Zwangsvollstreckungsrecht, eBook. Alexander Bruns. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Alexander Bruns
Издательство: Bookwire
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Год издания: 0
isbn: 9783811487208
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worüber die lex Poetalia (um 326 v. Chr.) Regelungen trifft. Hinter der Personalexekution steht weniger der Grundgedanke der Liquidation als der Gedanke, den Schuldner, seine Familie und seine Freunde zur selbsttätigen Befriedigung zu zwingen. Im alten römischen Rechtsdenken entsprach der Auslösung die Sühnegabe, die den haftenden Rechtsbrecher vor der Rache des Verletzten schützen sollte. Die Personalexekution mit Auslösungsrecht ist eine Kultivierung und Fortentwicklung dieser Vorstellung.

      3.3

      Das Leistungsurteil des Formularprozesses der klassischen Zeit ergeht zwar auf Klageformeln, die neben certa oder incerta pecunia auch ein restituere, reddere, dare bzw. facere zum Gegenstand haben können, es geht aber immer auf Geld (condemnatio pecuniaria) – wie bereits erläutert eine historische Folge der Auslösungssumme der Personalexekution. Das Vollstreckungsverfahren soll die Urteilssumme verschaffen, der Gläubiger kann aber nicht einfach zugreifen, sondern muss zuerst in einem Zweitprozess die Verurteilung zur Vollstreckung erstreiten (actio iudicati). Das Verfahren über die actio iudicati ist der Nachfahre des Verfahrens über die Klage des vindex gegen die legisactio per manus iniectionem und gestattet wie dieses Verfahren das Vorbringen von Einwendungen (exceptiones) gegen die Vollstreckung des Urteils: Nichtigkeit des Urteils, arglistiges Prozessverhalten, Umstände nach Urteilserlass. Anerkennt der Schuldner die actio iudicati (Regelfall) oder wird er – unter Verdoppelung der Urteilssumme – „kondemniert“, so erteilt der Prätor wahlweise oder nebeneinander die Maßnahmen der Personal- oder Vermögensvollstreckung.

      3.4

      

      Die Personalvollstreckung erscheint gegenüber dem Legisaktionenprozess wenig verändert. Die Vermögensvollstreckung entwickelte sich aus der Personalvollstreckung als Generalexekution: das Schuldnervermögen wird als Ganzes zu Gunsten der Gläubiger beschlagnahmt (missio in bona) und veräußert (venditio bonorum) mit der Maßgabe, dass der Erwerber (bonorum emptor) alle Gläubiger ganz oder anteilig befriedigen muss! Das konkursähnliche Verfahren geht der Einzelvollstreckung also historisch voraus (ausführlich Bd. II Rn. 3.2 ff.). Nur für privilegierte Schuldner gab es schon in der klassischen Zeit die Möglichkeit, für einzelne Vermögensstücke oder Vermögensteile einen curator bonorum einzusetzen, der diese Vermögensteile zur Befriedigung des Gläubigers veräußerte (distractio bonorum). Privilegiert waren entweder sozial schutzwürdige Personen (Unmündige, Geistesgestörte etc.) oder Angehörige senatorischer Familien (personae clarae). In diesem Privileg steckt der Anfang einer Einzelvermögensvollstreckung im römischen Recht.

      3.5

      Der Kognitionsprozess, der sich zunächst als „cognitio extra ordinem“ neben dem Formularprozess seit der Zeit des Prinzipats entwickelte und dann den Formularprozess im 4. Jahrhundert n. Chr. verdrängte, ist ein amtlich bzw. richterlich geleiteter Prozess ohne die strengen Förmlichkeiten des parteienbeherrschten Formularprozesses. Er ist die historische Antithese der römischen Rechtskultur zum Prozess des republikanischen Bürgertums. Bei der Vollstreckung steht im klassischen Kognitionsverfahren das herkömmliche System neben dem neuen. Der obsiegende Kläger kann bei Geldurteilen die actio iudicati wie nach einem Formularprozess erheben, die dann wahlweise zur Personalexekution (Schuldknechtschaft) oder Vermögensexekution (regelmäßig Generalexekution, ausnahmsweise distractio bonorum) führt. Er kann aber auch formlos die „kognitiale“ Vollstreckung beim Richter beantragen: sie besteht wiederum in der – seltenen – Personalvollstreckung oder – regelmäßig – der Vermögensvollstreckung, die aber jetzt allgemein Einzelvollstreckung ist.

