Lösung zu Aufgabe 3
Im Sachverhalt wurden die Betroffenen in Gewahrsam genommen. Als Ermächtigung fungiert § 35 Abs. 1 Nr. 2 PolG NRW (Unterbindungsgewahrsam). Hiernach ist eine Gewahrsamnahme zulässig, wenn das unerlässlich ist, um die unmittelbar bevorstehende Begehung oder Fortsetzung einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit zu verhindern. Das VG Schleswig bejahte die Voraussetzungen der Eingriffsnorm in einem entsprechenden Fall (entsprechend § 35 Abs. 1 Nr. 2 PolG NRW).44 Die Betroffenen haben eine Ordnungswidrigkeit begangen, die auch von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit – verkörpert durch die betroffenen Nachbarn – gewesen ist. Angesichts des uneinsichtigen Verhaltens der Ruhestörer ist das Mittel der Ingewahrsamnahme auch „unerlässlich“ zur Beseitigung der Gefahr weiterer Störungen. Wird die Nachtruhe durch laute Musik oder auf sonstige Weise empfindlich gestört, so dürfen die Verursacher in Gewahrsam genommen werden, wenn andere mildere Maßnahmen nicht möglich sind. Vorliegend hätte auch eine Sicherstellung der Anlage in Erwägung gezogen werden können (§ 43 Nr. 1 PolG NRW). Indes mussten die Polizeibeamten damit rechnen, dass die Kläger auch nach Entfernung der Anlage andere Wege – wie das bereits begonnene „Trommeln“ – finden würden, um sich lautstark bemerkbar zu machen. Die Ingewahrsamnahme zwecks Verhinderung von Ordnungswidrigkeiten ist aus rechtlichen Gründen nicht unproblematisch. Strittig ist hier, ob eine Ingewahrsamnahme zur Verhinderung einer Ordnungswidrigkeit überhaupt zulässig ist. Diesbezüglich wird ein Verstoß gegen Art. 5 Abs. 1 Satz 2c EMRK angenommen, wonach die Freiheit der Person nur zur Verhinderung einer strafbaren Handlung entzogen werden darf. Die Verhinderung einer Ordnungswidrigkeit wird nicht erwähnt. Aufgrund Art. 59 Abs. 2 Satz 2 GG steht die EMRK im Rang eines Bundesgesetzes. Bei Interpretation nationalen Rechts ist die Konvention zu beachten. Das bedeutet grundsätzlich auch, dass die Konvention als Bundesgesetz dem Landesrecht vorgeht und dass die in Art. 2 ff. EMRK verbürgten Menschenrechte und Grundfreiheiten zu beachten sind.45 Die Regelung des polizeilichen Unterbindungsgewahrsams ist mit Art 5 Abs. 1 EMRK vereinbar.46 Nach dem BayVerfGH lässt sich nicht feststellen, dass nur die mit Kriminalstrafe bedrohten Handlungen von Art. 5 Abs. 1 Satz 2c EMRK erfasst werden.47 Art. 5 Abs. 1 Satz 2c EMRK lässt auch eine Freiheitsentziehung zur Verhinderung von Ordnungswidrigkeiten zu, wenn diese mit erheblichen Gefahren für ein geschütztes Rechtsgut verbunden sind.48 Nach der Rechtsprechung sind die entsprechenden Vorschriften der Polizeigesetze mithin mit Art. 5 EMRK vereinbar.49 Wird also die Nachtruhe durch laute Musik oder auf sonstige Weise empfindlich gestört, so dürfen die Verursacher in Gewahrsam genommen werden, wenn andere mildere Maßnahmen nicht möglich sind. Ob eine Ordnungswidrigkeit von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit vorliegt, kann auch nicht abstrakt, sondern nur nach den Umständen des Einzelfalls beurteilt werden.50
