2.Die Auswirkungen auf Ausbildungsinhalte und -einrichtungen sowie wissenschaftliche Veröffentlichungen53, 54
3.Das Zusammenspiel zwischen nationaler und europäischer Verwaltungsrechtswissenschaft55, 56
4.Die Entwicklung der Rechtsvergleichung und die Frage einer Reform des Verwaltungsrechts57 – 59
Erster Teil Landesspezifische Ausprägungen › § 59 Wissenschaft vom Verwaltungsrecht: Frankreich › Allgemeine Hinweise
Allgemeine Hinweise
Abkürzungen
AJDA | L’Actualité Juridique – Droit Administratif |
EDCE | Études et Documents du Conseil d’État |
GAJA | Grands arrêts de la jurisprudence administrative |
RDP | Revue du Droit Public et de la science politique en France et à l’étranger |
RFDA | Revue Française de Droit Administratif |
Erster Teil Landesspezifische Ausprägungen › § 59 Wissenschaft vom Verwaltungsrecht: Frankreich › I. „Geburt einer Wissenschaft vom Verwaltungsrecht“
I. „Geburt einer Wissenschaft vom Verwaltungsrecht“[1]
1
„Verwaltungsrechtswissenschaft“ wird als solche an den juristischen Fakultäten Frankreichs nur selten unterrichtet. Um auf den Begriff zu stoßen oder gar auf eine bestimmte Vorstellung, worum es sich dabei handeln könnte, muss man schon Literatur heranziehen, die sich mit der Geschichte der Verwaltung oder des Verwaltungsrechts befasst. Die verwaltungsrechtlichen Lehrbücher hingegen sind in der Hinsicht wenig aufschlussreich. Wahrscheinlich betreiben ihre Autoren Wissenschaft, ohne es zu wissen. Wie dem auch sei, als vermeintliches Produkt juristischen Denkens kann die Wissenschaft vom Verwaltungsrecht, so es sie denn gibt, als „Betätigung der Vorstellungskraft am Gegenstand des Rechts“ verstanden werden.[2] Das Ergebnis dieser Betätigung scheint heute ungewiss. Man kann zwar immer noch geneigt sein, an ein „Primat des Verwaltungsrechts“ und an eine Vorrangstellung seiner Wissenschaft zu glauben.[3] Keinesfalls aber kann man den „fundamentalen inneren Widerspruch einer Disziplin [ignorieren], die gleichzeitig Dienerin individueller Freiheit und Garant effektiver Verwaltung, Beschützerin des Bürgers gegen die Exekutive und Mittel zur Durchsetzung des Regierungswillens sein will.“[4] Wenn man dann liest, dass es „das große Verdienst des Conseil d’État [sei], die am wenigsten schlechte Lösung für dieses Problem gefunden zu haben“, ist man am Kern der Sache angelangt. In der Tat scheint die Wissenschaft vom Verwaltungsrecht von Beginn an untrennbar mit dem Conseil d’État verwoben. Jedoch sollte man sich auch davor hüten, nur der Hagiograph jener Institution zu sein, deren Ursprünge in der Verfassung des Jahres VIII (1799) liegen und die vom Ersten Konsul (Napoleon Bonaparte) als wesentliches Instrument seiner Herrschaft begriffen wurde.
1. Im Gefolge der Französischen Revolution
2
Auch wenn sich aus dieser Feststellung noch keine methodischen Schlüsse ergeben,[5] so kann sie doch als eine Art Geburtsurkunde dienen. Wenn der Entstehungszeitpunkt der Wissenschaft vom Verwaltungsrecht hier auf die Zeit nach der Gründung des Conseil d’État im Jahre VIII (1799) datiert wird, so mag das vielleicht verwundern: Für viele Historiker schlug „die Geburtsstunde des Verwaltungsrechts unter der monarchie administrative“ und damit schon vor der Französischen Revolution.
