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Anforderungen an das Verwaltungshandeln
Vor allem das Kartellrecht und das landwirtschaftliche Marktordnungsrecht gaben dem EuGH Anlass, weitere Anforderungen an das Verwaltungshandeln zu formulieren: Zu nennen sind die Begründungspflicht[28], die Verpflichtung zur Verwendung der jeweiligen Landessprache[29], die Verhältnismäßigkeit[30] und der Gleichbehandlungsgrundsatz[31] sowie erste Ansätze eines Akteneinsichtsrechts[32]. Das Recht auf effektiven Rechtsschutz konnte in der Rechtssache Johnston direkt der dem Streit zugrundeliegenden Richtlinie entnommen werden[33]; in der Rechtssache Heylens bezeichnet der EuGH dieses Recht bereits als einen allgemeinen Grundsatz des Gemeinschaftsrechts[34].
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Grundsatz gegenseitiger Anerkennung
Eine weitere Weichenstellung löst die Cassis de Dijon-Entscheidung[35] von 1979 aus. Sie hatte langfristig zur Folge, dass an die Stelle des Vollharmonisierungsansatzes, wie er von Rat und Kommission zunächst verfolgt worden war,[36] der Grundsatz gegenseitiger Anerkennung trat.[37] Dies führte im Weiteren zu neuen Formen der Kooperation zwischen den Mitgliedstaaten und zu einem neuen Konzept (New Approach) im Bereich der Produktsicherheit, die im Zuge der Binnenmarktoffensive realisiert wurden.[38]
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Effektivitäts- und Äquivalenzgebot
Das Effektivitäts- und Äquivalenzgebot als Konkretisierung der allgemeinen Loyalitätspflichten bei der Anwendung des nationalen Rechts zur Umsetzung von gemeinschaftsrechtlichen Anforderungen[39] und damit die Grenzen der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten[40] werden grundlegend im Zusammenhang mit der Rückforderung von Beihilfen im Agrarsektor entwickelt. Danach dürfen Kriterien des nationalen Rechts wie Vertrauensschutz, Fristen und Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis der Behörden für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Rückforderung unter der Bedingung herangezogen werden, dass die Verwirklichung der Gemeinschaftsregelung und des Gemeinschaftsinteresses nicht praktisch unmöglich gemacht wird.[41]
3. Komitologie und Agenturen
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Funktionen der Kommission
Wie schon in der Hohen Behörde verkörpert sich in der Kommission das Gemeinschaftsinteresse. Ihre drei Hauptfunktionen waren und sind die Rechtsetzungsinitiative, die Überwachung des Gemeinschaftsrechtsvollzugs (auch) unter Anwendung des Vertragsverletzungsverfahrens sowie in einzelnen Materien der unmittelbare Vollzug.[42] Dabei steht die Verwirklichung des Gemeinschaftsinteresses oftmals in einem Spannungsverhältnis zum Interesse der Mitgliedstaaten. Vor allem die Komitologie[43] und Agenturen[44] stellen Instrumente des Interessenausgleichs dar, wobei die Komitologie zugleich der Entlastung von Rat und Kommission, die Agenturen der Entlastung der Kommission dienen.
a) Komitologie
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Anfänge der Komitologie
Die Anfänge der Komitologie zu Beginn der sechziger Jahre sind im Bereich der Agrarpolitik zu verorten.[45] Angesichts der Notwendigkeit von Detailregelungen für die verschiedenen landwirtschaftlichen Märkte delegierte der Rat seine Befugnisse auf der Grundlage von Art. 155 EWGV auf die Kommission. Um die Kontrolle der Mitgliedstaaten zu erhalten, wurden Verwaltungsausschüsse eingerichtet, die sich aus Vertretern der Mitgliedstaaten zusammensetzten. Die Verordnung (EWG) 2602/69[46] regelte die Beibehaltung dieses Verwaltungsausschussverfahrens für eine Vielzahl von Märkten.
b) Agenturen
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Euratom-Versorgungsagentur
Die erste Agentur war die Euratom-Versorgungsagentur, die im Euratom-Vertrag selbst verankert (Art. 52 Abs. 2 lit. b) ist. Ihr kommt die Aufgabe zu, Kern energieunternehmen mit spaltbaren Produkten zu versorgen. Aufgrund umfassender Befugnisse der Kommission kann die Agentur jedoch nicht als typusprägend angesehen werden.
