Schwerpunkte: Generalklausel, Betreten von Wohnungen, Zwang, Ersatzvornahme, Zufallsfunde (BtM), Gewahrsam zwecks Verhinderung von Ordnungswidrigkeiten
An einem Sonntagabend, 23.30 Uhr rufen Anwohner des Mehrfamilienhauses Hansastraße 56 in A-Stadt telefonisch wegen Ruhestörung und überlauter Musik die Polizei. Bei Eintreffen der Polizeibeamten POK B und POK C wird überlaute Musik festgestellt. Es befinden sich mehrere Mietparteien des Mehrfamilienhauses auf ihren Balkonen, weil diese sich durch die Musik gestört fühlen. Auch an angrenzenden und gegenüberliegenden Wohnhäusern fühlten sich Personen gestört. Die Musik geht von der Wohnung des Fachhochschulstudenten A aus. Die Beamten klingeln an der Wohnungstür des A. Als dieser die Tür öffnet, wird er aufgefordert, die Musik leiser zu stellen. Dieser zeigt sich einsichtig. Die Musik wird leiser gestellt. Kurz nachdem sich die Polizeibeamten wieder entfernt haben, gehen erneut mehrere Anrufe bei der Leitstelle der Polizei in A-Stadt ein. Wieder beschwerten sich Anwohner über die überlaute Musik aus der Wohnung des A. POK A und POK B werden erneut zur Hansastraße 56 entsandt. Am Einsatzort nehmen die Beamten vor dem Wohnhaus erneut überlaute Musik wahr. Die Beamten entschließen sich, die Wohnung des A zu betreten, „um endgültig für Ruhe zu sorgen“, nötigenfalls auch durch Mitnahme der Musikanlage. Auf Klingeln und Klopfen an der Wohnungstür reagiert niemand. Als auf erneutes Klopfen an der Wohnungstür mit „Zurückklopfen“ und Beschimpfungen reagiert wird, fordern die Polizeibeamten den A lautstark auf, die Tür zu öffnen und die Musik leiser zu stellen. A gibt den Beamten zu erkennen. dass er die Tür keinesfalls öffnen werde. Vielmehr beschimpft er die Beamten als „Spaßverderber“ und gibt ihnen zu erkennen, dass „sie schon sehen werden, was sie davon haben“, wenn sie seine Wohnung betreten würden. Schließlich habe er in der BLÖD-Zeitung gelesen, dass man „einmal im Jahr feiern dürfe“. Als die Beamten androhen, die Tür nötigenfalls auch zwangsweise öffnen zu lassen, ernten sie Gelächter. Sodann wird die Musik noch lauter gestellt. Zu allem Überfluss wird nunmehr auch noch gegen die Wand zur Nachbarwohnung getrommelt.
Die Beamten verständigen über die Leitstelle einen Schlüsseldienst, der die Wohnungstür des A öffnet. Die Beamten betreten die Wohnung des A und halten hierbei auch Ausschau nach der Musikanlage. In der Wohnung des A befinden sich mehrere angetrunkene Personen. A erklärt den Beamten unaufgefordert, er werde „die Musik sowieso wieder aufdrehen“, wenn die Beamten die Wohnung verlassen hätten. Schließlich habe er „Geburtstag und einmal im Jahr dürfe man laut Gesetz auch feiern“. Als POK A die Sicherstellung der Musikanlage in Aussicht stellte, erklärt A, man könne auch ohne Musikanlage Musik machen, z. B. durch „Rhythmisches Trommeln“. Die Beamten schließen nun aus diesem Verhalten, das A und seine „Gäste“ gewillt waren, auch weiterhin in jedem Fall Lärm zu machen und die Nachbarn zu stören. Die Betroffenen werden schließlich zur Wache mitgenommen und am nächsten Morgen entlassen. A erhob später über seinen Rechtsanwalt gegen das seiner Meinung nach „willkürliche Vorgehen“ der Polizei Beschwerde. Schließlich habe er am Samstag Geburtstag gehabt und „einmal im Jahr“ dürfe man schließlich auch lauter feiern.
Aufgabe:
1. Beurteilen Sie rechtsgutachtlich die polizeilichen Maßnahmen:
– Klingeln an der Wohnungstür des A und Ermahnung zur Ruhe
– Klingeln und Klopfen an der Wohnungstür des A und Aufforderung, die Wohnungstür zu öffnen (Betreten der Wohnung)
– Öffnen der Wohnungstür mit Schlüsseldienst
2. In der Wohnung des A sehen die Beamten auf dem Küchentisch einen Beutel mit Haschisch. Darf dieses Betäubungsmittel als Zufallsfund sichergestellt werden?
3. Nehmen Sie problemorientiert Stellung zur Gewahrsamnahme des A und seinen Gästen.
Hinweis: Die örtliche Zuständigkeit als formelles Erfordernis kann unterstellt werden.
Lösung zu Aufgabe 1
A. Klingeln an der Wohnungstür des A und Ermahnung zur Ruhe
I. Ermächtigungsgrundlage
Nach dem Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes bedarf es bei einem Grundrechtseingriff einer Ermächtigungsgrundlage, welche auf ein verfassungsmäßiges Gesetz zurückzuführen ist. Ein Eingriff ist jede durch Hoheitsakt bewirkte, nicht absolut geringfügige Beeinträchtigung eines Grundrechtes. Durch die Verfügung an A („zur Ruhe ermahnt“) wird eingegriffen in die Allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG).2 Die polizeiliche Verfügung („Ermahnung zur Ruhe“) erfolgte erkennbar zur Gefahrenabwehr (Verhinderung von Ordnungsstörungen/Ordnungswidrigkeiten, §§ 9, 17 LImSchG NRW).3
II. Formelle Rechtmäßigkeit
Die sachliche Zuständigkeit ergibt sich aus § 1 Abs. 1 Satz 1, 3 PolG NRW i. V. m. § 11 Abs. 1 Nr. 1 POG NRW. Gem. § 1 Abs. 1 Satz 1 PolG NRW hat die Polizei die Aufgabe, Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwehren (Gefahrenabwehr). Gefahr ist eine Sachlage, die einen Schaden für die öffentliche Sicherheit erwarten lässt. Das ist insbesondere gegeben, wenn ein tatsächliches Geschehen den Schluss rechtfertigt, dass möglicherweise individuelle Rechte wie Leib,