1 Der Sachverhalt ist angelehnt dem Urteil des VG Schleswig v. 15. 6. 1999 – 3 A 209/97, NJW 2000, 970. Mit entsprechenden Fallbearbeitungen auch P-TRE PolR Sachsen, S. 146. — 2 Das Klingeln an der Wohnungstür und die Aufforderung diese zu öffnen, ist nicht notwendigerweise mit einem Betreten (Durchsuchen) verbunden. Insofern liegt ein eigenständiger Grundrechtseingriff in Art. 2 Abs. 1 GG (allgemeine Handlungsfreiheit) vor. Das Klingeln an der Wohnungstür („Öffnen Sie die Tür“) ist – ebenso wie die „Ermahnung zur Ruhe“ – als selbstständige Verfügung zu qualifizieren. Problematisch ist in derartigen Fällen mitunter die Wirksamkeit des Verwaltungsaktes. § 43 VwVfG NRW stellt den Zeitpunkt der Wirksamkeit mit der Bekanntgabe gleich. Bekanntgabe bedeutet, dass der Empfänger über den Verwaltungsakt informiert wird. Zuweilen könnte die Bekanntgabe zweifelhaft sein, da nicht unbedingt davon ausgegangen werden kann, dass das Klingeln (Aufforderung) auch wahrgenommen wird. — 3 Hierbei geht es nicht um die Verfolgung einer Ordnungswidrigkeit, sondern um die Verhinderung der Fortsetzung einer Ordnungswidrigkeit. Das aber ist Teil der Gefahrenabwehr. — 4 Vertiefend: Voßkuhle JuS 2007, 908; Schoch JURA 2003, 472. — 5 Grundlegend Britz NVwZ 2019, 672 ff.: Freie Entfaltung der Persönlichkeit – Verfassungsversprechen zwischen Naivität und Hybris? — 6 OLG Düsseldorf NJW 1990, 1676. — 7 Das Öffnen einer Tür wird auch als „Teilhandlung“ zum Betreten und Durchsuchen einer Wohnung angesehen, die vom Adressaten erduldet werden muss; so das VG Düsseldorf, Beschl. v. 28. 9. 1983 – 18 K 1051/82. — 8 Vgl. auch mit einer Fallbearbeitung Springer PIR 1/2009, 46 ff. — 9 Grundlegend zum Wohnungsgrundrecht Braun StaatsR, S. 166 ff. — 10 Puttler JA 2001, 669 (672). — 11 WHM POR NRW, Rn. 196: Die Öffnungsverfügung selbst kann nur auf der Generalklausel (§ 8 Abs. 1 PolG NRW) beruhen, da sich aus § 41 PolG NRW im Hinblick auf den Wortsinn nicht die Befugnis ergibt, den Wohnungsinhaber aufzufordern, die Wohnung aktiv zugänglich zu machen. — 12 Schenke POR, Rn. 115. — 13 Schenke POR, Rn. 152. — 14 Götz/Geis POR, § 12, Rn. 5; Schenke POR, Rn. 115. A.A.Gusy PolR, Rn. 256 („Die Durchsuchung ist als Realakt, nicht hingegen als Verwaltungsakt zu qualifizieren“). — 15 Schenke POR, Rn. 115: Die Anordnung einer Durchsuchung, mit welcher der Betroffene zur Duldung der Durchführungshandlung verpflichtet wird, stellt sich als VA dar, die Durchführung der Durchsuchung dagegen als Realakt. — 16 Kritisch Schmitt/Kammler NWVBl. 1995, 166 (167). — 17 Fehling JA 1997, 482 (483). — 18 Die Prämisse „auch ohne Einwilligung“ wird auch als „eigentlich überflüssig“ betrachtet. Sie darf nicht dahin verstanden werden, es müsste immer erst die Nicht-Einwilligung eingeholt werden, bevor gem. dieser Vorschrift (§ 41 PolG NRW) gehandelt werden könne. Vielmehr will § 41 PolG NRW zum Ausdruck bringen, eine Wohnung dürfe betreten werden, ohne dass es auf das Vorliegen einer Einwilligung ankäme. Wenn eine Einwilligung vorliegt, geht der Wohnungsbetretung der Eingriffs-Charakter ab und es stellen sich keine rechtlichen Probleme, jedenfalls solange die Polizei nur überhaupt im Rahmen polizeilicher Aufgaben handelt, Schmitt-Kammler NWVBl. 1995, 166 (dort.