Eine Leiche zum Lunch. Susanne Danzer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Susanne Danzer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783741831263
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Constable Knox das Büro.

      »Ich bitte um Verzeihung, Sirs, Miss«, sagte er. »Aber wir haben eine Leiche hier im Yard, die im Koffer eines Ganoven gefunden wurde, den man vor Kurzem verhaftet hat.«

      »Scheint, als würde meine Arbeit hier früher beginnen als gedacht«, meinte Celeste lakonisch und stand auf, wobei sie sich ihren Rock glatt strich. »Ich fürchte, das Mittagessen wird warten müssen. Obwohl ich wahrlich lieber Gurkensandwiches als eine Leiche zum Lunch gehabt hätte.« Sie nickte Primes auffordernd zu. »Kommen Sie, Inspector. Wir haben zu tun.«

      Kapitel 4

      »Jetzt mach schon endlich den Mund auf, Henderson!«, forderte Primes den Dieb, inzwischen deutlich lauter als zuvor auf. »Von wem hast du den Koffer in Auftrag genommen?«

      Primes, der lässig mit den Händen in seinen Hosentaschen vor dem Mann stand, hatte die Frage leise, aber mit einem durchaus bedrohlichen Unterton gestellt. In seinen grünen Augen blitzte es gefährlich auf. Er kannte Typen wie diesen Godric Henderson zur Genüge und sie waren alle gleich. Für ihn waren diese Kerle schlicht zu faul, um etwas zu arbeiten; zu einfältig, um ohne Arbeit zu Geld zu kommen, und ließen sich daher für Dienste engagieren, die einen harmlos aussehenden und auf keinen Fall besonders intelligenten Mann erforderten. Kerle wie Henderson: Nicht die hellsten Kerzen auf der Torte.

      »Ich frage dich jetzt ein allerletztes Mal, Henderson!«, bellte er den vor ihm auf einem Besucherstuhl Sitzenden an, sodass dieser erschrocken zurückwich. »Für wen arbeitest du?«

      Godric Henderson hatte resignierend die Schultern sinken lassen und war in sich zusammengesunken. Er schien dem Weinen nahe – oder einem Geständnis, wenn er überhaupt etwas zu gestehen hatte.

      »Ich habe es Ihnen doch schon ein dutzendmal gesagt, Sir: Ich habe wirklich keine Ahnung, wem der Koffer gehört! Ich habe ihn eine ganze Weile beobachtet und niemand hat sich dafür interessiert. Es schien, als ob ihn jemand vergessen hätte.« Er sah Primes hilflos an, in der Hoffnung, dass er ihm endlich Glauben schenken würde. Mit einem missglückten Lächeln fügte er hinzu: »Sie müssen das verstehen, Inspector, es juckte mir in den Fingern … ein verlassener Koffer, so ein herrenloses Gepäckstück, besonders ein so adrettes, neues und poliertes, wie dieses … das war eine Versuchung, der ich einfach nicht widerstehen konnte!«

      »Das kann ich mir lebhaft vorstellen. Ich habe einen Blick in dein Strafregister geworfen. Du hast schon rund hundert Mal der Versuchung, etwas zu stehlen, nicht widerstehen können, weil es dich in den Fingern juckte. Vielleicht solltest du dazu übergehen, dich zu kratzen, statt andere zu berauben.«

      Primes holte sein Päckchen ›Three Kings‹ aus der Jackentasche, griff nach der Streichholzschachtel auf seinem Schreibtisch und riss ein Hölzchen an. Genüsslich sog er den Rauch der filterlosen Zigarette ein und ließ ihn gleich darauf wieder durch die Nasenlöcher entweichen. Hendersons begehrlichen Blick ignorierte er geflissentlich.

      »Nun glauben Sie mir doch endlich, Inspector«, bettelte der Mann. »Bitte!«

      »Ich glaube eher, dass du dich auf lukrativere Jobs umgestellt hast!«

      »Nein, Sir! Nein, das stimmt alles nicht! Wenn ich eine Ahnung gehabt hätte, was in diesem Koffer ist … Sie können mir glauben, ich hätte für die nächsten sieben Monate einen Bogen von mindestens eineinhalb Meilen um den Bahnhof gemacht. Das schwöre ich beim Grab meiner Mutter!«

      »Von der wir beide wissen, dass sie noch unter den Lebenden weilt«, erwiderte der Inspector lakonisch.

      Primes kam noch einen kleinen Schritt näher und sagte leise, aber sehr deutlich: »Weißt du, Henderson, ich mag Leute von deinem Schlag ohnehin nicht besonders, und wenn sie mir dazu auch noch offen ins Gesicht lügen, kann ich geradezu unangenehm werden! Diesbezüglich bin ich rein gar nicht zu Scherzen aufgelegt.«

      »Es ist die Wahrheit, Inspector, die reine Wahrheit! Ich schwöre es! Ich gebe ja zu, dass ich den Koffer stehlen wollte, aber das ist auch alles. Ich dachte ehrlich, heute sei einmal mein Glückstag, aber man kann sich eben auf nichts mehr verlassen. Auf nichts mehr …«

      Ein lautloses Schluchzen schüttelte den Mann.