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CEDEFOP und EUROFOUND
Die ersten Agenturen im Anwendungsbereich des EWGV wurden 1975 gegründet. Es handelt sich um das Europäische Zentrum für die Förderung der Berufsbildung[47] sowie die Europäische Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen[48]. Beide Einrichtungen sind hinsichtlich ihrer Aufgaben und ihrer Organisation beispielhaft für die weitere Entwicklung. Sie sollen die Kommission in einem spezifischen Sachbereich entlasten, indem sie die Kooperation zwischen den Mitgliedstaaten organisieren, Expertise aktivieren, Studien anregen oder selbst durchführen, um der Kommission Entscheidungsgrundlagen zu liefern. Mit eigener Rechtspersönlichkeit ausgestattet, wird ihre Organstruktur und Arbeitsweise zum Vorbild für alle weiteren Agenturen. Organe sind der Direktor und ein Verwaltungsrat, der wiederum aus Fachvertretern der Mitgliedstaaten und ggf. weiteren Vertretern des relevanten Sektors zusammengesetzt ist oder durch einen Sachverständigenausschuss unterstützt wird. Das jährliche Arbeitsprogramm wird im Zusammenwirken von Direktor (Entwurf), Kommission (Einvernehmen) und Verwaltungsrat (Beschluss) festgelegt. In einem jährlichen Gesamtbericht über die Tätigkeit und die Finanzen legt der Verwaltungsrat gegenüber der Kommission Rechenschaft ab.
4. Andere Kooperationsformen
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Vertikale Kooperation
Während es sich bei der Komitologie und den Agenturen um die Organisation von Kooperation zwischen den relevanten Akteuren im Rahmen der Eigenverwaltung handelt, entstehen daneben auch Kooperationsformen zwischen der Kommission und nationalen Behörden.
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GAP
Kooperatives Zusammenwirken ist von Anfang an Bestandteil der Agrarpolitik.[49] Zur Finanzierung der GAP wurde als Teil des Gemeinschaftshaushalts der Europäische Ausrichtungs- und Garantiefonds für die Landwirtschaft mit den Abteilungen Garantie und Ausrichtung geschaffen.[50]
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Marktregulierung
Die Abteilung Garantie war für Ausfuhrerstattungen und die Finanzierung der Interventionen zur Regulierung der Agrarmärkte zuständig. Zunächst erfolgte dies in der Weise, dass die Mitgliedstaaten die Mittel vorstreckten und diese sodann von der Kommission erstattet wurden.[51] Dieses System wurde 1970[52] dahingehend geändert, dass nunmehr die Mittel von der Gemeinschaft vorgeschossen wurden, was eine nachträgliche Abrechnung erforderlich machte. Die Mitgliedstaaten waren für die zweckgerechte Verwendung der Mittel verantwortlich, worüber die gegenüber der Kommission benannten Dienststellen jährlich Berichte und Abrechnungen anzufertigen hatten, die der Kommission übermittelt wurden. Zwar handelte es sich im Grundsatz um mitgliedstaatlichen Vollzug. Mit dem jährlichen Rechnungs- und Konformitätsabschluss sowie der Kontrolle der Zahlstellen stand dieser Vollzug aber unter ständiger Kontrolle der Kommission.[53]
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Strukturförderung
Demgegenüber finanzierte die Gemeinschaft durch die Abteilung „Ausrichtung“ Strukturmaßnahmen. Hierfür erließ der Rat auf Vorschlag der Kommission Gemeinschaftsprogramme, in deren Rahmen Anträge auf Fördermaßnahmen gestellt werden konnten. Derartige Anträge waren über den Mitgliedstaat nach dessen Befürwortung einzureichen. Über sie wurde von der Kommission nach Stellungnahme durch den Ständigen Agrarstrukturausschuss und Anhörung des Fondsausschusses entschieden[54],