3.15
Die Einleitung des Vollstreckungsverfahrens erfolgte teils durch – weithin zur Förmlichkeit herabgestufte – actio iudicati, teils durch formlosen Antrag beim Prozessgericht (imploratio officii judicis), worin sich die gespaltene Tradition des römischen Rechts widerspiegelt.
IV. Die Vollstreckung des gemeinen Prozesses
Schrifttum:
Heffter, Institutionen des römischen und teutschen Civilprocesses, 1828, §§ 512 ff.; Endemann, Das Deutsche Civilprozessrecht, 1868, §§ 253 ff.; Wetzell, System des ordentlichen Zivilprozesses, 3. Aufl. 1878, § 50; Gaul ZZP 85 (1972), 251 ff., 269 ff.; Picker, Die Drittwiderspruchsklage in ihrer geschichtlichen Entwicklung als Beispiel für das Zusammenwirken von materiellem Recht und Prozessrecht, 1981, S. 161 ff.; Münch, Vollstreckbare Urkunde und prozessualer Anspruch, 1989, S. 31 ff.; ders., Anspruch und Rechtspflicht, 1995, § 5; Sellert, Vollstreckung und Vollstreckungspraxis am Reichskammergericht und am Reichshofrat, FS Henckel, 1995, S. 817; s.a. Rn. 3.29.
3.16
Der gemeine Prozess, der sich aus einer allmählichen Rezeption des römischen Prozesses und des italienisch-kanonischen Prozesses herausgebildet und spätestens mit der Reichskammergerichtsordnung von 1495 endgültige Gestalt angenommen hatte, bewahrte in der Vollstreckung lange germanische Tradition (insbesondere Ungehorsamsverfahren) und knüpfte erst relativ spät an die römischen Quellen und kanonischen Traditionen an. Das Vollstreckungsverfahren wird regelmäßig durch einen Vollziehungsantrag beim Prozessgericht eingeleitet (Imploration); daneben besteht aber auch vielfach noch die Möglichkeit der alten actio iudicati, wobei Praxis und partikularrechtliche Regelung oft beides vermischen. Auf dieses Gesuch ergeht ein Befehl an den Schuldner (mandatum executionis, paritorium), binnen einer bestimmten Frist zu leisten oder Einwand bzw. Remonstration zu erheben. Dieser Rechtsbehelf umfasst mehr formelle Rügen (z.B. fehlerhaftes Paritorium, Zug-um-Zug-Einrede, Nullität der Entscheidung etc.) ebenso wie materielle Einwendungen (z.B. Erfüllung, Aufrechnung, Vergleich etc.); er führt entweder bei „Liquidstellung“ zur sofortigen Entscheidung oder zu einer Verhandlung mit Beweisaufnahme und nachfolgender Entscheidung. Verstreicht die „Paritionsfrist“ ohne Erfüllung oder Remonstration, so wird die Vollstreckung auf Antrag vom Richter verfügt; die Parteien müssen durch weitere Anträge bei Gericht das – schwerfällige – Verfahren in Gang halten. Auch während der laufenden Vollstreckung kann der Schuldner insbesondere wegen neuer Beschwernisse Remonstration erheben und Aufschub oder Zurückziehung der Exekutionsverfügung erwirken. Dritte, die ihre Rechte durch die Vollstreckung verletzt sehen, müssen durch Intervention die Sistierung der Exekution zu erreichen versuchen.
