Cornelia Wilß: Wie ist das TKO im Kölner Kulturbetrieb verankert?
Nedjo Osman: Unser Theater ist in der Kölner Theaterlandschaft bekannt. Das TKO wird vom Kulturbüro und von anderen Stiftungen finanziert.
Cornelia Wilß: Welche Stücke stehen auf dem Spielplan?
Nedjo Osman: Wir spielen verschiedene Sachen, von Heiner Müller, den ich sehr mag, bis Shakespeare, aber wir bearbeiten auch immer Roma-Themen, zum Beispiel in Rukeli, einem Schauspiel über den Sinto-Boxer Rukeli, den die Nazis im Konzentrationslager ermordet haben, aber auch in dem Theaterstück Schwarzbrot, in dem es um Abschiebung geht, und in ZigeunerSchnitzel.
Szenenfoto aus Rukeli Foto: TKO-Theater
Cornelia Wilß: Wie war es für Sie, sich als Roma-Künstler in der deutschen Kulturszene zu behaupten?
Szenenfoto aus Schwarzbrot Foto: TKO-Theater
Schwarzbrot: „Abgeschoben – 20 Jahre lebte sie in Deutschland, hier unter uns. Und plötzlich fliegt sie raus. Irgendwohin. Gezerrt. Getreten. Verfrachtet. Ohne Vorbereitung. Willenlos. Wie ein Stück Vieh. Der Boden unter ihren Füßen reißt weg. Die Luft zum Atmen bleibt aus. So passiert es Vera. Und Trajo. Doch er hat nicht dasselbe Schicksal. Seines ist schlimmer. Als Rom hat er sich so extrem angepasst, dass er sich selbst verlor. Zwischen Gewinn und Verlust. Zwischen Rom und Nicht-Rom. In dieser Situation treffen sie sich. Unerwartet. Beide fremd in unserer Gesellschaft. Schlagen wie Meteoriten aufeinander ein. Beide verzweifelt. Er zwischen Pflicht, Verständnis, Mitgefühl. Sie zwischen Mutterinstinkt, Verlorenheit, Liebe. Sie finden und verlieren sich. Sofort. Schonungslos. Tragisch.“
Szenenfoto aus ZigeunerSchnitzel, Foto: TKO-Theater
ZigeunerSchnitzel: „Am Beginn der Suchbewegung, die zu dem Theaterstück ZigeunerSchnitzel führt, stehen zwei Texte. Beide setzen sich über mehrere Generationen hinweg mit dem Leiden der Roma auseinander: In Katzenstreu begegnet Stefan Horvath dem Terror des 4. Februar 1995, einem Attentat, bei dem vier Roma aus Oberwart in Österreich ihr Leben verloren. Anlässlich dieses Verbrechens schrieb Elfriede Jelinek 1996 das Theaterstück Stecken, Stab und Stangl. Es richtet sich nicht nur gegen die monströse Untat selbst, sondern auch gegen den medialen Umgang damit und den Chor der Trauermoderatoren.
Diese Texte verweben tatsächliche und fiktive Ereignisse zu einem dichten theatralischen Netz, an dem die Emotionen und Fantasien wie Tautropfen kondensieren.“
Nedjo Osman: Vielleicht hätte ich es leichter gehabt, wenn ich nicht gesagt hätte, dass ich ein Rom bin. Aber ich habe nie verleugnet, wer ich bin. Viele sprechen nicht gerne darüber, dass sie einen Roma-Hintergrund haben. Es ist nicht so einfach, sich als Schauspieler aus einer Roma-Familie in der deutschen Gesellschaft durchzusetzen. Ich habe an vielen Theatern gespielt, in Düsseldorf, in Köln, in Saarbrücken, in Frankfurt. Da trittst du in Konkurrenz mit den anderen deutschen professionellen Schauspielern. Das ist normal, aber als „Zigeuner“ stehst du unter besonderer Beobachtung. Kann der das überhaupt? … Aber wie gesagt, wir Roma müssen gut sein!
Cornelia Wilß: Sie haben vorhin gesagt, Ihr Traum sei es, ein professionelles Sinti- und Roma-Theater aufzubauen.
