Eine Leiche zum Lunch. Susanne Danzer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Susanne Danzer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783741831263
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Auf Dauer schaffte er es aber nicht.

      »Wollen Sie immer noch nach Soho in die Foley Street, Sir?« schrie er seinem Fahrgast zu.

      »Nein! Fahren Sie, wohin Sie wollen, aber hängen Sie um Himmelswillen endlich dieses Gesindel ab!«

      Es war eine verrückte Jagd durch die engen Straßen Londons. Der Kutscher zeigte mehr Elan und Initiative, die man ihm nicht zugetraut hätte. Gerade so, als würde er sich täglich solche Verfolgungsjagden liefern.

      »Warum soll ich Sie nicht direkt zu Scotland Yard bringen, Sir?«, rief er lautstark. »Das wäre doch das Einfachste!«

      »Weil ein Privatdetektiv für die ungefähr dasselbe ist, wie das rote Tuch für einen Stier!«

      Nach einer halben Minute meldete sich der Mann erneut.

      »Ich habe Sorge, dass das rote Tuch in wenigen Minuten zerrissen wird, Sir! Vor mir ist alles verstopft! Da ist kein Durchkommen mehr.«

      »Dann fahren Sie durch den Torbogen des Hauses dort vorn!« brüllte Henderson, den Kopf aus dem Fenster haltend. Allmählich gingen die Nerven mit ihm durch.

      »Das ist eine Kutsche, Sir, kein römischer Streitwagen! Glauben Sie, dass wir Waffen brauchen? Ich habe einen alten Vorderlader unter meinem Sitz.«

      Henderson hatte gerade noch ausreichend Zeit sich festzuhalten, als die Kutsche scharf in den Torbogen einfuhr. Der Mann vorn auf dem Bock hatte die Kurve derart eng genommen, dass er mit dem linken Vorderrad hart gegen einen vorstehenden Mauervorsprung knallte. Die Kraft des Aufpralls ließ das Eisenband vom Holz springen, so dass mehrere Speichen brachen und die Mietkutsche geriet in Schieflage.

      An dieser Stelle war die Verfolgungsfahrt zu Ende. Ehe sich Henderson versah, waren zwei Bobbys neben ihm, die ihn nicht gerade freundlich ansahen.

      »Holen Sie den Koffer des Mannes herunter«, wies einer von ihnen den Kutscher an.

      Der Mann sprang vom seinem Sitz, umkreiste die nicht mehr fahrtaugliche Kutsche und wuchtete den schweren Koffer herab. Er stellte ihn Henderson beinahe auf die Zehenspitzen und hielt unmissverständlich die Hand auf.

      Godric Henderson wurde, soweit das möglich war, einen Schein blasser und stotterte etwas von merkwürdigen Sitten der Polizei, und dass er Beziehungen Lordmajor hätte. Man könne ihm keinen Strick daraus drehen, wenn er die Bezahlung für einen Augenblick schuldig bleiben müsse. Er habe schließlich Beziehungen zu …

      Ehe er wieder beim Bürgermeister oder gar bei Ihrer Majestät selbst angelangt war, ließ der Kutscher einen nur noch wenigen Auserlesenen bekannten englischen Seemannsfluch vom Stapel, der jedem unschuldigen Menschen die Schamesröte in die Wangen getrieben hätte, und fügte ohne auffallende Höflichkeit hinzu:

      »Sie sind doch der elendste Schuft von ganz London, der mir je begegnet ist! Erst quatschen Sie etwas von wegen Privatdetektiv und Ganoven, die Sie verfolgen, dann hetzen Sie mich in eine irre Verfolgungsjagd und am Ende haben Sie nicht mal die Pennys, um mich zu bezahlen. Von dem Radbruch mal ganz abgesehen! Wenn diese Herren in ihren hübschen schwarzen Uniformen nicht wären«, seine Hände deuteten auf die beiden Polizisten, »würde ich Sie versohlen, bis Ihre Visage Ihrem Arsch ähnlich sieht! Jawohl, das würde ich!«

      Der von Henderson mit Rindvieh titulierte Beamte vom Bahnhof, beschwichtigte den Kutscher: »Regen Sie sich nicht auf, Sir. Sie können sich das Fahrgeld im Verlauf des Tages im Yard abholen. Ich werde dort Mitteilung machen, dass Sie kommen werden.«

      »Und was ist mit meinem Schaden?«, wollte der Mann ärgerlich wissen. »Der wird mich eine hübsche Stange Geld kosten.«

      »Darum werden Sie sich wohl selbst kümmern müssen, Sir. Es hat Sie ja niemand zu einer solch halsbrecherischen Fahrt gezwungen!« Damit war für den Bobby das Gespräch beendet. Er wandte sich Henderson zu und schenkte dem Kutscher, der sich lauthals fluchend den Schaden besah, keine weitere Beachtung. »Wir, Bürschchen, machen uns mal auf den Weg zum Yard, wo wir eine hübsche Zelle für dich haben.«

      Mit einer leichten Kopfbewegung gab er ihm die Anweisung den Koffer aufzunehmen und ihnen zur Kutsche zu begleiten, mit der sie ihn verfolgt hatten. Henderson musste zwischen den beiden Polizisten Platz nehmen, nachdem das Gepäckstück sicher verstaut war. Auf ein Zeichen des großgewachsenen Bobbys, ging es in manierlicher Fahrt in Richtung Big Ben Tower.

