Anleitung für ein besseres Leben. DIE ZEIT. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: DIE ZEIT
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844257168
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Wege, um in der Arbeitswelt doch noch glücklich zu werden.

      Von Susanne Schäfer

      Wer sich von der Arbeit überlastet fühlt, muss sich einfach mehr anstrengen – besser planen, schneller werden, mehr Entspannungsübungen machen. Selbstoptimierung galt lange als richtige Antwort auf den Druck, unter dem so viele Berufstätige stehen.

      Inzwischen zeigt sich jedoch, dass dieser Ansatz die Leiden der arbeitenden Bevölkerung keineswegs lindert, sondern womöglich sogar noch verstärkt. Jedes Jahr werden mehr Angestellte wegen psychischer Beschwerden krankgeschrieben. Und das liegt nicht etwa daran, dass wir alle mit einem Mal wehleidig geworden wären – der Arbeitsdruck steigt tatsächlich, das bestätigen wissenschaftliche Studien.

      »Früher orientierten Führungskräfte sich daran, wie viele Mitarbeiter und wie viele Maschinen ihnen zur Verfügung standen, inzwischen führt man Unternehmen aber, indem man seine Ziele an Marktvorgaben ausrichtet«, sagt der Soziologe Nick Kratzer vom Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung in München. »Heute fragen sich Führungskräfte eher: ›Wie viel Rendite sollte ein Unternehmen dieser Größe abwerfen?‹, so machen sie sich zum Spielball der Märkte.«

      Belege dafür hat Kratzer im Rahmen der Lanceo-Studie gefunden – bei diesem Projekt, dessen vollständiger Titel »Balanceorientierte Leistungspolitik« lautet, untersuchen Wissenschaftler die Belastung von Arbeitnehmern. Dafür haben sie zahlreiche Firmenmitarbeiter – einfache Angestellte, Geschäftsführer und Aufsichtsräte – befragt und so herausgefunden, dass die Unternehmensführung den selbst erzeugten Druck oft an die Mitarbeiter weitergibt: Jeder Einzelne bekommt immer mehr Arbeit zugeteilt und steht unter höherem Zeitdruck. Dass sich viele überlastet fühlen und mit ihrem Job unzufrieden sind, hat also eher strukturelle als persönliche Ursachen.

      Oft rauben bestimmte Abläufe im Unternehmen wertvolle Zeit: etwa endlose Meetings, in denen man sich nichts sehnlicher wünscht, als zurück an die Arbeit zu dürfen. Dass gerade die unsichtbare Arbeit – Besprechungen, Controlling, Protokolle schreiben – zugenommen hat, bestätigt Kratzer. »30 bis 60 Prozent des Tages beschäftigen sich Angestellte mit Aufgaben, die mit ihrer eigentlichen Arbeit gar nichts zu tun haben«, sagt er. »Für diese Tätigkeiten bekommen Mitarbeiter in der Regel keine Anerkennung, sondern nur Ärger, wenn etwas schiefgegangen ist.« Das führe bei vielen zu Frustration.

      Dass ihr Arbeitspensum schleichend erhöht wird, merken Angestellte oft gar nicht, sondern suchen die Ursache der Probleme bei sich. »Viele denken, sie seien selbst schuld an der Überlastung – weil sie sich nicht gut genug organisieren und dann auch noch kein Yoga machen«, sagt Kratzer. Er nennt das eine »Privatisierung des Problems«.

      Wir stellen auf den nächsten Seiten Menschen vor, die Wege gefunden haben, auf Belastungen im Arbeitsleben zu reagieren. Sie haben sich Ausgleich oder Freiraum verschafft, Arbeitsstrukturen verändert oder gewagt, endlich das zu tun, was sie schon lange wollten.

      Soziales Engagement: Hilfe zur Selbsthilfe

      Wer sein Berufsleben angenehmer gestalten will, kann auch außerhalb des Büros ansetzen und sich sozial engagieren. Damit hilft man nicht nur anderen, sondern profitiert auch selbst: Freiwillige Arbeit hilft, Stress zu bewältigen.

      Zu tun gäbe es immer genug – man könnte beim Kücheneinbau im Asylbewerberheim helfen, ein Fest im Kinderheim vorbereiten oder den Senioren im Altenheim einen Kuchen backen. Aber wer hat schon Zeit, sich neben seinem stressigen Beruf für andere zu engagieren?

      Was wie eine zusätzliche Bürde erscheinen mag, wirkt für manche wie eine Befreiung. Katrin Tamme etwa engagiert sich in München bei der Stiftung Gute Tat, und wenn sie bei einer Ferienfreizeit Jugendliche betreut hat, geht sie anschließend viel motivierter zurück an ihren Arbeitsplatz bei einer Bank.