Nedjo Osman: Ja! Ich trage schon lange die Idee in mir, eine Akademie zu gründen. Das kann in Deutschland sein. Ich bin in Skopje geboren, und früher habe ich gesagt, Jugoslawien ist mein Land. Aber die Länder Ex-Jugoslawiens heute … die sind nicht mehr mein Land. Da spielen jetzt zu viele Nationalismen eine Rolle. Was habe ich damit zu tun? Gar nichts. Der gesellschaftliche Zusammenhalt ist zusammengebrochen.
Cornelia Wilß: Sie haben kein Land, in dem Sie heute zu Hause sind?
Nedjo Osman: Mein Land ist Nippes.1 In Köln sind die Leute normal, nicht so arrogant wie in Düsseldorf. Du hast sofort Kontakt, wenn du es willst. Das ist in Berlin anders. In Berlin brauchst du Zeit, bis du reinkommst.
Cornelia Wilß: Können Sie mit dem Begriff „Heimat“ etwas anfangen?
Nedjo Osman: Heimat ist meine Sprache. Heimat ist mein Gefühl. Indien, das Herkunftsland der Roma, ist unsere Geschichte. Aber ich bin Europäer.
„Heimat ist meine Sprache. Heimat ist mein Gefühl. Indien, das Herkunftsland der Roma, ist unsere Geschichte. Aber ich bin Europäer.“
Romeo Franz: Mir ist gerade klar geworden: Du hast wie alle Jugoslawen dein Land verloren. Selbst wenn du zurückgehen wolltest, könntest du es nicht mehr. Das Jugoslawien, über das so viele Roma sprechen, gibt es nicht mehr. In Serbien, in Kroatien, im Kosovo … habe ich viele alte Menschen getroffen, die gesagt haben, uns ging es früher gut. Sie bedauern das Auseinanderfallen ihres Heimatlandes Jugoslawien bis heute. In der Zeit des Sozialismus hatten sie Arbeit. Das Wort „Zigeuner“ war unter Tito verboten. Sie sagen, dass sie damals mehr als jetzt das Gefühl hatten, gleichwertige Bürger zu sein. Es gab auch früher Diskriminierung, aber sie war nicht so ausgeprägt wie heute. Die Leute, die ich auf meinen Reisen gesprochen habe, haben sich ganz stark mit Jugoslawien identifiziert.
Nedjo Osman: Ja, das lag an Tito. Er war ein Mann der kleinen Leute. Er war einer von uns. Damals hättest du auf der Straße schlafen können … ohne Probleme! Jetzt kannst du nicht einmal zu Hause ruhig schlafen. Ich habe Angst, wenn ich dorthin reise, auch in Mazedonien, wo das Grab meiner Mutter ist …
Seit 1995 ist Nedjo Osman gemeinsam mit Nada Kokotovic künstlerischer Leiter des TKO-Theaters Köln.
Cornelia Wilß: Warum?
Nedjo Osman: Sobald ich in Skopje bin, schaue ich, wer neben mir steht. Ich fühle mich nicht mehr wohl dort. Ich passe immer auf, weil ich mir nicht sicher bin, was passiert, wenn sie merken, dass ich ein Rom bin. In Deutschland habe ich diese Erfahrung nicht gemacht, auch nicht unter den Kollegen.
Cornelia Wilß: Stehen Sie lieber auf der Theaterbühne als vor der Kamera?
Nedjo Osman: Das sind zwei ganz verschiedene Dinge für einen Schauspieler. Theater … das ist Emotion! Alles ist live, du fühlst, wie die Zuschauer atmen. Jeder Auftritt ist anders. Jedes neue Stück ist eine neue Erfahrung. Auf der Bühne kannst du viel spontaner sein als vor der Kamera. Nach so vielen Jahren auf der Bühne mache ich jetzt die Erfahrung, dass die besten Momente diejenigen sind, wenn du gar nicht spielst. Bei der Schauspielerei geht es um Phantasie und Philosophie. Du musst nur du selbst sein.
Cornelia Wilß: Sie sind mit sich auf der Bühne?
Nedjo Osman: Ja genau. Du bleibst das, was du bist.