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„Straftat“ ist eine Tat, die einen Straftatbestand erfüllt, rechtswidrig und schuldhaft ist. Eine Ordnungswidrigkeit ist von dem Begriff nicht erfasst, § 11 Abs. 1 Nr. 5 StGB.[208] Es trifft allerdings zu, dass es bei Inkrafttreten der die beiden Absichtsmerkmale beinhaltenden Fassung des § 211 StGB das Ordnungswidrigkeitenrecht noch nicht gab. Erstmalig im Jahr 1949 tauchte in dem Text eines deutschen Gesetzes der Terminus „Ordnungswidrigkeit“ auf.[209] Viele Delikte, die später in Ordnungswidrigkeiten umgewandelt wurden, waren bei Inkrafttreten des § 211 StGB im Jahr 1941 Straftaten, überwiegend Übertretungen. Solange waren sie auch taugliche Bezugsdelikte der Ermöglichungs- und Verdeckungsabsicht.[210] Allerdings kann daraus nicht geschlossen werden, dass pauschal alle Ordnungswidrigkeiten diesen Mordmerkmalen zugeordnet werden können. Das ist allenfalls in Bezug auf solche Tatbestände erörterungswürdig, die ursprünglich Straftaten waren und später ins Ordnungswidrigkeitenrecht verschoben wurden. Aber auch insofern ist die Ausgrenzung aus dem Mordtatbestand die vorzugswürdige Behandlung. Die Herabstufung zur Ordnungswidrigkeit ist eine Rechtsänderung, die den Täter besser stellt. Deshalb müssten in konsequenter Umsetzung des Gedanken des § 2 Abs. 3 StGB sogar Tötungen, die der Ermöglichung oder Verdeckung von Taten galten, die zur Zeit der Tötung noch Straftaten waren, im Falle der Umwandlung in Ordnungswidrigkeiten den Mordmerkmalen Ermöglichungs- und Verdeckungsabsicht entzogen werden. Große praktische Auswirkungen hat die Kontroverse nicht. Denn Tötungen, mit denen der Täter die Ermöglichung oder Verdeckung einer Ordnungswidrigkeit anstrebt, werden in der Regel wegen der Niedrigkeit des Beweggrundes Mordqualität haben.[211]
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Die Straftat, die der Täter ermöglichen oder verdecken will, kann eine eigene oder eine fremde sein.[212] Entscheidend ist, dass die vorgestellte Tat bei objektiver Würdigung alle Voraussetzungen einer Straftat erfüllt. Handelt es sich z.B. um ein Sonderdelikt und erfüllt der Täter das vom Gesetz vorausgesetzte besondere Tätermerkmal nicht, ist Ermöglichungs- oder Verdeckungsabsicht nur möglich, wenn der Täter sich die Erfüllung des besonderen Tätermerkmals irrig vorstellt. Relevant ist nur ein tatsachenbezogener Irrtum, wie er dem untauglichen Versuch zugrunde liegt. Bildet sich der Täter auf Grund fehlerhafter rechtlicher Wertung ein, die zu ermöglichende oder zu verdeckende Tat sei eine Straftat („Wahndelikt“), ist das Absichtsmerkmal nicht erfüllt. Umgekehrt ist die irrtümliche Annahme, die Tat sei nicht strafbar, nur im Fall fehlerhafter tatsächlicher Vorstellung beachtlich. Rechtsirrtümer entlasten nicht, z.B. die nicht auf der Vorstellung eines rechtfertigenden Sachverhalts beruhende Annahme, die Tat sei nicht rechtswidrig.
