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Eine graduelle Steigerung des Erfolgsunrechts, das die Qualifikation des § 221 Abs. 2 Nr. 2 StGB trägt, bildet den Strafschärfungsgrund des § 221 Abs. 3 StGB. Auch dieser Tatbestand ist ein erfolgsqualifiziertes Delikt.[309] Der Tod der in hilflose Lage versetzten oder in hilfloser Lage im Stich gelassenen Person muss sich als Verwirklichung der konkreten Lebensgefahr darstellen, die der hilflosen Lage immanent war. In subjektiver Hinsicht genügt fahrlässige Verursachung des Todeserfolges, § 18 StGB.
e) Täterschaft und Teilnahme
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Die Gesamtsystematik der verschiedenen Grund- und Qualifikationstatbestände umfasst Allgemein- und Sonderdelikte. Jedermann kann als Täter die Tatbestände § 221 Abs. 1 Nr. 1, § 221 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 2 Nr. 2 sowie § 221 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 3 StGB verwirklichen.[310] § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB hingegen setzt eine Beschützergarantenstellung voraus und ist daher ein Sonderdelikt. Täter der Qualifikation gemäß § 221 Abs. 2 Nr. 1 StGB können nur Elternteile des Opfers sowie Erziehungs- und Betreuungspflichtige sein. Alle Merkmale, die den besonderen Täterstatus definieren, sind besondere persönliche Merkmale i.S.d. § 28 StGB. Wer als Anstifter oder Gehilfe an einer den § 221 Abs. 2 Nr. 1 StGB verwirklichenden Haupttat mitwirkt, ohne selbst die speziellen Tätervoraussetzungen zu erfüllen, ist nur aus § 221 Abs. 1 i.V.m. §§ 26, 27 StGB strafbar, § 28 Abs. 2 StGB.[311] Umgekehrt kann sich ein Vater oder eine Mutter aus § 221 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. §§ 26, 28 Abs. 2 StGB strafbar machen, indem er/sie das eigene Kind von einem fremden – nur den Grundtatbestand § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB erfüllenden – Täter in eine hilflose Lage versetzen lässt.
f) Versuch
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Straflos ist der Versuch der grundtatbestandsmäßigen Aussetzung.[312] Daraus folgt trotz vollständiger Erfüllung des objektiven Tatbestandes Straflosigkeit, wenn die Tat objektiv gerechtfertigt ist, der Täter die Erfüllung der objektiven Merkmale eines Rechtfertigungsgrundes aber nicht erkennt (z.B. Versetzung eines Angreifers durch eine objektiv erforderliche Verteidigung i.S.d. § 32 StGB in eine hilflose Lage[313]). Die Qualifikationen des § 221 Abs. 2 und Abs. 3 StGB sind Verbrechen i.S.d. § 12 Abs. 1 StGB. Gemäß § 23 Abs. 1 StGB folgt daraus die Versuchsstrafbarkeit. Unbestritten ist das in Bezug auf § 221 Abs. 2 Nr. 1 StGB.[314] Sehr kontrovers ist die Position der Strafrechtslehre zur Versuchsstrafbarkeit bei § 221 Abs. 2 Nr. 2 und Abs. 3 StGB. Grund des Streits ist die Straflosigkeit des Grunddeliktsversuchs. Nach h.M. kann die Verursachung einer schweren Folge durch den Versuch des Grunddelikts strafbar nur sein, wenn schon der grunddeliktische Versuch strafbar ist. Denn die schwere Folge müsse Voraussetzung für eine „schwerere Strafe“ sein. Dem Erfolg „schwere Gesundheitsschädigung“ (§ 221 Abs. 2 Nr. 2 StGB) und „Tod“ (§ 221 Abs. 3 StGB) wüchse hingegen strafbarkeitsbegründende Wirkung zu, wenn die Strafbarkeit des erfolgsqualifizierten Aussetzungsversuchs anerkannt würde. Das widerspräche § 18 StGB, wonach die schwere Folge eine „schwerere Strafe“ begründen müsse, was nur möglich sei, wenn schon das Grunddelikt strafbar ist.[315] Diese rechtlichen Konsequenzen lassen sich aus § 18 StGB aber nicht herleiten. Die Formel „Knüpft das Gesetz an eine besondere Folge der Tat eine schwerere Strafe“ hat lediglich gesetzestechnische Verweisungsfunktion und ist Ersatz für die Aufzählung der BT-Vorschriften, auf die § 18 StGB anwendbar sein soll: §§ 176b, 221 Abs. 3, 226 Abs. 1, 227, 235 Abs. 5 StGB usw. Die gesetzliche Festlegung, dass der Eintritt der schweren Folge nicht die Strafbarkeit eines per se straflosen Versuchs begründen dürfe, lässt sich dem § 18 StGB nicht entnehmen. Daher ist die Möglichkeit eines strafbaren Aussetzungsversuchs mit der schweren Folge des § 221 Abs. 2 Nr. 2 oder § 221 Abs. 3 StGB anzuerkennen.