Eine Leiche zum Lunch. Susanne Danzer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Susanne Danzer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783741831263
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die beiden Uniformierten atmeten schwer. In ihren Augen spiegelte sich das nackte Grauen.

      »Das sieht mir ganz nach einer Lieferung für Scotland Yard aus«, murmelte Henderson mit zitternden Lippen.

      Kapitel 3

      Inspector Archibald Primes schlenderte, mit der aktuellen ›London Times‹ unter dem Arm, die er einem Zeitungsjungen abgekauft hatte, die Straße entlang Richtung Scotland Yard. Er hatte dem ›Old Bailey‹ einen Besuch abgestattet, um einer Verhandlung beizuwohnen, die einem Verbrecher galt, den er höchstpersönlich gefangen und ins Kittchen gebracht hatte. Mit Zufriedenheit hatte er das Urteil vernommen, das dem Verbrecher drohte: Tod durch den Strang – durchzuführen im ›Pentonville‹-Gefängnis. Nicht, dass Primes in allen Fällen für eine Hinrichtung plädieren würde. So viel Achtung vor dem Leben hatte er sich, trotz langjähriger Tätigkeit im Polizeidienst, dennoch bewahrt. Allerdings war das Verbrechen durch diesen Kerl, heimtückisch und ohne Reue verübt worden, weshalb ihm die Strafe angemessen erschien, sodass er keinerlei Bedauern empfand, als das Todesurteil verkündet wurde.

      Primes zog seine Taschenuhr aus seiner Weste und warf einen Blick darauf, nur um sie gleich darauf mit einem mürrischen Zug um den Mund, zurück an ihren Platz zu stecken. Sie war schon wieder stehengeblieben, obwohl er sie am Morgen sorgfältig aufgezogen hatte. Er musste dieses Ding endlich reparieren lassen. Schon wieder. Ansonsten bekam er sicherlich irgendwann mächtigen Ärger mit seinem Vorgesetzten, wenn er weiterhin unpünktlich erschien. Nun, wenn er es sich recht überlegte, hatte er bei Chief Inspector Angleford ohnehin keinen besonders guten Stand. Nicht, dass er viel Wert darauf gelegt hätte.

      Angeber, dachte Primes, muss sich ständig aufspielen als wäre er der Heilsbringer, auf den die Welt gewartet hat.

      Noch ein wenig weiter vor sich hingrummelnd, betrat er schließlich das Gebäude des Yard. Hier und da grüßte er Kollegen, die an ihm vorbeieilten oder an ihren Tischen saßen und mit konzentrierten Blicken die Schreibmaschinen bearbeiteten, die vor ihnen standen, sodass ein munterer Chor der klappernden Typen zu hören war.

      Sein Büro, das einer größer dimensionierten Schuhschachtel glich, lag im ersten Stock des Gebäudes. Es hatte zwar nur ein kleines Flügelfenster, aber immerhin eine Tür, die er hinter sich schließen konnte.

      »Millicent, meine Liebe, ich wünsche Ihnen einen schönen Tag«, grüßte er die Frau mittleren Alters, die ihm auf der Treppe zum Obergeschoss, entgegenkam.

      Millicent trug einen Stapel Akten auf dem Arm. Sie lächelte ihn freundlich an, was ihr herzförmiges Gesicht geradezu strahlen ließ, das von einzelnen Strähnen ihres rötlichen Haares umrahmt wurde, welche sich aus ihren Haarnadeln befreit hatten.

      »Oh, gut, dass ich Sie treffe«, sagte sie. »Chief Inspector Angleford wartet oben im Büro des Superintendent auf Sie.«

      Erstaunt hob er eine Augenbraue. »Kaum ist die Katze aus dem Haus, tanzt die Maus auf dem Tisch.«

      »Sie kennen doch das Büro von Chief Angleford. Es ist nicht wirklich präsentabel für den Commissioner.« Millicent verzog leicht das Gesicht, als wollte sie noch etwas äußern, tat es dann allerdings nicht. »Da der Chief Inspector unseren Superintendent vertritt, solange dieser auf Hochzeitsreise ist, hat es sich angeboten.«

      »Wann kommt der Boss denn zurück?«

      »In zwei Wochen müsste er wieder da sein. Gott sei Dank, kann ich nur sagen.« Sie lächelte Primes an, der verständnisvoll nickte. »Nun sollten Sie sich beeilen, um die beiden Herren und die Dame nicht länger warten zu lassen.«

      Sie ging an ihm vorbei und setzte ihren Weg fort.

