Anleitung für ein besseres Leben. DIE ZEIT. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: DIE ZEIT
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844257168
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diejenigen, die mit ihrer Arbeit gut zurechtkommen. Ihnen fehlt der Sinn. Weniger zu arbeiten und sich neu zu orientieren kann ein Anfang sein.

      Den Menschen, die zu Wiebke Sponagel kommen, geht es eigentlich gut: Sie haben oft hohe Positionen in Banken, im Marketing oder bei IT-Anbietern, verdienen gut, manche haben die Aussicht, in den Firmen weiter aufzusteigen. Und trotzdem suchen sie Hilfe, weil es ihnen eben doch nicht gut geht.

      Wiebke Sponagel hat sich als Coach unter anderem auf das sogenannte Downshifting spezialisiert: Sie hilft Menschen, die ihr Berufsleben ruhiger, langsamer und selbstbestimmter gestalten wollen. »Manche sind überlastet und im Hamsterrad ihres Arbeitslebens gefangen«, sagt Wiebke Sponagel. »Andere sehen in ihrer Arbeit einfach keinen Sinn.« Sie erzählt von einem Produktmanager, der schimpfte, er könne das ewige Streben nach Gewinnmaximierung in seinem Job nicht länger ertragen. Lieber wolle er mit Menschen arbeiten.

      Für manche mag derartiges Gejammer nach Luxusproblemen klingen, doch viele werden sich in der Frustration der Erfolgreichen wiederfinden. Die Zeit der unbedingten Leistungsbereitschaft ist offenbar vorbei – je mehr Druck Unternehmen auf Mitarbeiter ausüben, desto mehr scheinen die sich zu fragen, wozu sie sich eigentlich so aufreiben.

      Nur: Wie lässt sich der Wunsch nach Entlastung erfüllen? Und, noch schwieriger: Wie findet man Sinn im eigenen Tun?

      Manchmal hilft es schon, weniger zu arbeiten. Jürgen Dinse hat seine Arbeitszeit als Unternehmensberater stark reduziert und widmet sich nun lieber eigenen Projekten und seiner Familie. Ihn habe die Veränderung zufriedener und gelassener gemacht, sagt er.

      Teilzeitarbeit löst das Problem der Überlastung allerdings nicht automatisch: Wer Pech hat, arbeitet am Ende genauso viel wie in Vollzeit, verdient nur weniger dafür. Wer sich für Teilzeit entscheidet, sollte also lernen, Nein zu sagen, und nur so viele Aufgaben annehmen, wie in der vereinbarten Arbeitszeit zu schaffen sind. Und er sollte sich darauf einstellen, dass er im Job als weniger leistungsfähig betrachtet wird und weniger Anerkennung bekommt. Manchen helfe ein Tagebuch, in dem sie jeden Tag festhalten, was gut gelaufen ist, sagt Wiebke Sponagel. »Auf diese Weise kann man selbst für seine Anerkennung sorgen.«

      Trotzdem rät Sponagel ihren Klienten in der Regel nicht zu Teilzeit. Lieber sucht sie mit ihnen gemeinsam nach neuen Wegen auf dem Arbeitsmarkt, die zwar nicht gleich die große Karriere versprechen, dafür aber mehr Sinn. Diesen finden manche ihrer Klienten, indem sie sich selbstständig machen und selbstbestimmter arbeiten.

      So hat Sponagel eine Physiotherapeutin begleitet, die ihre Festanstellung gekündigt und sich mit einer eigenen Praxis selbstständig gemacht hat. Eine Unternehmensberaterin ließ sich, unterstützt durch das Coaching, zur Weinkennerin ausbilden, um einen eigenen Laden zu eröffnen. Und der Produktmanager, der so angewidert war vom Gewinnstreben in seiner Branche, leitet jetzt eine private Arbeitsvermittlung und verhilft anderen Menschen zu – hoffentlich sinnvollen – neuen Jobs.

      »Die Kollegen reagierten verwundert«

      Der Unternehmensberater Jürgen Dinse hat seine Arbeitszeit radikal reduziert.

      »Früher habe ich 50 bis 60 Stunden pro Woche gearbeitet, und das gerne. Aber irgendwann hatte ich den Wunsch, an einem sonnigen Tag in einem Café zu sitzen oder spontan segeln zu gehen und trotzdem noch genug Zeit für die Familie zu haben. Wenn man so intensiv arbeitet, muss man Termine aufwendig koordinieren, um auch mal zum Arzt gehen oder das Auto zur Reparatur bringen zu können. So bat ich vor zwölf Jahren bei Ernst & Young darum, meine Arbeitszeit reduzieren zu dürfen. Zunächst stieß ich auf sehr viele Fragen, aber ein Jahr später bekam ich das Einverständnis. Weniger zu arbeiten war damals noch nicht üblich. In meiner Abteilung war ich der Erste, der diesen Schritt ging. Die Kollegen reagierten teils mit Verwunderung, teils mit Anerkennung. Ich glaube, viele von ihnen hätten auch gerne weniger gearbeitet, zögerten aber. Trotzdem reduzierte bald auch ein Kollege seine Arbeitszeit, inzwischen bietet das Unternehmen den Mitarbeitern viele Möglichkeiten von Teilzeit bis zu Sabbaticals. Manchmal arbeite ich mehrere Wochen durch und nehme anschließend die freien Tage. Dazu muss ich auch mal Nein sagen – sonst könnte es passieren, dass ich doch wieder Vollzeit arbeite. In der freien Zeit kümmere ich mich um eigene Projekte, ich bin Teilhaber an Start-ups. Im Café sitze ich gar nicht so oft, war aber dieses Jahr schon segeln. Gleich bringe ich meine Tochter zum Flughafen, mitten am Nachmittag. Privatmensch sein zu dürfen, genieße ich sehr.«