[6] Ihre Studien zeigen, dass bereits zu dieser Zeit ein veritabler Korpus von administrativen Regeln entstanden war.[7] Die damaligen Rechtsgelehrten erkannten schnell dessen Eigenart, seinen gegenüber dem „gemeinen Recht“ derogativen Charakter,[8] und fanden in der „Polizei (police)“ den Schlüssel zu einer gewissen begrifflichen Erfassung. Davon zeugt der Traité de la police (1707/1710) von Nicolas Delamare (1639–1723) im frühen 18. Jahrhundert. Das Werk ist eine systematische Bestandsaufnahme der „Polizeigesetze“, die aus einer pragmatischen Perspektive erstellt wurde, für den „Dienst am König und das öffentliche Wohl“. Seine Methode ist historisch. „Meine Absicht war nicht“, schrieb Delamare, „eine bloße Sammlung der Anordnungen und Vorschriften mit Bezug zur Polizei zusammenzustellen, sondern ihre Entstehungsgeschichte nachzuzeichnen.“[9] Es ist freilich allgemein anerkannt, dass der Begriff der „Polizei“ immer mehrdeutig geblieben ist. So kann man ihn sehr weit im Sinne einer das gesamte gesellschaftliche Leben erfassenden „Policey“ verstehen oder sehr eng im Sinne der bloßen Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung. Allerdings wurde er Mitte des 18. Jahrhunderts durch das neue Konzept der öffentlichen Verwaltung verdrängt, welche umfassend definiert werden konnte als „Gesamtheit von Personen- und Sachmitteln, die dazu bestimmt ist, eine gewisse gesellschaftliche Ordnung von Sachen, Rechten und Eigentumsverhältnissen, seien es öffentliche oder private, aufrechtzuerhalten.“[10] Um dieses Ziel zu erreichen, bedurfte es eines besonderen Rechts, eines „politischen Rechts“, Ausdruck der spezifischen Erfordernisse des „Gemeinwohls“, das sich „naturgegebenermaßen“ deutlich vom Zivilrecht unterschied und für das ein besonderer Rechtsweg vorgesehen war. Darüber hinaus waren in einer Zeit, als den Wissenschaften allgemein großes Interesse galt, die Umstände günstig für die Entstehung einer eigenen Wissenschaft, die sich der Strukturierung und Weiterbildung dieses Rechts widmete. Damit verfolgte man schon damals ein Anliegen, das später auch Charles-Jean Bonnin teilen sollte, als er in seinen Principes d’administration publique (3 Bde., 3. Aufl., 1812) das Projekt formulierte, „die Verwaltung als Wissenschaft zu behandeln“, und entsprechend die Notwendigkeit einer systematischen Studie unterstrich, die sich sowohl von „unnützen Theorien“ als auch von bloßen Textsammlungen zum geltenden Recht abhob.[11]
3
Die hier aufgestellte These einer späteren Entstehung ist gleichwohl gerechtfertigt, weil trotz allem vor 1789 „sich das Verwaltungsrecht noch nicht zu einer wissenschaftlichen Disziplin im Sinne der Errichtung eines kohärenten Systems von Regeln herausgebildet hatte, im Unterschied zu den Errungenschaften auf den verschiedenen Gebieten des Privatrechts.“[12] Die Bezeichnung „Verwaltungsrecht“ selbst taucht im Übrigen erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts auf. Nun trifft es zwar zu, dass ab 1789 neue verfassungsrechtliche Grundsätze formuliert wurden: der Vorrang des Individuums, die Herrschaft des Rechts und die Gesetzesbindung der Verwaltung. Doch sollte auch beachtet werden, dass gleichzeitig das Gesetz vom 16. bis 24. August 1790 den Richtern verbot, „in welcher Art auch immer die Verwaltungstätigkeiten zu behindern oder Beamte für ihre Amtshandlungen vorzuladen.“ Eine umfassende Verwaltungsgerichtsbarkeit