      Primes wandte sich angewidert ab und gab dem Wachmann an der Tür ein Zeichen, Godric Henderson abzuführen.

      Zu den Sachen, die man dem Dieb abgenommen hatte, gehörte auch eine alte schmuddelige, blaue Krawatte. Sie lag jetzt beinahe sorgfältig über der Lehne des Stuhls. Blau war die Farbe der Treue, dachte Primes. Treu war Henderson ja. Er musste lächeln. Nun würde der Mann wieder einige Zeit Gast seiner Majestät Königin Victoria sein. Zumindest würde er ein Dach über dem Kopf haben.

      Als die Tür hinter den beiden Männern zugeschnappt war, betrat eine große schlanke Frau den Raum. In ihrer grazilen Hand hielt sie eine bräunliche Mappe. Es war Celeste Montgomery, die frisch gebackene Pathologin des Yard, die sich gleich in die Leichenschauhalle begeben hatte, um die Tote zu begutachten. Sie trug ein hochgeschlossenes, graues Kostüm aus feiner Wolle und eine weißen Bluse, deren Kragen mit kleinen Rüschen und von einer dekorativen Gemme aus blauem Achat verziert war, deren Farbe zu der ihrer Augen passte. Schlicht, doch elegant. Nicht übertrieben, dafür kleidsam. Primes musste gestehen, dass es ihr ausgezeichnet stand. Ihren kleinen Hut, den er ohnehin mit dem ganzen Blüten- und Federzeug affig fand, musste sie irgendwo abgelegt haben, denn sie trug ihn nicht mehr.

      »Ich glaube ihm«, sagte sie mit einem Blick zur Tür.

      »Ich leider auch«, gab Primes seufzend zurück. »Haben Sie den Bericht über die … na, sagen wir mal, den Inhalt des Reisekoffers bereits fertig bekommen?«

      »Natürlich, Primes.«

      Celeste lächelte charmant.

      »Inspector Primes«, betonte er und drückte seine fast aufgerauchte Zigarette in den Ascher vor sich. »So viel Zeit muss schon sein.«

      »Wie Sie wünschen, Primes«, erwiderte sie verschmitzt und legte ihm die Mappe hin.

      Tadelnd sah sie ihm dabei zu, wie er sich direkt eine weitere Kippe aus der Schachtel holte und nach den Streichhölzchen griff.

      »Die Dinger werden Sie noch einmal umbringen«, warnte sie ihn und, während sie demonstrativ das Flügelfenster öffnete, fügte sie hinzu: »Ganz abgesehen von dem fürchterlichen Gestank.«

      Primes, der bereits damit begonnen hatte, den Obduktionsbericht zu lesen, sah irritiert zu ihr auf.

      »Zuerst schuf der liebe Gott den Mann, dann schuf er die Frau. Danach tat ihm der Mann leid und er gab ihm Tabak.«

      »Genau, das ist der Grund, warum Sie noch unverheiratet sind: Keine Frau mag sprechende Tabakpflanzen. Insbesondere keine, die auch noch qualmen.«

      »Ach, kommen Sie, Celly, Mark Twain war ein weiser Mann.«

      »Für Sie immer noch Doktor Montgomery. Und im Gegensatz zu Ihnen ist er verheiratet.«

      »Wahrscheinlich wünscht er sich manchmal, er wäre es nicht, damit er in Ruhe rauchen kann«, nuschelte Primes. Laut sagte er: »Zigaretten widersprechen wenigstens nicht. Man benutzt sie, brennt sie ab und wendet sich einer neuen zu.«

      »Eines Tages werden Sie auf meinem Tisch liegen, Primes. Und es wird mir ein Vergnügen sein, Ihre geteerte Lunge als Abschreckung für die Nachwelt zu erhalten, indem ich sie sorgfältig konserviere«, sagte Celeste und schenkte dem Inspector ein unschuldiges Lächeln.

      Primes presste die Lippen zusammen, schüttelte unwillig den Kopf und wandte sich wieder dem Bericht zu.

      »Ich kann es auch für Sie zusammenfassen, Primes.« Sie hatte sich auf dem Besucherstuhl niedergelassen und den Rock züchtig zurechtgerückt. »Da steht ja nichts Besonderes drin.«

      »Nichts Besonderes?« Primes sah sie schockiert an. »Der Rumpf einer Frau um die Vierzig und abgetrennte Gliedmaßen, dazu alles in einem Koffer, sind für Sie nichts Besonderes?«

      Sie beantwortete seine Frage mit einem ironischen Lächeln. »Ich habe mir die Gliedmaßen eingehend