1958 in Mazedonien geboren und aufgewachsen, war Osman der erste ausgebildete Roma-Schauspieler Jugoslawiens. Später war er langjähriges Mitglied des in Nordrhein-Westfalen ansässigen Roma-Theaters „Pralipe“. Das Ensemble des freien Theaters war 1991, nach Ausbruch des Kriegs in Jugoslawien, auf Einladung von Roberto Ciulli, dem künstlerischen Leiter des Theaters an der Ruhr, von Skopje nach Mülheim an der Ruhr umgesiedelt. Die männlichen Hauptrollen der Stücke, die „Pralipe“ in viele europäische Städte führten, wurden mit Nedjo Osman besetzt.
Er gab den Leonardo in Federico García Lorcas Bluthochzeit, in Shakespeare-Aufführungen den Romeo in Romeo und Julia oder den Othello im gleichnamigen Drama und brillierte in vielen anderen Rollen unter der Regie von Rahim Burhan.
Die Rolle des Othello ist dem Schauspieler auf den Leib geschnitten. Nada Kokotovic, eine bekannte Theater-Regisseurin im früheren Jugoslawien, die aktuell an verschiedenen Bühnen in Deutschland und Österreich inszeniert, hatte das früh erkannt und den späteren Lebensgefährten noch während seiner Ausbildung an der Kunstakademie in Novi Sad am serbischen Nationaltheater als Othello engagiert. Das ist seine Lieblingsrolle bis heute, wie Nedjo Osman in unserem Gespräch erklärt. Am Theater verfüge er über ein großes Rollenrepertoire. Bei der Besetzung von Filmrollen sei es etwas anders. „Ich habe in 22 Filmen fürs Fernsehen und Kino mitgespielt. Aber ich frage mich schon, wie lange ich noch einen Mafioso spielen muss.“
Nedjo Osman ist ein Mann mit vielen Talenten. Er schreibt Gedichte auf Romanes und auf Deutsch: „Ich bin Künstler, ob ich spiele, Gedichte schreibe oder Regie führe, es ist die gleiche Energie, die mich antreibt. Schon in früher Jugend entdeckte ich die Leidenschaft fürs Schreiben. Meine Gedichte sind in der Türkei, in Serbien, Mazedonien, Kroatien und Deutschland erschienen.“
„Ich träume einen Ort für ein Sinti- und Roma-Theater herbei“
Cornelia Wilß: Wann stand für Sie fest, dass Sie Schauspieler werden wollen?
Nedjo Osman: Mein Traum, Schauspieler zu werden, reicht tief in meine Kindheit zurück. Ich sage immer, dass meine Mutter beim Theater war. (lächelt) Sie hat dort als Putzfrau gearbeitet. Ich war damals noch sehr klein, ein Jahr alt, aber sie hat mich mitgenommen, und ich habe bei den Proben zugeschaut. Das ging über viele Jahre so. Diese Erfahrungen haben mich geprägt. Zu Hause habe ich Stücke aufgeführt, und die Kinder, die oft zu uns kamen, waren mein erstes Publikum. Ich wollte Schauspieler werden, aber ich dachte immer, dass dieser Wunsch ein Traum bliebe, weil ich aus einer Roma-Familie stamme und dieser Beruf für weiße Leute bestimmt sei. Aber es ist anders gekommen. Mein Traum begann sich nach meiner Rückkehr aus Deutschland, wo ich seit 1979 für Fortuna Düsseldorf Handball spielte, zu erfüllen. Als ich 1980 nach Mazedonien zurückkehrte, bin ich auf das Roma-Theater „Pralipe“ – auf Deutsch: Brüderlichkeit – in Skopje gestoßen, ein freies Theater, das später in ganz Europa bekannt wurde. Dort habe ich mit der Schauspielerei angefangen und schnell gemerkt, dass ich genau das in meinem Leben machen möchte. Nach zwei, drei Jahren bin ich an die Kunstakademie im serbischen Novi Sad gegangen und habe ein Studium an der Film- und Theaterakademie unter anderem bei Rade Šerbedžija abgeschlossen.
Cornelia Wilß: Wie war das Miteinander an der berühmten Akademie in Novi Sad? Sind Sie offensiv mit Ihrer Kultur umgegangen?