      Wer anderen hilft, tut auch sich selbst etwas Gutes, gerade in Bezug auf das Berufsleben kann soziales Engagement Wunder bewirken: Menschen, die am Feierabend Sinnvolles tun, lassen sich am nächsten Tag im Büro durch stressige Situationen nicht so leicht die positive Stimmung verderben und schaffen es, auch dann noch gut zuzuhören. Zu diesem Ergebnis kam eine Studie der Psychologin Sabine Sonnentag von der Universität Mannheim. Sie interpretiert das Ergebnis so, dass Menschen, die außerhalb des Berufslebens Anerkennung bekommen, im Job weniger unter Stress leiden, da sie die Probleme dort als nicht so entscheidend für ihr Wohlbefinden einschätzen.

      Tatsächlich ist der Anteil der Menschen, die sich freiwillig engagieren, bei den 40- bis 49-Jährigen besonders hoch. 42 Prozent der Personen in dieser Altersgruppe engagieren sich sozial – obwohl sie ja meist mitten im Berufsleben stehen.

      Um bei kurzzeitigen Projekten wie dem Umbau im Asylbewerberheim oder der Feier im Kinderheim zu helfen, können sich Freiwillige spontan bei der Stiftung Gute Tat melden. Die vermittelt sie an soziale Einrichtungen oder gemeinnützige Vereine, die gerade Unterstützung brauchen.

      Auch im Urlaub suchen viele Berufstätige nach einem Sinn, den sie im Job offensichtlich nicht finden. Immer neue Anbieter stellen sich auf diese neuen Wünsche ein, die Tourismusbranche nennt den Trend »Voluntourism«, in Anlehnung an den Begriff volunteer, Freiwilliger. Die Urlauber pflanzen im australischen Outback Bäume, betreuen in kolumbianischen Slums Straßenkinder oder setzen ihre handwerklichen Fähigkeiten dazu ein, ein paar Wochen lang bei einem indischen Unternehmen mitzuarbeiten.

      Was die Menschen dazu bewegt, in den Ferien zu schuften und dafür oft auch noch Geld auszugeben, kam bei einer Studie heraus, die Harald Pechlaner beaufsichtigte. Er beschäftigt sich an der Universität Eichstätt-Ingolstadt mit Voluntourism.

      Befragt wurden Berufstätige, die im Sommer auf kleinen Bauernhöfen in den Alpen bei der schweren Arbeit halfen. »Darunter waren auch wohlhabende, erfolgreiche Manager, Politiker oder höhere Beamte«, sagt Pechlaner. Viele sagten, sie wollten durch die Arbeit ihr Gewissen beruhigen – sie hätten erkannt, dass sie ihre Position auch durch Glück erreicht hatten. »Was sie von der Gesellschaft bekommen hatten, wollten sie ihr zurückgeben.«

      »Durch das Ehrenamt habe ich ständig Erfolgserlebnisse«

      Katrin Tamme schöpft bei ihrem sozialen Engagement Kraft für die Arbeit.

      »Die Stiftung Gute-Tat.de richtet sich an Leute, die wenig Zeit haben und sich trotzdem sozial engagieren wollen. Das galt auch für mich, als ich vor fast drei Jahren dort angefangen habe. Ich musste mich nicht verpflichten, regelmäßig zu helfen, sondern konnte mich melden, wenn ich gerade Zeit hatte. So habe ich für Familien herzkranker Kinder gekocht, eine Versteigerung für einen guten Zweck organisiert und Kinder auf einen Ausflug ins Freibad begleitet. Das Ehrenamt hat mir dabei geholfen, mir über meine beruflichen Ziele klar zu werden: Ich habe den Job gewechselt, weil ich mich nicht mehr so aufreiben wollte. Jetzt habe ich einen besser geregelten Berufsalltag und so viel Zeit fürs Ehrenamt, dass ich mich um die PR des Projekts kümmere: Ich veranstalte Info-Abende für neue Interessenten, kümmere mich um unsere Facebook-Seite und bemühe mich um Spenden. Die positiven Dinge, die ich im Ehrenamt erlebe, kann ich auf meinen Berufsalltag übertragen: Was wir hier schaffen, ist so toll, dass ich ständig Erfolgserlebnisse habe. Das gibt mir oft neue Kraft, um auch für Probleme im Job Lösungen zu suchen. Und nach einem Erlebnis wie zum Beispiel einer Ferienfreizeit am Plattensee, bei der ich Jugendliche betreut habe, gehe ich auch mit einer ganz anderen Energie zurück in den Berufsalltag.«

      Mehr zum Thema:

      Bergbauernhilfe

      Ohne Unterstützung könnten viele Bauern in Südtirol ihre Höfe nicht mehr bewirtschaften. Freiwillige sollten sich auf harte körperliche Arbeit einstellen. www.bergbauernhilfe.it

      The International Ecotourism Society

      Auch unseriöse Anbieter versuchen, unter dem Label Voluntourism Geld zu machen. Deshalb sollten Interessenten bei ihrer Wahl vorsichtig sein. Die International Ecotourism Society ist ein Zusammenschluss empfehlenswerter Veranstalter. www.ecotourism.org

      Entspannungstrainings: