Die namentliche Übereinstimmung beim Fliegenpilz gewinnt, sehen wir einmal von den wenigen Ausnahmen ab, an Gewicht, wenn wir die Namen anderer Pilzarten hernehmen. Nicht eine weist diese Übereinstimmung auf! Nehmen wir als Beispiele von den bekannteren Pilzen den Steinpilz und den Pfifferling, um ihre offiziellen Namen in den gewählten Sprachen zu sondieren.
Wir stoßen auf ganz unerwartete Bezeichnungen: Im Englischen heißt er „Gelbling“, im Niederländischen „Eichhörnchenbrot“, im Schwedischen „Karljohanspilz“; im Französischen nennt er sich cèpe, was nicht zu übersetzen ist, im Italienischen „Schweinepilz“ und im Spanischen „Speiseticketling“. Polnisch und Russisch ist es der „Waldling“, Tschechisch der „Pilz“ schlechthin, Ungarisch der „Herrschaftliche Röhrling“. Es ist Boletus edulis, unser geliebter Steinpilz. Keine Spur mehr von einheitlicher Namensgebung.
Das ist auch beim Pfifferling der Fall, der in seinen verschiedenen, allein offiziellen Namen in Europa etwas zu tun hat mit Eiern, Gesängen, Hähnen, Hennen und Füchsen, einen unübersetzbaren Namen trägt oder, da unbekannt, im einheimischen Allgemeinwortschatz nicht aufzufinden ist.
Hinter gleichen Namen stehen gleiche Erfahrungen und Erkenntnisse, oft auch gegenseitiger Austausch. Unter den Pilzen ist es eben der Fliegenpilz, der in unseren Breiten zu den bekanntesten zählt. Und weiter östlich auch zu den beliebtesten.
Der Feldweg steigt sanft an. Rechts und links Maisfelder, Weiden, Kartoffeläcker. Am Wegrain wetteifert roter Klatschmohn mit blauen Kornblumen um die Gunst des Wanderers. Die Natur ist ein Malkasten, der Strahl der Sonne zaubert die Farben hinein. Daran wollen auch die Schmetterlinge teilhaben, die in der Spätsommerluft hin und her schwanken. Hell und eingefärbt von Lebenslust sind Gesang und Geschwätz der Vögel, die zenithoch stehen oder auf den knorrigen Ästen der wenigen Apfelbäume hocken.
Vorn dann fesselt den Blick ein dunkleres, weites Grün, das bald den nahen Horizont ausfüllt. Nach unten zu setzt es sich erdfarben auf den strauchbestandenen Saum ab, der Feld und Wald miteinander verflicht. Am Waldesrand gräbt sich der Weg in den Boden, als wolle er ein Hohlweg werden. Und mutig stößt er nach einem leichten Bogen in das Dunkel des Waldes hinein, aus der hellen Heiterkeit der Felder in das vornehm gedämpfte Licht zwischen den Bäumen. Einzelne Föhren verstecken sich zwischen den Fichtenstämmen. Einige Birken, sie haben auf das glatte Weiß ihrer Haut gern verzichtet, stehen am Wegrand. Die Luft unter den Nadelbäumen ist angenehm kühl. Es herrscht eine andere wunderbare Ruhe. Sie umschmeichelt den Wanderer, der noch die Ruhe der Weite in sich trägt. Sie ist auch hier mit Vogelstimmen angefüllt, weniger bunt in den Tönen jedoch, gedeckt in den Farben.
Ein kaum merkliches Rauschen erfüllt die Luft. Das Schattenspiel der Wipfel auf dem Weg macht fröhlich.
So weicht der Wanderer vom Weg ab, setzt seinen Fuß in den federnden Nadelboden. Und läuft, der Weg hat es ihn zuvor gelehrt, geradewegs hinein in den schütteren Schatten der weit stehenden Bäume. Dort sind es keine hohen Fichten mehr; es wurden gedrungene, knorrige Bäume, weit auslandend, dicht an dicht.
Da ward er mit einemmal eines kleinen Männleins gewahr, das zwischen den Fichten erschien und mutterseelenallein dastand. Es hatte von lauter Purpur ein Mäntlein um ...