Nedjo Osman: In der Grundschule in Skopje war ich jeden Tag der „Zigeuner, Zigeuner, Zigeuner“ … Das hat mich geschmerzt. Was kannst du machen, wenn die Kinder und Lehrer dich ausgrenzen? Du kannst dich in einem Mauseloch verstecken, oder du kämpfst, beginnst Streit und bist aggressiv, oder aber du sagst, ich muss besser sein als die anderen. Ich habe den dritten Weg eingeschlagen. Damit das gelingen kann, musst du stark sein. Du musst dir selbst treu bleiben, du musst authentisch sein. Ich hatte kein Stipendium. Ein Jahr lang übernachtete ich heimlich in der Akademie, weil ich mir kein Zimmer in der Stadt leisten konnte. Aber morgens war ich immer der Erste in der Akademie. Ich war der einzige Rom, der damals dort studierte, und ich hatte mir geschworen, dass sie hier nicht mit mir machen durften, was sie mit mir in der Grundschule und im Gymnasium gemacht hatten. Deshalb sang ich jeden Tag ein Roma-Lied, oder ich sprach ständig über die Roma. Meine Strategie war: Besser, ich spreche über die Roma, als dass sie es tun. Es spielt keine Rolle, ob ich stolz darauf bin, dass ich ein Rom bin: Ich bin es einfach.
Romeo Franz: Nedjo, war das eine Überlebensstrategie?
Nedjo Osman: Ja, das war so. Wisst ihr, die Diskriminierung der Roma war so stark. Das ist auch heute noch so eine Krankheit. Ich glaube, wir müssen eine neue Strategie entwickeln, und wir müssen unser Image ändern. Für mich ist es so, dass ich ein besserer Schauspieler sein wollte als viele andere.
Cornelia Wilß: Besser sein als die anderen – das können nicht alle Menschen. Das verlangt einem Menschen viel Kraft ab …
Romeo Franz: Ich habe lange Zeit auch so empfunden. Aber heute versuche ich, anders mit diesem Druck umzugehen. Wir sind immer in der Rechtfertigungsrolle. Ich muss mich für mein bloßes Dasein, für meine Ethnie rechtfertigen und der Mehrheitsgesellschaft zeigen, wie gut ich bin. Das ist so anstrengend. Ich möchte einfach das Recht haben, normal zu sein oder einmal einen Fehler zu machen, ohne dass ich dann als „Zigeuner“ beschimpft werde. Ich möchte auch, wenn ich es will, einfach faul sein können, weil ich Romeo bin, nicht weil ich ein „fauler Zigeuner“ bin. Man darf mir sagen, dass ich faul bin, aber man darf es nicht meiner Ethnie zuschreiben. Verstehst du, Nedjo?
Nedjo Osman: Ich verstehe dich. Mich macht es traurig, wenn ich persönlich nicht weiterkomme, nicht wegen des Wortes „Zigeuner“… Ich muss gut sein, um diesem schlechten Image etwas entgegenzusetzen. Wir hören doch ständig, die wollen nicht in die Schule gehen, die arbeiten nicht, die betteln … Ich muss die Kontexte verändern, zeigen, dass „Zigeuner“ Intellektuelle und Künstler sind. Wir müssen die Deutungshoheit über uns selbst bekommen.
Cornelia Wilß: Welche Rolle spielt es in diesem Zusammenhang, dass ihr beide Künstler seid? Ist die Chance, sich von den Zuschreibungen anderer zu befreien, in der Welt der Künste nicht viel größer als in anderen Berufen?
Romeo Franz: Ich nutze die Kunst nicht mehr als ein Instrument. Ich muss mich nicht mehr beweisen. Ich gehe mit meinen Fähigkeiten viel selbstverständlicher um. Auf eine gewisse Weise bin ich abgeklärter als früher.
Nedjo Osman: Ich bin seit 37 Jahren in der Theaterwelt und habe mich darin behauptet. Das ist der Grund, warum ich gerne mit jungen Leuten arbeite. Ich möchte, dass sie sich entwickeln können, dass sie der Gesellschaft, in der sie leben, ihre Fähigkeiten und Talente zeigen. Ich selbst habe kein Problem, inmitten der Gadje zu leben. Die wissen genau: Ich bin Nedjo Osman!
Cornelia Wilß: Sie haben 1995 das „Pralipe“-Theater verlassen und in Köln mit Nada Kokotovic das Theater „TKO – Europäisches Roma Theater“ gegründet – mit großem Erfolg. Gehen die Kölner ins Roma-Theater, weil sie den Schauspieler Nedjo Osman sehen wollen oder weil sie ein Roma-Theater besuchen möchten?
Nedjo Osman: Das ist eine gute Frage. Ist es wichtig, dass es ein Roma-Theater gibt oder ob ich ein Roma-Schauspieler bin? Das ist doch eine Frage, die man deutschen Schauspielern auch stellen könnte: Ist es wichtig, ein deutscher Schauspieler zu sein oder an einem deutschen Theater zu arbeiten? Ja oder nein? Ja, denn es betrifft ganz wesentlich die Kultur und die Sprache eines Volkes. In unserem Haus wird die Kultur der Roma gespiegelt. Für uns Roma ist es wichtig, zu sehen, dass unsere Kultur sehr vielfältig ist, dass unsere Künste sich nicht nur in der Musik und im Tanz ausdrücken. Darin sind wir Experten, aber es