Strafrecht Besonderer Teil. Группа авторов. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

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Издательство: Bookwire
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Год издания: 0
isbn: 9783846344385
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eines Schwerkranken verkürzen, ist Gegenstand kontroverser politischer Diskussionen. Der gegenwärtigen Gesetzesfassung kann insoweit in § 216 StGB lediglich der Grundsatz entnommen werden, dass eine gezielte aktive Lebensverkürzung auch dann unter Strafe steht, wenn sie dem Willen des Getöteten entspricht. Unter welchen Voraussetzungen eine zum Tod führende Handlung nicht als strafbare aktive Lebensverkürzung, sondern als zulässige Sterbebegleitung anzusehen ist, und inwieweit die Tötung eines Schwerkranken trotz der Regelung in § 216 StGB unter Einwilligungsgesichtspunkten gerechtfertigt und damit straflos sein kann, ist jedoch nach wie vor nicht abschließend geklärt. Um einen ersten Überblick über die durchaus klausurrelevante Thematik zu verschaffen, soll nachfolgend zunächst der Anwendungsbereich des § 216 StGB aufgezeigt und anschließend der aktuelle Stand der Diskussion um die Strafbarkeit von »Sterbehilfe«-Maßnahmen skizziert werden.

      a) Tötung auf Verlangen – § 216 StGB

      aa) Einführung

      102Während die Literatur § 216 StGB nahezu einheitlich als Privilegierungstatbestand gegenüber § 212 StGB einordnet, erblickt die Rechtsprechung auch in diesem ein delictum sui generis. Soweit im Fall der Tatbeteiligung mehrerer die in § 216 StGB geschilderte Mitleidsmotivation nur beim Täter bzw. nur beim Teilnehmer vorliegt, gelangt die Rechtsprechung daher zur Anwendung von § 28 Abs. 1 StGB, während nach dem systematischen Verständnis der Literatur § 28 Abs. 2 StGB heranzuziehen ist. Die sich hieraus ergebenden Probleme entsprechen weitgehend denjenigen des Mordtatbestandes, so dass insoweit auf die Ausführungen in Rn. 85ff. verwiesen wird.[183]

      103§ 216 StGB sanktioniert das Verhalten desjenigen, der einen anderen Menschen vorsätzlich tötet, d.h. die objektiven und subjektiven Strafbarkeitsvoraussetzungen des § 212 StGB verwirklicht, aber erst infolge des ausdrücklichen und ernstlichen Verlangens des Getöteten zur Tötung bestimmt worden ist. Der besonderen Konflikt- und Mitleidsmotivation, in der sich der Täter im Fall des § 216 StGB befindet, wird vom Gesetz durch einen im Vergleich zu § 212 StGB deutlich herabgesetzten Strafrahmen Rechnung getragen. Dass die Tötung trotz des ausdrücklichen Verlangens des Getöteten überhaupt unter Strafe steht, wird teilweise kritisch beurteilt, wobei insbesondere auf die Dispositionsfreiheit des Getöteten sowie die Straflosigkeit des Suizids verwiesen wird.[184] Mehrheitlich wird jedoch davon ausgegangen, dass ein praktisches |47|Bedürfnis für die Regelung in § 216 StGB besteht, wobei zur Begründung u.a. angeführt wird, dass Sterbewillige vor übereilten Entscheidungen geschützt werden müssten.[185] Ferner würde die Streichung des § 216 StGB eine erhebliche Missbrauchsgefahr begründen, da der Täter dann stets behaupten könnte, er habe die Tötung auf Verlangen des Opfers durchgeführt.[186] Ob diese Argumente tatsächlich hinreichen, die Strafbarkeit eines Verhaltens zu legitimieren, das aufgrund eines ausdrücklichen Verlangens des Tatopfers erfolgt, braucht hier nicht abschließend beurteilt zu werden, da die bloße Existenz des § 216 StGB zu dessen Anwendung zwingt.[187] Zumindest das Missbrauchsargument sollte indes kritisch beurteilt werden, da sich dieses auch heranziehen ließe, um dem Täter, der unter den in § 216 StGB geschilderten Voraussetzungen handelt, jegliche Strafmilderung zu versagen. Dies wäre jedoch nur schwerlich mit dem Umstand in Einklang zu bringen, dass die §§ 211ff. StGB primär den Schutz des individuellen Rechtsgutes »Leben« vor Augen haben und daher nicht losgelöst von der inneren Einstellung des jeweils betroffenen Individuums interpretiert werden sollten.

      bb) Tatbestandsvoraussetzungen

      104Die Prüfung des § 216 StGB entspricht im Ausgangspunkt derjenigen des § 212 StGB, jedoch ist das in Rn. 18 dargestellte Prüfungsschema im objektiven Tatbestand um das Erfordernis eines ausdrücklichen und ernstlichen Verlangens des Getöteten zu erweitern, durch das der Täter zur Tötung bestimmt worden sein muss. Verlangen bedeutet in diesem Zusammenhang mehr als bloße Einwilligung. Das Opfer muss sein nachdrückliches Begehren unmissverständlich zum Ausdruck gebracht haben, wovon in der Regel nicht auszugehen ist, wenn er das Verhalten des Täters lediglich passiv duldet.[188]