      Mehr zum Thema:

       Wiebke Sponagel: »Runterschalten. Selbstbestimmt arbeiten – gelassener leben«

      Nicht auf die reine Arbeitszeit kommt es an, sondern darauf, selbstbestimmt das zu tun, was man wirklich will. Haufe, 207 Seiten, 19,80 Euro

      Raus hier: Von der Festanstellung in die Freiheit

      Viele Angestellte sind müde vom ewig gleichen Büroalltag und träumen davon auszubrechen. Sich selbstständig zu machen kann schiefgehen – oder aber glücklich machen.

      Wie wäre es wohl, einfach nicht mehr hinzugehen? Morgens auf der anderen Seite des Bahnsteigs in die S-Bahn zu steigen und wegzufahren, irgendwohin, nur nicht ins Büro, ins Neonlicht, in die Kantine. Heute mal von niemandem hören, dass er ganz schnell was braucht, niemanden treffen, der »Mahlzeit« sagt.

      Davon träumen die Deutschen. Das darf man zumindest vermuten, wenn man sich ein paar Fakten anschaut: 66 Prozent der Beschäftigten machen nur noch Dienst nach Vorschrift. Mehr als jeder zweite will nicht mehr ins Büro gehen, sondern von zu Hause aus arbeiten. Tausende lassen sich von Sachbuchautoren dabei beraten, wie sie einen anderen, besseren Job finden, wie sie ihr Angestelltendasein beenden und sich selbstständig machen können – oder gleich ganz aussteigen.

      Aber macht es wirklich glücklich auszubrechen? »Kündigen bringt nichts«, lautet die Botschaft von Volker Kitz und Manuel Tusch, Psychologen, Coaches und Autoren des Frustjobkillerbuchs. »Es ist egal, für wen und wo Sie arbeiten«, schreiben sie. Denn die Probleme seien in jedem Büro dieselben – auch der nächste Chef werde einen nicht loben, prophezeien sie, auch im neuen Job werde man Überstunden machen, wahren Gestaltungsspielraum bei der Arbeit habe doch sowieso niemand, und ein höheres Gehalt mache letzten Endes auch nicht glücklich. Als Lösung schlagen sie vor: aufhören zu jammern, mehr Entspannungsübungen machen und zufrieden werden mit dem, was man hat.

      Hoffentlich klappt’s. Wenn nicht, hier ein Trost: Die Autoren beziehen sich auf einen Wechsel von einer Position in eine andere, ähnliche. Doch warum sollte es nicht möglich sein, eine neue berufliche Existenz für sich zu erfinden?

      Tom Hillenbrand wollte schreiben. Nicht nur Nachrichten, wie während seiner Festanstellung, sondern Kolumnen, Essays und Bücher. Außerdem mag er gutes Essen, also kündigte er und schrieb einen Krimi, der in der Gastro-Szene spielt. Der Verlag will eine Serie daraus machen, bald gibt Hillenbrand das Manuskript für den zweiten Teil ab. Außerdem verdient er, indem er regelmäßig Vorträge hält – und er ist zufrieden.

      Warum haben Ausbruch und Neuanfang bei Hillenbrand funktioniert? Eine wichtige Rolle habe für ihn gespielt, dass er nicht nur wusste, was er nicht mehr wollte, sondern auch, was er stattdessen wollte, sagt er. Außerdem passten bei ihm die Lebensumstände: Seine Frau arbeitet jetzt wieder in Vollzeit, er dafür seit der Kündigung nur in Teilzeit, sodass er den Sohn in die Kita bringen und dort abholen kann.

      Der Sprung ins freie Schweben kann also klappen. Um Romantisierungen vorzubeugen, sollte man allerdings nicht gleich springen, sondern davor das kluge Buch Echtleben von Katja Kullmann lesen. Darin beschreibt die Autorin, wie die Leute, die sich einmal in kreativen Berufen selbst verwirklichen wollten, im Prekariat endeten. Die eigene Biografie sei ein hartes Geschäft, schreibt sie, und das einst freiwillige Vergnügen, sich selbst zu erfinden, zu einer Pflicht geworden.

      Wer darauf gefasst ist, ist gut vorbereitet.

      »Die Ruhe ist manchmal fast gespenstisch«

      Tom Hillenbrand hat seinen stressigen Job gekündigt, um Krimis zu schreiben.

      »Mehr als zehn Jahre lang habe ich als Nachrichtenjournalist in Festanstellungen gearbeitet, zuletzt