Anleitung für ein besseres Leben. DIE ZEIT. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: DIE ZEIT
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844257168
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den Stress im Joballtag zu bewältigen. Wer die Methoden richtig einsetzt, betreibt nicht nur Schmerzlinderung, sondern kann sein Berufsleben angenehmer gestalten.

      Der ideale Arbeitnehmer geht am Morgen joggen, um fit zu werden. Dann fährt er zur Arbeit, treibt sich mit Kaffee an, arbeitet den ganzen Tag lang voller Energie, motiviert, konzentriert, leistet etwas. Abends entschleunigt er sich mit Entspannungsübungen, damit er gut schläft und am Morgen wieder Tempo aufnehmen kann.

      Der Markt der Entspannungsangebote hat sich inzwischen etabliert und ausdifferenziert: Yoga im Schwitzbad oder auf dem Trockenen, mit viel oder wenig Power, Techniken, mit denen man das Gehirn neu programmieren soll, Ferien im Kloster mit oder ohne Religion. Die gestresste Bevölkerung nimmt all diese Angebote gerne an.

      Da oft die Arbeitgeber den Druck auf den Einzelnen immer weiter erhöhen und so für die zunehmende Überlastung der Arbeitnehmer verantwortlich sind, wäre es eigentlich sinnvoll, bei ihnen anzusetzen. Weil das aber bisher nur selten passiert, kümmern sich vorerst nur die Berufstätigen selbst darum, dass sie bei Laune bleiben. Statt aufzubegehren, stellen sie sich ruhig. Die einen machen sich selbst verantwortlich für das Gefühl der Überforderung, die anderen ärgern sich vielleicht über die Firmen, die zu viel Druck ausüben, halten aber still.

      Betreibt also eine ganze Gesellschaft bloß Symptombekämpfung, statt die Ursache der Probleme im System Arbeit zu beheben?

      Nicht unbedingt. Mit der richtigen Methode kann man beides erreichen.

      Ein gutes Beispiel ist die Achtsamkeitsmeditation. Ihre Wirkung ist wissenschaftlich belegt: Das Training reduziert Stress und Ängste, macht es leichter, ständiges Grübeln zu unterbrechen, hilft bei chronischen Schmerzen und beugt Depressionen vor.

      Wer meditiert, lernt, sich selbst und seine Umgebung zu beobachten, und versucht, das, was einem auffällt, nicht zu bewerten. Auf diese Weise können Menschen wahrnehmen, dass sie zum Beispiel unter Arbeitsstress leiden und eine Pause brauchen. Genau dies merken viele nicht, wenn sie in der Mühle der täglichen Bürotätigkeit von einer To-do-Liste zur nächsten hetzen.

      »Das Ziel ist natürlich nicht, Ärger wegzumeditieren und sich ruhigzustellen, sondern erst einmal wahrzunehmen, dass man sich überhaupt ärgert«, sagt Elke Popp, die in München gestresste Menschen in Achtsamkeitsmeditation trainiert. »Man beobachtet, wie körperliche Reaktionen kommen und wieder vergehen, bei Wut vielleicht ein Druckgefühl im Magen und angespannte Schultern. Danach kann man doch viel überlegter handeln als in der Wutphase selbst.«

      In ihren Kursen fänden die Teilnehmer oft heraus, was sie wollten, sagt Popp. »Oft merken sie, dass sie sich mehr unter Druck setzen lassen, als es nötig wäre.« Sie erzählt von Teilnehmern, die nach dem Kurs endlich einmal Urlaub nehmen, öfter pünktlich nach Hause gehen oder in eine weniger stressige Abteilung wechseln.

      Auch Eva Sperger ist davon überzeugt, Techniken wie die Achtsamkeitsmeditation könnten dabei helfen, sich zumindest kleine Freiräume innerhalb des häufig einengenden Arbeitsalltags zu schaffen. Sperger ist Verhaltenstherapeutin, viele ihrer Patienten leiden an Burn-out, zur Behandlung setzt sie auch die Achtsamkeitsmeditation ein. Aus den Gesprächen mit ihren Patienten weiß die Therapeutin: »Viele Unternehmen vermitteln ihren Mitarbeitern zwar offiziell die Botschaft ›Pass auf dich auf‹, gleichzeitig fördert die Firmenmentalität aber einen Wettkampf darum, wer mehr arbeitet.«

      Die Meditationsübungen würden den Burn-out-Patienten helfen, wieder ein Gefühl dafür zu bekommen, wann sie überlastet seien, sagt Eva Sperger. Manche vereinbarten daraufhin Zeiten, in denen die Sekretärin niemanden ins Büro lasse oder keine Anrufe mehr durchstelle.

      Der Architekt Oliver Mitgutsch hat nach einem Meditationskurs gleich sein ganzes Leben umstrukturiert – und verkauft heute Antiquitäten.

      Es kommt also darauf an, wie man Entspannungsübungen einsetzt: Versucht man, sich mit Psychotechniken selbst weiter zu optimieren, tut man vor allem dem Arbeitgeber einen Gefallen. Nutzt man sie, um Abstand vom täglichen Wahnsinn zu bekommen, können sie hilfreich sein.