      3.6

      

      Die kognitiale Einzelvollstreckung enthält bereits alle wesentlichen Elemente des modernen Vollstreckungsrechtes, wie es in den europäischen Rechtsordnungen heute gilt. Zunächst einmal gibt der Kognitionsprozess das Prinzip der condemnatio pecuniaria auf, sodass sich eine Vollstreckung von Naturalleistungstiteln durch unmittelbaren Zwang entwickelt. Zum anderen wird die Vollstreckung von Geldforderungen auf der Grundlage der alten legis actio per pignoris capionem und der neueren distractio bonorum perfektioniert und ausgestaltet (pignus in causa iudicati captum). Auf Antrag des Gläubigers weist der Gerichtsherr den Vollzugsbeamten an, Vermögensgegenstände des Schuldners pfandweise in Besitz zu nehmen (pignoris causa capere). Bei mehreren Pfandrechten gilt die Priorität der Entstehung. Geld wird abgeliefert, andere Gegenstände werden vom Vollzugsbeamten öffentlich versteigert. Dabei gilt eine Vollstreckungsreihenfolge: bewegliche Sachen (Vieh, Sklaven), Grundstücke, Rechte und Forderungen (Einzug durch Vollstreckungsbeamte). Gepfändete Sachen Dritter werden auf Grund summarischer Entscheidung des Gerichtsherrn freigegeben (controversia pignoris capti), der rangbessere Gläubiger wird vorzugsweise befriedigt.

      3.7

      

      Das nachklassische Kognitionsverfahren Justinians ersetzte den formlosen Vollstreckungsantrag äußerlich durch die alte actio iudicati, die aber nur zur Titelprüfung führte (Urteil, hellenistische vollstreckbare Urkunde). Der iudex ordnete die Vollstreckung durch den executor an. Die Personalexekution besteht – oft mit Folterungen – fort. Die Vermögenseinzelvollstreckung kennt neben der Pfändung bei Geldforderungen die Wegnahme und Übergabe zur Erfüllung von Sachleistungsurteilen.

      3.8

      

      Inwieweit das spätrömische Vollstreckungsrecht Vollstreckungsschutz zu Gunsten des Schuldners kannte, steht nicht zuverlässig fest („beneficium competentiae“). Jedenfalls gab es unter Justinian Pfändungsverbote zu Gunsten der Landwirtschaft (Sklaven, Vieh, Geräte), die aber auch von öffentlichen Interessen motiviert waren.

      Schrifttum:

      Planitz, Vermögensvollstreckung, 1912; von Meibom, Das deutsche Pfandrecht, 1867; Brunner, Deutsche Rechtsgeschichte, Bd. I, 2. Aufl. 1906; Conrad, Deutsche Rechtsgeschichte, Bd. 1, 2. Aufl. 1962; Eich, Die Vollstreckungspersonen der Volksrechte, Diss. Bonn 1983; ders., Vollstreckungspersonen – Ursprünge und Entwicklungen bis zum Gerichtsvollzieher des heutigen Rechts, DGVZ 1985, 13 ff.; Münch, Vollstreckbare Urkunde und prozessualer Anspruch, 1989, S. 13 ff.; Repgen, Vertragstreue und Erfüllungszwang in der mittelalterlichen Rechtswissenschaft, 1994; Breßler, Schuldknechtschaft und Schuldturm: Zur Personalexekution im sächsischen Recht des 13.–16. Jahrhunderts, 2004; Pilz, Die historische Entwicklung des Gerichtsvollzieherwesens, DGVZ 2014, 1; s.a. Rn. 3.29.

      3.9

      Zur heutigen konkreten Ausformung des zivilprozessualen Vollstreckungsrechts hat die frühe germanische Rechtskultur weniger beigetragen. Immerhin finden sich aber doch einige Institutionen, die als Ausfluss zeitloser Grundvorstellungen die Rechtsgeschichte bis in die Gegenwart mitgeprägt haben. Der Rechtsgang der germanischen Frühzeit kannte keine Vollstreckung im eigentlichen Sinne. Erschien der Beklagte nicht vor Gericht, verweigerte er das Gelöbnis zur Erfüllung des Urteils oder brach er dieses Gelöbnis, so verfiel er der – strafrechtlich gedachten – Friedlosigkeit. Ihr Zweck war die Bestrafung des Schuldners, sein Gut verfiel dem König oder der Allgemeinheit. Aus dem Fehderecht der Frühzeit entwickelte sich daneben die außergerichtliche Pfandnahme durch den Gläubiger als Form der Selbsthilfe; sie war aber zunächst kein Befriedigungsmittel im eigentlichen Sinn, sondern Beugemittel, um den Schuldner zur Auslösung zu zwingen. Während die Friedlosigkeit Person und Vermögen des Schuldners voll erfasste, beschränkte die außergerichtliche Pfandnahme diese Wirkung auf Vermögensteile, nämlich die bewegliche Habe.

      3.10