3.17
Die Vollstreckung von Geldforderungen kann zunächst einmal als Realexekution durch Pfändung erfolgen (pignoris capio). Dabei ist eine Reihenfolge der Vollstreckungsobjekte (gradus executionis) zu beachten, nämlich bares Geld, Mobilien, Immobilien, Forderungen oder Rechte (mobilia, immobilia, res incorporales). Das gemeine Recht kennt aber auch noch subsidiär die Personalvollstreckung durch Schuldhaft, vor allem bei „akademischen“ Schulden und Wechselschulden; sie wird aber partikularrechtlich nach und nach abgebaut und verschwindet endgültig 1868 bzw. 1871 durch die neuere Reichsgesetzgebung. Ähnlich ist die Entwicklung bei der Vollstreckung durch Einlegung einer Wache („Presser“), die den Schuldner bis zur Bezahlung auf seine Kosten bewachte. Die Pfändung beweglicher Sachen vollzieht sich ähnlich den Formen heutigen Rechts; bemerkenswert ist die Einlösungsfrist zu Gunsten des Schuldners, ferner die Konstruktion der Verkaufsversteigerung als Geschäft des Gerichts bzw. Gerichtsdieners in Vertretung des Schuldners. Bei Immobilien kennt das gemeine Recht zunächst die Befriedigung aus Erzeugnissen durch öffentlich ausgeschriebene Verpachtung, Überweisung zum Fruchtgenuss an den Gläubiger, Ablieferungsanordnung zu Gunsten des Gläubigers oder Sequestration. Die Befriedigung aus der Substanz erfolgt durch ein besonderes Verpfändungsverfahren: Erwerb eines Pfand- bzw. Verkaufsrechts durch „Immissionsdekret“, das ins Hypothekenbuch eingetragen wird; nach Ablauf der Zahlungsfrist richterliche Anordnung des öffentlichen Verkaufs („Subhastationspatent“); Taxation und Auktion des Grundstücks; Zuschlag an den Meistbietenden („Adjudikation“). Bei Pfändung von Forderungen wird dem Schuldner der Forderung aufgegeben, nicht mehr zu erfüllen (arrestatorium). Da die Verkäuflichkeit beschlagnahmter Forderungen selten gegeben war, gestattete schon das spätrömische Recht dem Richter ihre Beitreibung, wobei folgerichtig zunächst nur unbestrittene Forderungen geeignete Exekutionsgegenstände waren. Später wurde die Beitreibung dem beitreibenden Teil überlassen, sodass die Beschränkung auf unbestrittene Forderungen entfiel, allerdings Verfahren zur Erzielung eines Anerkenntnisses üblich blieben. Pfändungsfrei bleiben – in schwankender Fortsetzung kanonischer Tradition – Gegenstände des persönlichen und beruflichen Gebrauchs; die genaue Kontur der Einrede des Notbedarfs („beneficium competentiae“) ist umstritten.
3.18
Herausgabeansprüche werden durch den Gerichtsdiener im Wege gewaltsamer Wegnahme (bewegliche Sache) oder „Emission“ des Schuldners (Immobilien) vollstreckt. Ist Naturalvollstreckung nicht möglich, wird das Geldinteresse (litis aestimatio) vollstreckt, das im Voraus oder erst jetzt festgesetzt wird; dabei übt der dem Gläubiger mögliche „Schätzeid“ (juramentum in litem) indirekten Zwang auf den Schuldner zur Naturalerfüllung.
3.19
Die Handlungsvollstreckung (facere) verwirklicht sich in der Vornahme durch andere auf Kosten des Schuldners oder durch Strafen bzw. Einlegung von Pressern. Die Unterlassungsvollstreckung besteht in der Bestrafung bei „Kontravention“.
V. Partikulare Gesetzgebung, französisches Recht und Reichszivilprozessordnung
Schrifttum:
Gaul ZZP 85 (1972), 251; Schlink, Commentar über die französische Civil-Prozessordnung, Bd. IV, 1857; Hahn, Materialien zur ZPO, Bd. I, II, 1880, S. 420 ff.
3.20
Die Vollstreckungsprinzipien des gemeinen Prozesses sind nach und nach durch partikulare Gesetzgebung verändert worden, die nach 1806 auch immer stärker französischer Vorlage folgte. Die Allgemeine Gerichtsordnung für die preußischen Staaten von 1793 (24. Titel) versuchte, die kritisierte Schwerfälligkeit gemeinrechtlicher Vollstreckung zu vermeiden, indem sie außer dem Exekutionsgesuch beim Prozessgericht erster Instanz keine weiteren Gläubigeranträge zum Fortgang des Verfahrens verlangte, vielmehr das Gericht von Amts wegen die Vollstreckung durch seine Exekutoren weiter betreiben ließ (Amtsbetrieb). Den entscheidenden Anstoß zu Neuerungen gaben hingegen der französische Code civil und der Code de procédure civile von 1806. Der Code de procédure civile war von dem Grundgedanken bestimmt, die Vollstreckung sei Sache der Parteien, nicht des Gerichts (Deregulierung der Vollstreckung). Daraus ergaben sich wichtige Konsequenzen. Das mit einer Klausel versehene Urteil konnte vom Gläubiger vollstreckt werden, ohne dass es gerichtlicher Mitwirkung bedurfte; der Gläubiger erhielt vielmehr direkten Zugang zum Vollstreckungsorgan. Das Vollstreckungsorgan, nämlich der Gerichtsvollzieher („huissier“), war Beauftragter des Gläubigers und nicht Hilfsorgan des Gerichts. Der Gerichtsvollzieher war umfassend für alle Formen der Geldvollstreckung zuständig