      105|48|Tab. 2: Prüfungsaufbau § 216 StGB

      106Hauptproblem im Rahmen der Anwendung des § 216 StGB ist in der Regel die Frage, ob das Sterbeverlangen ernstlich geäußert wurde. Der BGH hatte in diesem Zusammenhang im Jahr 2010 über einen Fall zu entscheiden, in dem eine Ehefrau, die seit Jahren unter einem Unterleibsgeschwür litt, ihren Ehegatten nach dem Aufstehen in ein längeres Gespräch verwickelte und dazu aufforderte, sie zu erschießen, da sie ihren »Lebensmut verloren« habe. Das erstinstanzlich zuständige LG bejahte hinsichtlich der vom Ehegatten anschließend ausgeführten Tötung die Voraussetzungen des § 216 StGB, beschränkte sich in der Begründung aber weitgehend auf die Wiederholung des Gesetzestextes. Dies beanstandete der BGH und führte aus, dass die Ernsthaftigkeit des Tötungsverlangens zweifelhaft erschiene, da nicht ausgeschlossen werden könne, dass dieses auf eine lediglich vorübergehende depressive Verstimmung des Tatopfers zurückzuführen sei. Zugleich nahm der Gerichtshof die Entscheidung zum Anlass, einen detaillierten Überblick über den gegenwärtigen Stand der Auseinandersetzung um die Anforderungen an die Ernstlichkeit eines Tötungsverlangens zu geben: »In der Rechtsprechung des BGH ist die Frage, welche Anforderungen an die Ernstlichkeit eines Tötungsverlangens zu stellen sind, nicht abschließend geklärt. Allerdings hat der BGH in seinem Urteil vom 22. 1. 1981 (4 StR 480/80, NJW1981, 932) festgehalten, dass ernstlich im Sinne des § 216 StGB nur ein Verlangen sei, das auf fehlerfreier Willensbildung beruhe. Der seinen Tod verlangende Mensch müsse die Urteilskraft besitzen, um Bedeutung und Tragweite seines Entschlusses verstandesmäßig zu überblicken und abzuwägen. Es komme deshalb auf die natürliche Einsichts- und Urteilsfähigkeit des Lebensmüden an; sei dieser zu einer freien Selbstbestimmung über sein Leben entweder allgemein oder in der konkreten |49|Situation nicht imstande, z.B. als Geisteskranker oder Jugendlicher […], der nicht die entsprechende Verstandesreife besitze, so fehle es an einem ernstlichen Verlangen. […] Auch das Schrifttum versagt einem Tötungsverlangen dann die Anerkennung, wenn dem Opfer diese Fähigkeit – etwa infolge alters- oder krankheitsbedingter Mängel oder unter dem Einfluss von Alkohol oder Drogen – fehlt (vgl. Fischer 57. Aufl., § 216 Rn 7; Lackner/Kühl 27. Aufl., § 216 Rn; LK-Jähnke 11. Aufl., § 216 Rn 7; MünchKomm-StGB-Schneider § 216 Rn 21; Sch/Sch-Eser 26. Aufl., § 216 Rn 8; SK-StGB-Horn 6. Aufl., § 216 Rn 8). Gleiches gilt für einen Todeswunsch, der deshalb nicht auf einem in freier Eigenverantwortung gefassten Entschluss beruht, weil der Täter ihn durch Zwang, Drohung oder arglistige Täuschung hervorrief, etwa durch Vorspiegelung eigener Suizidabsicht […]. Damit sind die inhaltlichen Anforderungen, die das normative Tatbestandsmerkmal der Ernstlichkeit für die privilegierende Wirkung des Tötungsverlangens voraussetzt, jedoch nicht abschließend umschrieben. Das Fehlen von Willensmängeln der genannten Art ist zwar notwendige, nicht aber auch hinreichende Voraussetzung der Ernstlichkeit des Tötungsverlangens. […] Welche weiteren Eingrenzungen des Tatbestandsmerkmals danach geboten sind, wird aber […] nicht einheitlich beantwortet. Teils wird einem Todeswunsch die Ernstlichkeit schon dann abgesprochen, wenn er als unüberlegt anzusehen ist (Kühl a.a.O.), ohne diesem Begriff allerdings schärfere Konturen zu geben. Überwiegend wird einem Verlangen die Anerkennung dann versagt, wenn es einer Augenblicksstimmung oder einer vorübergehenden Depression entsprang (Fischer; LK-Jähnke; Sch/Sch-Eser; SK-StGB-Horn – alle a.a.O.). Gelegentlich wird der Wunsch des Opfers, sterben zu wollen, darüber hinaus auch dann für unbeachtlich gehalten, wenn es bei seinem Entschluss von unzutreffenden Voraussetzungen ausging oder einem wesentlichen Motivirrtum unterlag, so etwa bei irriger Annahme einer unheilbaren Erkrankung (Sch/Sch-Eser; SK-StGB-Horn; jew. a.a.O.). Am weitesten geht die Auffassung, das Tötungsverlangen sei ein Unterfall der Einwilligung, weshalb es grundsätzlich schon dann anzuerkennen sei, wenn das Tatopfer keinen einwilligungsrelevanten Willensmängeln unterlag; auch diese Ansicht verlangt aber einschränkend eine durch Willensfestigkeit und Zielstrebigkeit gezeichnete innere