Himmel (jetzt reicht's aber). Andrea Ross. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Andrea Ross
Издательство: Автор
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Жанр произведения:
Год издания: 0
isbn: 9783967525328
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      Stephens Blick fiel auf seine CD-Sammlung, die reichlich chaotisch geordnet auf dem Regal neben seinem Bett residierte. Spontan griff er nach einer Scheibe von AC/DC, ließ den Song »Highway To Hell« abspielen; der dünkte ihm irgendwie passend. Als er nun hellwach auf seinem, nach wie vor, unordentlichen Bett lag, die Arme hinter dem Kopf verschränkt, wurde ihm langsam die Tragweite der vielen Geschehnisse des heutigen Tages bewusst. So kurz erst war er im Leben zurück; und so viel hatte sich schon verändert, ohne dass er irgendetwas davon hätte maßgeblich beeinflussen können.

      Nach dem eher unerfreulichen Gespräch mit seiner Mutter hatte sich Stephen zwecks Recherchen noch einmal ans Notebook gesetzt und eine weitere Mail von Kati gefunden. Sie klagte ihn darin wortreich an, sie ständig zu ignorieren und stellte ihm ein freches Ultimatum. Falls er sich bis zur genannten Uhrzeit nicht bei ihr gemeldet habe, sei es aus und vorbei, und zwar für immer und ewig.

      »Sei’s drum!« Steve löschte die Mail. »Wenn DU wüsstest, wie lange du für mich schon abgemeldet bist«, grummelte Stephen grimmig. Er mochte Frauen grundsätzlich nicht leiden, die ihn dauernd unter Druck setzen wollten. Außerdem reagierte seine Seele nicht im Geringsten beim Lesen des Namens »Kati«.

      Als Nächstes fand er eine Mitteilung unter der Rubrik »Wissenschaft«, die erst um 23 Uhr eingestellt worden war. Stephen hatte seit einiger Zeit diese Sparte aus den brandneuen Nachrichten auf der Startseite seines Internet-Explorers abonniert und saß jetzt mit weit aufgerissenen Augen stocksteif vor dem Rechner. Ein Adrenalinschub der Sonderklasse war ihm vom Kopf bis zu den Zehenspitzen durch den Körper geschossen.

      Na klar! Deshalb also kam ihm das heutige Datum von Anfang an so bekannt vor! Nun brauchte er sich wenigstens nicht mehr das Gehirn zu zermartern, weshalb ihm dieses irgendwie bedeutungsvoll erschien – es war exakt jener Tag, an welchem dieser verfluchte Komet Apophis zum allerersten Mal von Wissenschaftlern einer Sternwarte in Arizona gesichtet worden war. In den Monaten vor dem errechneten Einschlag 2029 war dieses Entdeckungsdatum immer wieder durch die Presse gegeistert; als Beginn des Countdowns für das himmlische Planeten-Billard. Verdammt!

      Damit stand wohl gleichzeitig fest, dass er von dieser unheilvollen Problematik auch in seiner neuen Existenz nicht befreit bleiben würde. Entmutigt ließ er sich auf sein Bett fallen, das war in etwa vor drei Stunden gewesen. Seither kam er aus dem Schwarzmalen und Sinnieren nicht mehr heraus.

      Stephen fand sich damit ab, dass an Schlaf mit Sicherheit weiterhin nicht zu denken war. Es gab Wichtigeres. Er schälte sich aus den Kissen und setzte sich zurück an den Schreibtisch, zog ein DIN A 3-Papier aus der Schublade, denn ihm war ein Einfall gekommen. Warum zeichnete er nicht einfach diesen Lebensbaum Yggdrasil schematisch auf, mit allen wichtigen Ereignissen aus seinen verschiedenen Lebenswegen? Damit er nichts übersah? Richtig. Und er würde drei verschiedene Farben benutzen, wegen der Verwechslungsgefahr. Man konnte dann auf Anhieb erkennen, welches Ereignis in welches Leben gehörte, wo Überschneidungen sichtbar wurden.

      Zunächst schrieb Stephen die einzelnen Begebenheiten in der jeweiligen Farbe auf ein Extrablatt. Danach wollte er sie auf dem Baum anordnen, um zu sehen, an welcher Stelle er jeweils eine andere Abzweigung genommen hatte, die dann in neue Richtungen führte. Offensichtlich gleich zweimal in die Falsche.

      »Mercedes wäre stolz auf mich, wenn sie das sehen könnte!«, murmelte Stephen, während er konzentriert seine Aufzeichnungen begann. Als Ziel malte er ein Strichmännchen, das eine Chipkarte bei der Himmelspforte in einen Schlitz steckte und grünes Licht zum Eintritt angezeigt bekam. Mit 25 Jahren war Stephen McLaman eben immer noch ein unverbesserlicher Scherzkeks gewesen.

