Ware, an der sich redlich verdienen läßt.«
Da zog Herr Henning von Putbus die Nachtmütze völlig herab und kehrte sich der Wand zu.
»Ich sehe. Ihr versteht mich nicht«, meinte er gelassen. »Löscht das Licht und schlaft Euch aus. Und noch eins, Liebwerter, habt die Gewogenheit und wollet nicht schnarchen. Morgen mehr.«
Der Hauptmann aber zerrte seine niedrigen Lederstiefel ab und knallte sie böse gegen die Wand.
Mitten in der Nacht erlosch die feurige Lache auf dem Meere. Plötzlich und unvorhergesehen, als hätte ein Riesenfuß den Brand zertreten.
In dem Boot aber, das dicht umwölkt an den Strand glitt, da flüsterte eine feine Wisperstimme:
»Laß uns den Zufall anbeten, schöner Knabe. Fürwahr, eine mächtige Gottheit. Sollte auf dieser lieblichen Insel oder in dem Palaste deiner Väter mein Schicksal eine erfreuliche Wendung nehmen, dann gelobe ich den wechselnden Horen hundert Ochsen. Du staunst, schöner Fischer? Warum? Weil du mich in Lumpen erblickst. Laß dir bedeuten, die Kinder des Zufalls spielen heute mit Bettlerpfennigen und morgen mit Szeptern und Kronen. Pah, ich schlief schon in den Betten eines Königs.«
»Wer bist du?« atmete Claus fast unhörbar. Angeschmiedet hing er an seinen Rudern und wagte kaum durch eine Bewegung die Rede seines Gastes zu unterbrechen. Und als es von neuem fein und wisperstimmig aus dem milchigen Schwaden heraustönte, da mußte sich der Bursche besinnen, ob jetzt ein Mann oder ein Weib spräche.
»Wer ich bin?« lachte es zierlich, und eine zarte weiße Hand glitt für einen Augenblick aus dem Nebel. »Wenn du Magister probandus des Kollegiums zu Paris wärest, du Holder, du hättest keine schwierigere Aufgabe ersinnen können. Doch immerhin, laß uns untersuchen. Laut Testimonium logicum ist das »ich« von dem »bin« abhängig. Prüfen wir hingegen die Frage nach jure praesente, dann, mein schöner Telemach, dann wäre ich Strandgut, von dir gefunden und nach Gutdünken zu verwenden. Darum gestatte mir, das Examen mit der Gegenfrage zu schließen: Was gedenkst du mit mir Hungrigem zu beginnen?«
Claus Beckera rührte sich nicht. Sprachlos, kaum einen erstickten Laut in der Kehle, starrte er zu der feingliedrigen Gestalt hinüber, und nur wenn sich die Wolle des Nebels ein wenig zerfaserte, dann wagte sein scheuer Blick über das zerrissene braune Schifferwams des Fremden zu streifen, der so unverständliche Dinge vorbrachte. Glühende Neugier peinigte ihn, ob jene beschmutzten Lumpen wirklich einen Mann verbargen. Weiß Gott, das war zweifelhaft. Gar zu weich und zärtlich zeichneten sich mädchenhafte Glieder unter den Fetzen ab, und man brauchte nur die an einigen Stellen der Blöße hervorglänzende weiße Haut zu betrachten oder die langen gelben Haare, die ein schmales bartloses Antlitz einschlossen, um von neuem der Unsicherheit zu verfallen. Und dann noch eins. Wie kam der Landstreicher zu der dicken goldenen Kette um seinen entblößten Hals? Wie zu dem köstlichen Schlangenreif um die rechte Handfessel? Nein, nein, Claus regte sich nicht, denn die Unsicherheit betäubte ihn. Hatte er womöglich ein Weib in der Höhle zwischen den Kreidefelsen gefunden?
Mit einem vieldeutigen Lächeln nahm der Fremde diese heimliche Untersuchung auf, dann aber schien ihn Ungeduld anzuwandeln, und plötzlich, als ob ihm daran läge, sich ein für allemal zu offenbaren, riß er sich hastig die eng anschließende lederne Kappe vom Haupt. Zu gleicher Zeit jedoch sprang er zur Höhe und raffte einen langen, verkorbten Hieber an sich, wie er wohl nur in Welschland gebraucht wurde.
Was war das?
Der Fischerjunge fiel beinahe rücklings in den Stern seines Bootes. Diese ungestüme, kräftige Bewegung, die das Fahrzeug, obschon es bereits zwischen den Steinen eingeklemmt lag, zum Zittern brachte – und dann vor allen Dingen die breite blutige Narbe auf der Stirn des Fremden, sie warfen alle Vermutungen des Unerfahrenen über den Haufen. Gott bewahre, nun stand es fest – vor ihm, auf den Hieber gestützt, wiegte sich trotz allem ein Mann und offenbar kein ungefährlicher, denn unter den sanften Brauen des Fremden begann ein mißtrauisches, unstetes Flackern aufzuleben. Und jetzt, jetzt bemerkte Claus erst, sein Gast besaß doppelfarbige Augen, ein blaues und ein schwarzes, wodurch eine unheimliche Zwiespältigkeit hervorgerufen wurde. Denn während der blaue Stern unverändert lachte, schien aus dem dunklen eine drohend ernste Frage auf den Sitzenden herniederzublitzen.
»Höre, mein Täubchen«, sprach der Fremde nachdrücklich, und auch das seine Wispern war aus seiner Stimme verschwunden, »ich habe dir die opinio vulgi, die Treuherzigkeit des gemeinen Haufens, geglaubt, als ich aus meiner Zurückgezogenheit in deinen Kahn sprang. Ich habe nicht angenommen, daß du ein Fuchs bist, der einem hinten herum in die Beine fährt. Solltest du aber trotzdem einen derartigen Scherz planen, dann, mein Prinz, würde ich sehr gegen meinen Willen die Leitung dieses Kahnes übernehmen müssen, denn ich verstehe mich, wie ich dir schon andeutete, gar nicht übel auf das Rudern, und wir würden auffallend rasch in den acherontischen Gewässern anlangen. Begreifst du mich?«
Schlank, mädchenhaft hing die biegsame Figur, die fast um einen Kopf geringer war als die von Claus Beckera, an ihrer ausländischen Waffe, aber über das blasse, bartlose Antlitz lief