b) Transnationaler Verwaltungsakt
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Transnationaler Verwaltungsakt
Eine sowohl horizontale als auch vertikale komplexe Kooperation ergibt sich aus der Notwendigkeit, für solche Produkte Warenverkehrsfreiheit herzustellen, die aufgrund ihrer besonderen Gefährlichkeit in den Mitgliedstaaten einer Zulassungsentscheidung bedürfen, da diese stets nur eine auf den jeweiligen Mitgliedstaat begrenzte Wirkung hat. Demzufolge müssten die Antragsteller in sämtlichen Mitgliedstaaten Zulassungsanträge stellen. Eine Lösung kann die gemeinschaftsweite Zulassung durch die Kommission sein (sog. Direktvollzug).[73] Dies ist jedoch nur in den Fällen sinnvoll, in denen eine Zulassung gemeinschaftsweit gewollt ist. In den anderen Fällen ist es notwendig, durch die gemeinschaftsrechtliche Verpflichtung zur Kooperation eine transnationale Wirkung herbeizuführen.[74] Ein komplexes Verfahren zur Herstellung einer transnationalen Wirkung findet sich etwa in der Richtlinie zum Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln.[75] Hier entscheidet ein Mitgliedstaat mit zunächst nur nationaler Wirkung. Jedoch sind Verfahren in anderen Mitgliedstaaten auszusetzen und nach Erlass der sog. Referenzentscheidung als Anerkennungsverfahren mit einem modifizierten Prüfungsmaßstab fortzuführen.[76]
a) Zollkodex
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Einheitlicher Zollkodex
Einen erheblichen Fortschritt auf dem Gebiet der Zollunion bewirkte die Zusammenfassung der bisher auf eine Vielzahl von Gemeinschaftsverordnungen und -richtlinien verstreuten Zollvorschriften im Zollkodex.[77] In ihm finden sich u. a. die Verpflichtung zu einer zügigen Entscheidung, die Pflicht zur Begründung einer schriftlichen Entscheidung (Art. 6), Regelungen von Rücknahme und Widerruf (Art. 8 und 9), Vertraulichkeit (Art. 15) sowie eine Vereinheitlichung der Anmeldeverfahren.
b) Vergaberecht
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Vergaberechtsreform
Da die Anfang der 1970er Jahre erlassenen Richtlinien zur Öffnung der nationalen Märkte im Bereich der öffentlichen Auftragsvergabe[78] nur einen geringen Erfolg gezeigt hatten[79], unternahm die Kommission einen erneuten Anlauf und erließ diverse Richtlinien, die öffentliche Dienstleistungsaufträge, öffentliche Lieferaufträge, öffentliche Bauaufträge sowie die Sektoren Wasser-, Energie-, Verkehrsversorgung und Telekommunikation zum Gegenstand hatten.[80]
c) Produktsicherheit
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Neues Konzept (New Approach)
In Abkehr vom Ansatz der Detailharmonisierung fand das Konzept staatlich regulierter Selbstregulierung[81] Eingang in das Recht der Produktsicherheit[82]. Der „New Approach“ setzt sich aus drei Elementen zusammen[83]: Die Richtlinien beschränken sich auf die Formulierung „grundlegender Anforderungen“. Technische Details werden in technischen Normen geregelt, die durch die Europäischen Normungsorganisationen erstellt werden.[84] Die Übereinstimmung mit diesen Anforderung zum Zweck des Marktzugangs wird durch privatrechtlich organisierte Konformitätsbewertungsstellen sichergestellt, die ihrerseits durch staatliche Stellen zugelassen und kontrolliert werden. Allein die Marktüberwachung bleibt staatlichen Stellen vorbehalten. Im Falle grenzüberschreitender Auswirkungen bestehen Meldepflichten an die Kommission und die anderen Mitgliedstaaten. Für einen schnellen Austausch der Gefahrenmeldungen wurde bereits durch Entscheidung des Rates 1984 das System für Marktüberwachung und Informationsaustausch RAPEX eingerichtet.[85]
d) Telekommunikationsrecht
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Öffnung der Telekommunikationsmärkte
Die Liberalisierung des Telekommunikationssektors beginnt mit der gegenseitigen Anerkennung der Allgemeinzulassungen von Telekommunikationsendgeräten und der Herstellung von gemeinschaftsweitem Wettbewerb auf dem Endgerätemarkt.[86] Sie setzt sich fort mit der Herstellung des offenen Netzzugangs. Nach und nach wird in allen Bereichen der Telekommunikation der freie Wettbewerb eingeführt, was ein bereichsspezifisches Wettbewerbsrecht nach sich zieht. Die Mietleitungsrichtlinie von 1992[87] sieht erstmals vor, dass die Mitgliedstaaten von den Telekommunikationsorganisationen rechtlich getrennte und funktionell unabhängige nationale Regulierungsbehörden errichten. Infolgedessen wird in Deutschland die „Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post“ gegründet.[88]
e) Umweltrecht
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Innovationen im Umweltrecht
Insbesondere umweltpolitische Rechtsakte veränderten das deutsche Verwaltungsrecht: Mit der Umweltinformationsrichtlinie von 1990[89] wird zum ersten Mal ein Jedermann-Recht auf Akteneinsicht eröffnet. Schon zuvor hatte die Richtlinie über die Umweltverträglichkeitsprüfung[90] ein Verfahren der Ermittlung von Umweltauswirkungen mit Öffentlichkeitsbeteiligung eingeführt. Eine freiwillige regulierte Selbstregulierung war Gegenstand der Verordnung über die Beteiligung gewerblicher Unternehmen an einem Gemeinschaftssystem für das Umweltmanagement und die Umweltbetriebsprüfung.[91] Sie führte zur Einrichtung beliehener privater Zulassungsstellen, welche die Umweltgutachter und Umweltgutachterorganisationen akkreditieren und beaufsichtigen, die wiederum die Betriebsprüfungen durchführen, die zur Eintragung in das EMAS-Register berechtigen. Eine Herausforderung für das deutsche Umweltrecht stellte nicht zuletzt die FFH-Richtlinie dar, welche die Grundlage für den Biotop-Verbund „Natura 2000“ bildet.[92] Sie verlangt ein komplexes Zusammenwirken zwischen den Mitgliedstaaten und der Kommission zur Ausweisung der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung. Die Umsetzung dieser Richtlinie verzögerte sich erheblich und führte zu zwei Verurteilungen Deutschlands im Vertragsverletzungsverfahren.[93]
6. Zwischenfazit
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Stand der Integration
In der kurzen Phase zwischen 1987 und 1993 im Zuge der Binnenmarktoffensive und auf der Grundlage der Umweltschutzkompetenz ergingen eine Vielzahl von Rechtsakten, die erhebliche strukturverändernde Auswirkungen auf das Verwaltungsrecht in Deutschland hatten.
1. Änderungen im Überblick
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Vertrag von Maastricht
Mit dem Vertrag von Maastricht[94] erfolgte ein weiterer Schritt auf dem Weg von der Wirtschafts- zur Wertegemeinschaft.
Unter dem Dach der Europäischen Union