      Kapitel 2

      Kaum waren sie vor dem Gebäude des Scotland Yard angekommen, sprangen die beiden Beamten auch schon aus dem Verschlag der Kutsche. Der Wagenlenker half noch beim Abladen des schweren Reisegepäcks und wurde anschließend angewiesen sich, an der Kasse im Eingangsbereich, für die Fahrt entlohnen zu lassen. Henderson hingegen schwitzte unter der Last des Koffers und seiner Hoffnung, die sich so schnell zerschlagen hatte – nicht zuletzt auch aus Angst vor dem, was nun auf ihn zukommen würde. Hätte er doch dieses verfluchte Gepäckstück nur stehen gelassen. Er dachte sich gleich, dass damit etwas nicht stimmen konnte. Allerdings war die Gier stärker als seine Vorsicht gewesen und nun bezahlte er den Preis für seine Dummheit.

      »Wohin wollten Sie eigentlich mit dem Koffer?«, fragte ihn der lange Polizist.

      »Wohin?« Henderson erlaubte sich ein leicht entrüstetes Lächeln.

      »Spreche ich so undeutlich?«

      »Ich habe ihn gefunden; herrenlos und vergessen. Es gibt nur einen Ort wohin ich wollte: natürlich zum Fundamt. Als ehrlicher und aufrechter Bürger der Stadt London würde mir nichts anderes in den Sinn kommen.«

      »Das Nächste befindet sich unmittelbar am Bahnhof Paddington. Sie hätten nur durch zwei Türen gehen müssen und wären praktisch hineingestolpert. Nicht zu verfehlen. Selbst für Einen wie Sie nicht.«

      »Ich wollte eben zum Zentral-Fundamt!«, versuchte sich Henderson herauszureden. »Und jetzt wird mir auch noch ein Strick daraus gedreht, dass ich jemandem nur behilflich sein wollte.«

      »Das Zentral-Fundbüro liegt genau in der Gegenrichtung«, stellte der kleinere Beamte lächelnd fest. »Sie wollen uns wohl auf den Arm nehmen oder halten Sie uns für blöder als wir aussehen?«

      »Natürlich nicht … aber … als ich in der Kutsche saß, fiel mir siedend heiß ein, dass ich noch eine Erledigung hatte, die sich gut mit der Fahrt verbinden ließ.«

      »Was für eine Erledigung?«

      »Das ist ja wohl meine Privatsache«, erwiderte Henderson und gab sich entrüstet.

      »Mag sein! Aber es ist keine mehr, wenn Sie sich als Detektiv ausgeben und offensichtlich vor der Polizei fliehen.« Der Lange deutete auf den Koffer. »Ich sage Ihnen auf den Kopf zu, dass Sie dieses Reisegepäck stehlen wollten.«

      »Wie kommen Sie nur darauf?« Henderson setzte einen unschuldigen Gesichtsausdruck auf und unternahm einen letzten Versuch sich herauszuwinden, aber in seiner Stimme war schon mehr Resignation als Kampfeswille.

      »Und jetzt ... seien Sie bitte so freundlich und öffnen den Koffer«, knurrte der Kleinere. »Vielleicht finden sich darin Hinweise auf den tatsächlichen Eigentümer.«

      Godric Henderson hatte bereits danach gefiebert, trotz der Niederlage, wenigstens die Höhe des Verlustes, also den Inhalt des Gepäckstücks, kennenzulernen und nahm die Gelegenheit mit geradezu widernatürlichem Eifer wahr. Der Koffer war mit einem hübsch verzierten Schloss versehen. Henderson war so in seiner Betriebsamkeit gefangen, dass er ohne zu zögern und ohne Scheu ein niedliches Metallwerkzeug hervorholte, das ihm schon des Öfteren durch Türen oder über Schlösser hinweggeholfen hatte. Die Dietriche waren ein Familienerbstück. Er besaß seine diebischen Fähigkeiten schließlich nicht umsonst.

      Im dritten Anlauf klappte es endlich. Das Gepäckstück ließ sich öffnen und Frauenkleider kamen zum Vorschein, fleckig und zerknüllt.

      Gierig tauchte Henderson mit einer Hand hinein und schob die Kleider zurück.

      Doch schon im nächsten Augenblick nahm sein Gesicht eine grünliche Farbe an, wie man sie an verdorbenem Fleisch bewundern konnte. Nur mühsam kam