      Zwei Stunden später, als er endlich befriedigt in sein Bett zurückkehrte, waren ihm beim Anblick seiner Zeichnung ganz von selbst mehrere Thesen in den Sinn gekommen:

      Er durfte sich in keiner Weise mehr in puncto Weltuntergang oder dessen Abwendung engagieren, auch nicht bei seiner künftigen Tochter, dem Messias es war besser, die geschäftlichen Bemühungen der LAMANTEC AG aus diesem Themenkomplex total herauszuhalten, sich hier nirgends hineinzusteigern; vor allem: Kein Spiel namens »Die Ikarus-Matrix« zu kreieren Lena musste er zwar beschützen, doch durfte er dennoch nicht allzu krampfhaft versuchen, sie wieder zu seiner Frau zu machen; damit hatte er ihr im letzten Leben definitiv keinen Gefallen getan Er konnte es sich sparen, nach Spanien auszuwandern. Er war dort sowieso nie besonders erfolgreich gewesen und wollte überdies Yolandas Leben keinesfalls gefährden.

      Im Grunde musste er nur eines tun – gar nichts, außer später vielleicht auf Lena und seine Tochter ein wenig zu achten. Aus einer gewissen Entfernung heraus, mehr gleich einem wachsamen Schatten. Wenn er dann neue Ereignisse immer zeitnah an der richtigen Stelle in seine Zeichnung integrierte, konnte er wahrscheinlich besser abschätzen, wohin sie führen mochten und adäquat darauf reagieren.

      Vielleicht hatten die Menschen in grauer Vorzeit genau deswegen die Zeichnung dieses Baums erfunden … konnte es womöglich wahr sein, dass es schon vor ihm menschliche Unglücksraben gegeben hatte, die ihr Leben oder Teile davon mehrmals durchlaufen mussten?

      Mit diesen wenig zuversichtlichen Gedanken fiel Steve erschöpft in einen langen, unruhigen Schlaf. Seine detaillierte YggdrasilZeichnung lag indessen unverändert neben dem Notebook auf seinem Schreibtisch.

      * * *

      Hektisch hängte Belinda ihren rosafarbenen Berufskittel an den Haken. Verdammt, warum waren manche Kundinnen nur derart geschwätzig? Sie vergab ihre Termine durchaus immer mit einem gewissen Spielraum, der Verzögerungen mit einberechnete. Aber diese Frau Schiller sprengte jedes Mal auch diesen großzügigen Rahmen, indem sie mit herausgedrehten Augen ausgiebig über jeglichen Klatsch und Tratsch berichtete, dessen sie habhaft werden konnte.

      Wozu ließ diese fette Kuh mit dem teigigen Gesicht überhaupt ihre Augenbrauen und Wimpern färben? Ein wirklich sinnloses Unterfangen, eine solche Frau hätte höchstens ein Sack über den Kopf ansehnlicher gemacht. Oder ein Ganzkörperkondom.

      Manchmal hasste Belinda ihren Job im Dienste der Schönheit. Sie arbeitete als angestellte Kosmetikerin in einem stadtbekannten Salon, einen anderen Beruf hatte sie leider nicht erlernt. Jedenfalls nicht zu Ende. Sie barg in ihrem Inneren wohl das, was man als flatterhafte Natur bezeichnete; Belinda liebte plötzliche Kehrtwendungen, verhielt sich alles andere als beständig. Deshalb war sie trotz eines sehr gut bestandenen Abis nach vielen anderen Experimenten auch in diesem eher schlecht bezahlten Beruf gelandet, wo Eskapaden langmütig geduldet wurden.

      Sie war eben lediglich unbeständig, andere Kolleginnen hingegen stellten sich in ihren Augen wirklich ausgesprochen dumm an. Da zog ihre Arbeitgeberin Belindas Naturell wohl immer noch notgedrungen vor. Belinda war wenigstens hart im Nehmen, bekam nicht schon wegen eines abgebrochenen Fingernagels Flenn-Anfälle, feierte nie absichtlich krank.

      Anfangs hatte es der quirligen Blondine sogar richtig Spaß bereitet, mit Farben zu hantieren. Jeden Tag schuf sie neue kleine Kunstwerke auf den Gesichtern der Frauen, die ihr dafür mehr oder weniger dankbar waren und gutes Geld im Salon zurückließen. Mit der Zeit jedoch gingen ihr die leeren, meist inhaltslosen Gespräche dieser verwöhnten Tanten ziemlich auf den Wecker.

      Blabla … schon gehört? Die mit dem und der andere weiß nichts davon, hach, die neueste Mode … blabla. Und sie, Belinda, musste sich den ganzen Wortmüll geduldig anhören und Interesse heucheln, sonst gab es kein Trinkgeld. Am liebsten waren ihr noch die Damen, welche selbstverliebt einen bloßen Monolog hielten, egal worüber – da konnte sie währenddessen wenigstens geistig auf Durchzug schalten.

      Diese Schiller war leider anstrengender. Was meinen Sie hierzu, was meinen Sie dazu … Belinda meinte in Gedanken insgeheim nur eines: »Du bist fertig geschminkt, mach den Kopf zu und verzieh dich!« Die junge Frau hatte sich stets einer etwas derberen Sprache bedient, weil sie in ihrem Alltag durchaus auch vielen derben Situationen ausgesetzt gewesen war.

      Klar, die meisten davon hatte sie selbst verursacht. Man unterschätzte sie leicht, denn niemand vermutete bei ihr auf Anhieb einen IQ von 135. Oft fand Belinda es total witzig, wenn man ihr bei Erklärungen die Version für doofe Blondinen servierte; dabei hatte sie entgegen des beim Gesprächspartner hinterlassenen Eindrucks den jeweiligen