Und das soll ein Fliegenpilz sein? Noch dazu purpurfarben, was überhaupt nicht geht? Oder gar eine Hagebutte, wie es Kinderliederexperten behaupten? Nie und nimmer! Den Fliegenpilz jedenfalls hätte unser Wanderer schon am Waldrand antreffen müssen, spätestens zwischen den Birken und Randfichten. Und zwar in Gesellschaft weiterer Artgenossen, so gut wie niemals allein. Gleiches gilt auch für die Hagenbutte, die noch weniger einsam vorkommt und noch mehr Sonnenwärme braucht. Da gibt es ohnehin seit hundertfünfzig Jahre die Ungereimtheit, dass das Liedchen vom allein stehenden Männlein in den meisten Liederbüchern zwei Strophen, in wenigen anderen drei Strophen hat. In der zweiten trägt es ein „schwarz Käpplein“, und in der dritten, falls vorhanden, heißt es „Das Männlein dort auf einem Bein ... kann nur die Hagebutte sein“. Was hat sich der Herr Heinrich Hoffmann von Fallersleben da bloß ausgedacht? Ihm zur Ehrenrettung sei angemerkt, dass die dritte Strophe überhaupt nicht eines Meisters Werk sein dürfte. Weil sie weder in Versfuß, Versmaß, Silben- und Zeilenzahl noch im Reimmuster mit den ersten beiden Strophen übereinstimmt – und so mit der vorgegebenen Melodie nicht sangbar ist. Denkbar ist aber auch, dass Hoffmann von Fallersleben mit diesem „Rätsel“ seine Zeitgenossen verkohlen wollte.
So möge unser Pilzfreund weiter wandern und sich weiter wundern, was er denn da gesehen hat. Vielleicht wird ihm ein prominenter Ammenmärchenforscher Auskunft geben. Auf die Idee, es könnte sich in Wirklichkeit um einen entführten und laufen gelassenen Gartenzwerg handeln, der sich verirrt hat, ist leider noch niemand gekommen.
Wir aber wollen unser Landschaftsbild von der Heide nicht weiter mit mysteriösen Pinselstrichen überschmieren lassen und die Welt der Pilze mal aus einem anderen Blickwinkel einsehen.
Myzel + Fruchtkörper = Thallus = Pilz?
(Hellmut übersetzt Pilzwissenschaftliches)
„So sehr sich Amanita muscaria und Amanita regalis (in ihrem Erscheinungsbild) gleichen, sind es doch zwei verschiedene Arten. Unterscheidungsmerkmale sind in der Färbung der Oberhaut und der Trama, im Lamellenansatz, in Größe und Ausgestaltung der Hüte älterer Exemplare u.a. zu finden, nicht aber, wie sonst am zuverlässigsten, anhand der Sporen (beide oval, 9-11 / 6-9 μm) und des Spp. (beide weiß). Gemeinsamkeiten wie Velum universale, deutliche Knolle, Muskarin- und Ibutensäuregehalt u.a. teilen Amanita muscaria und Amanita regalis mit Amanita pantherina, deren sicherstes Bestimmungsmerkmal gegenüber den beiden ersteren jedoch differiert: Unter dem Mikroskop erkennen wir eiförmige, 10-12 / 7-8 μm große Sporen. Das hebt sie von Amanita excelsa, dem Grauen Wulstling, in erster Linie mit deren kurz-ovalen, 9-10 / 7-8 μm großen Sporen ab (neben einigen weniger sinnfälligen Charakteristika wie Kartoffellagergeruch, konzentrisch angeordnete Hüllreste, vielzählige Farbvarianten). Unter den Basidiomyceten ...“
Klingt gelehrt, dieser Auszug aus einem wissenschaftlichen Wälzer, nicht wahr? Er gibt beweisbare Fakten wieder, bringt der Pilzkundige seine Genugtuung zum Ausdruck, dem die Aussagen über religiöse Riten und Namen des Fliegenpilzes, seine Verehrung und Verwendung als „Glückspilz“ unnützes Geschwätz sind.
Das wissenschaftliche Buch ist auch absolut notwendig, fragt man beispielsweise danach, wie viel Arten Fliegenpilze es auf Grund der deutschen Bezeichnungen denn gibt: eine („Fliegenpilz“), zwei (dazu noch „Königsfliegenpilz“) oder gar vier (einschließlich „Roter Fliegenpilz“ und „Brauner Fliegenpilz“)? Die wissenschaftliche Beschreibung, Systematik und Bezeichnung geben u.a. exakt Auskunft, dass, wodurch und wie drei der vier Amaniti giftig sind usw. Dass es im Übrigen noch weitere Fliegenpilz-Formen gibt, so den Gelben Fliegenpilz, selten auch in unseren Breiten, und den Weißen im Süden, sei hier nur am Rande erwähnt. Die Pilzwissenschaft arbeitet noch an der Klärung, ob es sich um Varietäten, Unterarten oder gar eine eigene Art handelt.
Doch wer von den Pilzfreunden und Hobbymykologen geht schon mit dem Mikroskop in der Tasche und dem Pilzwälzer in der Hand in den Wald? Lassen wir lieber das Banner der Entdeckerlust, des Augenschmauses und der Gaumenfreuden voran wehen. So erfreuen wir uns auch daran,