bb) Zur Ermöglichung einer anderen Straftat
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Mit „Ermöglichung“ ist ein Zusammenhang zwischen Tötung und Begehung der anderen Straftat gemeint, bei der die Tötung Voraussetzungen schafft, ohne die die Begehung der anderen Tat entweder überhaupt nicht möglich wäre oder durch die die Begehung der anderen Tat erleichtert würde.[213] Handelt es sich bei der anderen Tat um die eines anderen Täters, nimmt der Täter der Tötung eine Gehilfenposition gegenüber dem anderen ein. Da die zu ermöglichende Tat eine „andere“ sein muss, ist das Konkurrenzverhältnis zwischen beiden Taten von entscheidender Bedeutung. Die Rechtsprechung verfolgt zu diesem Punkt keine klare und einheitliche Linie und versucht mit zum Teil unklaren Kriterien dem Verhältnismäßigkeitsgebot einzelfallbezogen gerecht zu werden. Sicher ist, dass es auf Verschiedenheit der Straftatbestände nicht ankommen kann. Weder ist es schon dann eine andere Tat, wenn durch die Tötung zugleich noch ein anderer Straftatbestand – z.B. § 249 StGB – verwirklicht wird noch ist das Mordmerkmal ausgeschlossen, wenn auch die zu ermöglichende Tat eine vorsätzliche Tötung ist. Entscheidend ist die tatsächliche Trennung der Taten, für die als einziges Rechtssicherheit gewährendes Kriterium die Unterscheidung von Tateinheit (§ 52 StGB) und Tatmehrheit (§ 53 StGB) in Betracht kommt. Fallen Tötung und die zu ermöglichende Tat uno actu zusammen, gibt es im Verhältnis zur Tötung keine andere Tat.[214] In subjektiver Hinsicht bedeutet „Absicht“ dolus directus 1. Grades. Die Ermöglichung der anderen Straftat muss ein Ziel sein, auf dessen Erreichung es dem Täter ankommt. Dies ist jedoch nicht unvereinbar mit bedingtem Tötungsvorsatz, der gemäß § 15 StGB bei § 211 StGB zur Erfüllung des subjektiven Tatbestandes grundsätzlich ausreicht. Sperrt der Täter sein Opfer in einen Raum ein, um es als mögliches Hindernis der geplanten anschließenden Straftatbegehung aus dem Weg zu räumen, begeht er einen versuchten Mord, wenn er den Tod des Opfers für möglich hält und billigend in Kauf nimmt. Verstirbt das Opfer tatsächlich, weil es nicht rechtzeitig befreit wird, ist es ein vollendeter Mord. Die tatsächliche Begehung der durch Tötung ermöglichten Tat erzeugt eine Realkonkurrenz (§ 53 StGB) zweier Straftaten. Daher wird die zweite Tat doppelt zum Nachteil des Täters verwertet, nämlich als Gegenstand des Mordmerkmals „Ermöglichungsabsicht“ und als mit dem Mord realiter konkurrierende Straftat. Im Sanktionsbereich wirkt sich diese Doppelung nicht aus, da die Gesamtstrafe ohnehin lebenslange Freiheitsstrafe ist und die zweite Straftat sich nicht straferhöhend auswirken kann, § 54 Abs. 1 S. 1 StGB. Ist die zweite Tat eine Ordnungswidrigkeit, steht der Täter schlechter: wegen des Mordes wird er mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft, wegen der Ordnungswidrigkeit – die nicht gemäß § 21 OWiG von der Straftat verdrängt wird – kann gegen ihn eine Geldbuße festgesetzt werden.
cc) Zur Verdeckung einer anderen Straftat
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Dieses Mordmerkmal steht in einem nicht unproblematischen Spannungsverhältnis zu dem Selbstbegünstigungsprinzip, dem im Strafrecht grundsätzlich täterprivilegierende Relevanz zukommt.[215] Jedenfalls wenn der Täter eine eigene Straftat verdecken will, geht es ihm darum, durch die Tötung die ihm drohenden strafrechtlichen Konsequenzen der anderen Tat abzuwenden. Er begeht also den Versuch einer Strafvereitelung zu eigenen Gunsten, die den objektiven Tatbestand des § 258 Abs. 1 StGB nicht erfüllt. Letzteres ist Ausfluss des Selbstbegünstigungsprinzips. Beim Verdeckungsmord überwiegt hingegen die besondere Verwerflichkeit und auch Feigheit des Täters, der nicht für seine Verfehlung einstehen will und ein anderes Menschenleben opfert, um sich der Verantwortung zu entziehen:[216] „§ 211 StGB will bestimmte, ob des Beweggrundes, der Ausführungsart oder des Zwecks besonders verwerfliche Fälle der Tötung als Mord geahndet wissen.