[316] Fraglich ist allerdings, ob der bloße Aussetzungsversuch Grundlage des erforderlichen Gefahrverwirklichungszusammenhangs sein kann. Das hängt davon ab, ob sich in der schweren Folge die Aussetzungserfolgsgefahr verwirklicht haben muss oder ob es reicht, wenn sich in der schweren Folge die Aussetzungshandlungsgefahr verwirklicht. Da die schwere Gesundheitsschädigung oder der Tod stets auf einem Kausalverlauf beruht, der das Durchgangsstadium der konkreten Gefahr der schweren Gesundheitsschädigung oder des Todes durchlaufen hat, reduziert sich das Problem auf Fälle, in denen die tatsächliche konkrete Gefahr nicht vom Vorsatz des Täters erfasst war. Hier stellt sich die Frage, ob der Anknüpfungspunkt für den Gefahrverwirklichungszusammenhang vorverlagert werden kann auf die Aussetzungshandlung. Dafür spricht vor allem die frühere Fassung des § 221 Abs. 3 StGB, in der ausdrücklich die „Handlung“ als Ursache von schwerer Körperverletzung oder Tod und zudem das Opfer als „ausgesetzte oder verlassene Person“ bezeichnet wurde. Dies trägt die Deutung, dass schon der Zustand des Ausgesetzt- oder Verlassenseins als relevante Quelle der schweren Folge anerkannt war und es auf den Zwischenerfolg der konkreten Gefährdung nicht ankam. Als strafbarer Aussetzungsversuch mit Todesfolge könnte demnach z.B. der Fall bewertet werden, dass das in hilfloser Lage verlassene, aber noch nicht konkret gefährdete Opfer in Panik durch den finsteren Wald irrt und dabei einen steilen Abhang hinabstürzt.
1. Fahrlässige Tötung
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Die allgemeine fahrlässige Tötung ist nach § 222 StGB strafbar. Strafbarkeitsvoraussetzung ist die Verursachung des Todes durch fahrlässiges Verhalten. Das kann aktives Tun oder garantenpflichtwidriges Unterlassen (§ 13 StGB) sein. Das Opfer muss im Zeitpunkt der Tat ein lebender Mensch sein. Bei Eingriffen in eine Schwangerschaft, die zur Folge haben, dass die Leibesfrucht entweder schon im Mutterleib verstirbt oder infolge vorgeburtlicher Schädigung nach der Geburt stirbt, ist der Tatbestand also nicht erfüllt, weil sich die fahrlässige Handlung nicht gegen einen Menschen richtete.[317] Wird dagegen dem Kind während der Geburt durch fehlerhaftes Handeln des Arztes oder der Hebamme ein Körperschaden zugefügt, der alsbald zum Tod führt, liegt fahrlässige Tötung vor.[318] Wie bei §§ 211, 212 StGB sind auch bei § 222 StGB allein Angriffe auf das Leben einer anderen Person tatbestandsmäßig. Beruht der Tod eines Menschen auf eigenem Verhalten des Getöteten, kommt eine Strafbarkeit anderer Personen aus § 222 StGB nur unter der Voraussetzung in Betracht, dass das selbsttötende Verhalten des Opfers nicht eigenverantwortlich war. Dabei sind dieselben Kriterien zugrunde zu legen, die im Bereich der vorsätzlichen Tötungsdelikte den Maßstab für die Unterscheidung strafloser Suizidbeteiligung und strafbarer Fremdtötung bilden. Zudem ist zwischen Beteiligung an eigenverantwortlicher Selbstgefährdung mit tödlichem Ausgang und einverständlicher Fremdgefährdung mit tödlichem Ausgang zu differenzieren.[319] Leitentscheidung zur straflosen fahrlässigen Suizidbeteiligung ist BGHSt 24, 342 ff. In seinem Urteil hat der 5. Strafsenat eine Parallele zur straflosen vorsätzlichen Teilnahme an einem Suizid gezogen: „Wer mit Gehilfenvorsatz den Tod eines Selbstmörders mitverursacht, kann nicht bestraft werden, weil der Selbstmord keine Straftat ist. Dabei gehört zum Gehilfenvorsatz, daß der Gehilfe weiß oder zumindest damit rechnet und billigend in Kauf nimmt, es werde zum Tod des Selbstmörders kommen. Schon dies verbietet es aus Gründen der Gerechtigkeit, denjenigen zu bestrafen, der nur fahrlässig eine Ursache für den Tod eines Selbstmörders setzt. Er ist sich – bei bewußter Fahrlässigkeit – wie der Gehilfe der möglichen Todesfolge bewußt, nimmt sie aber in Gegensatz zu jenem nicht billigend in Kauf. Bei unbewußter Fahrlässigkeit fehlt das Bewußtsein der möglichen Todesfolge. Es geht nicht an, das mit einer solchen inneren Einstellung verübte Unrecht strafrechtlich strenger zu bewerten als die Tat desjenigen, der mit Gehilfenvorsatz dasselbe Unrecht bewirkt, nämlich den Tod eines Selbstmörders mitverursacht.“[320]
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Die Handlung oder Unterlassung des Täters muss