      Dann kann die Besinnung auf sich selbst sogar strukturell etwas verändern. Die Managerin Mira Czutka geht regelmäßig pilgern. Sie hat damit eine Methode gefunden, für begrenzte Zeit aus ihrem fordernden Berufsalltag auszusteigen und sich auf sich selbst zu konzentrieren. Die Gelassenheit, zu der sie auf dem Jakobsweg findet, kann sie auf den Joballtag übertragen. So nimmt sie aus Projekten von vornherein den Druck heraus.

      In ihrem Fall hat das Entspannungstraining nicht nur zu einer Schmerzlinderung in einem ungesunden Arbeitssystem beigetragen, sondern das System selbst ein klein wenig verändert.

      Mira Czutka glaubt, dass die gelassene Art des Managements sich in Zukunft durchsetzen wird. Als eine Art Mentorin begleitet sie heute junge Mitarbeiter in ihrem Unternehmen und gibt ihre Philosophie weiter. Von ihr können die Kollegen lernen, dass Management ein bisschen wie pilgern sein kann.

      »Ich hatte das Gefühl, dass ich auf einmal mehr Zeit habe«

      Oliver Mitgutsch ordnete nach einem Meditationskurs sein Berufsleben neu.

      »Ich bin Architekt, Geschichtenerzähler und Antiquitätenhändler. Diese drei Berufe zu vereinbaren hat mich überfordert. Von meinen Lehrern wurde ich schon während des Studiums als zukünftiger Stararchitekt gehandelt. Später verbrachte ich viel Zeit mit meinen Kindern und versuchte zugleich, gute Architektur zu machen, was mir meistens gelungen ist. Aber ich habe viel Energie verbraucht, weil ich mir die falschen Projekte ausgesucht und mein Team nicht gut zusammengestellt habe. Vor vier Jahren dachte ich: Entweder du änderst jetzt etwas, oder du arbeitest dich zu Tode. Dann habe ich einen Kurs in Achtsamkeitsmeditation gemacht, das hat mir gut getan. Ich hatte das Gefühl, dass ich auf einmal mehr Zeit habe. Ich war weniger gehetzt und habe Abstand zum Alltag bekommen, sodass ich klarer sehen konnte. So habe ich mir eingestanden, dass ich als Stararchitekt unglücklich wäre. Deshalb habe ich meine Tätigkeit in dem Bereich stark eingeschränkt und konzentriere mich auf meine anderen Berufe. Es macht mir Spaß, Geschichten zu schreiben und sie in Kneipen, Kirchen oder Theatern zu erzählen. Als fliegender Händler verkaufe ich in anderen Ländern auf Märkten Antiquitäten. Auch dabei hilft mir die Meditation: Wenn ich den Kunden achtsam begegne, verkaufe ich mehr.«

      »Man kann nicht alles steuern«

      Mira Czutka wendet als Managerin an, was sie beim Pilgern gelernt hat.

      »Vor neun Jahren bin ich zum ersten Mal in Spanien gepilgert. Das war für mich eine so positive Erfahrung, dass ich seitdem jedes Jahr den Jakobsweg gehe. Dort reduziert sich alles auf das blanke Leben. Ich muss kaum Entscheidungen treffen – höchstens, ob ich mich jetzt ausruhe oder später. Da ist mein Alltag sonst ganz anders: Als Produktmanagerin bei W. L. Gore & Associates mache ich Marktanalysen und entwickle Arbeitskleidung, da muss ich ständig Entscheidungen treffen. Die Arbeit ist so intensiv, dass man sich leicht in den Tätigkeiten verliert. Aber inzwischen bemerke ich es rechtzeitig, wenn die Seele langsam abstirbt. Das habe ich beim Pilgern gelernt, weil ich da so aufblühe. Auch von einer weiteren Erfahrung profitiere ich im Joballtag: Alles funktioniert auch ohne eine durchgetaktete Organisation. Natürlich setze ich mir bei der Arbeit Ziele, so wie ich auch beim Pilgern weiß, dass ich abends an einer Herberge ankommen will. Aber auf dem Weg dahin gebe ich mich dem Fluss der Dinge hin. Wenn ich auf dem Jakobsweg nicht weiß, in welche Richtung ich weitergehen muss, treffe ich sicher jemanden, der es mir sagen kann. Und bei der Arbeit geht doch ein minutiöser Zeitplan sowieso nie auf, bei der Entwicklung eines neuen Produkts muss jeder seine Planung immer wieder nachjustieren. Man kann eben nicht alles steuern. Ich bezeichne mich zwar nicht als religiös, glaube aber, dass etwas Größeres uns beeinflusst. Davon lasse ich mich lenken.«

      Mehr zum Thema:

       Mira Czutka: »Out of Office. Als Managerin auf den Spuren des Franziskus«

      Die Autorin erzählt, was sie auf dem Jakobsweg erlebt hat und welche Erkenntnisse ihr das für das Berufsleben gebracht hat. Mitunter sehr spirituell. Kösel, 192 Seiten, 16,99 Euro

      Runterschalten: Weniger Stress, mehr Sinn