      »Was für eine Dame?«, rief er ihr hinterher, als ihm die Bedeutung der Worte endlich verständlich wurden. Doch Millicent hörte ihn nicht mehr und so ging er hinauf zum Büro des Superintendent, wo er bereits ungeduldig erwartet wurde.

      Als er den Raum betrat, standen Commissioner Langley und Chief Angleford nebeneinander, während eine Frau auf einem Stuhl vor dem Schreibtisch saß und ihm den Rücken zuwandte. Aufrecht saß sie da, mit geradem Rücken, wie es für eine Dame aus gutem Hause üblich war. Das brünette Haar im Nacken zu einem ordentlichen Knoten aufgesteckt. Auf ihrem Kopf trohnte ein kecker, kleiner Hut, wie es bei den Frauen zur Zeit in Mode war. Eine Hand ruhte auf dem schlangenkopfförmigen Knauf eines Herrenschirms, was Primes mit Verwunderung wahrnahm, denn er wollte so gar nicht zu ihr passen. Sollte sie nicht eher einen dieser zierlichen Schirme aus Spitze mit sich führen, um ihre Haut vor der Sonne zu schützen? Sie war rätselhaft, aber nicht uninteressant, wie er sich eingestehen musste.

      »Primes, endlich tauchen Sie auf. Wo, um Himmels willen, haben Sie gesteckt?«, wollte der Commissioner wissen. Ein großer, schmächtiger Mann mit Hakennase, dessen Augen immer missbilligend zusammengezogen zu sein schienen und dessen Anzüge stets akkurat saßen.

      »Im ›Old Bailey‹, Sir«, antwortete Primes, während er versuchte, das ungute Gefühl, welches in seinem Inneren aufstieg, zu unterdrücken. »Hätte ich gewusst, dass Sie uns heute mit einem Besuch im Yard beehren, dann wäre ich selbstverständlich früher hier gewesen, Sir. Dann hätte ich auf meinen Abstecher bei Gericht verzichtet.«

      »Jetzt sind Sie ja da, Inspector. Und ich habe Ihnen eine freudige Mitteilung zu machen.«

      Augenblicklich war Primes auf der Hut. Irgendetwas war im Busch. Es sprang ihn förmlich an. Ob es mit dieser Frau zu tun hatte, die immer noch mit faszinierend geradem Rücken dasaß, als hätte sie einen Stock verschluckt?

      »Ich habe die Ehre Ihnen Doktor Celeste Montgomery vorzustellen«, verkündete der Commissioner, worauf sich die Genannte zu ihm umdrehte, und ihn musterte.

      Was für sagenhaft blaue Augen, schoss es Primes durch den Kopf, als gäbe es im Moment nichts Wichtigeres, über das er nachzudenken hatte.

      »Guten Tag, Miss Montgomery«, grüßte er höflich und neigte leicht den Kopf.

      »Das, Dr. Montgomery, ist Detective Inspector Archibald Primes. Er wird Sie hier im Yard einführen und Ihnen alles zeigen und beibringen, was Sie wissen müssen.« An Primes gewandt fügte er hinzu: »Dr. Montgomery ist unsere neue leitende Pathologin und sie hat den Wunsch geäußert in die Geheimnisse der kriminalistischen Ermittlung eingeweiht zu werden. Dafür eignet sich keiner besser als Sie, Primes.«

      Ich?, wollte er entsetzt ausrufen, konnte sich glücklicherweise rechtzeitig bremsen.

      Das wollte er wirklich bezweifeln. Außerdem hatte er wenig Lust darauf von seinen Kollegen zum Gespött gemacht zu werden, wenn ihm ausgerechnet eine Frau aufgenötigt wurde. Sein Stand im Yard war schon so nicht unbedingt der Einfachste. Viele hielten ihn gar für wunderlich.

      »Sir, das ist wirklich zu viel der Ehre. Ich bin mir sicher, dass es jemanden hier im Yard gibt, der sich viel besser eignet als ich. Nichts für ungut, Miss«, fügte er an Celeste gewandt hinzu.

      »Wenn ich Sie mir so anschaue, dann bin ich mir ebenfalls nicht sicher, ob man mit Ihnen eine gute Wahl getroffen hat«, erwiderte sie höflich mit weicher, melodischer Stimme, die im krassen Gegensatz zu dem ironischen Unterton ihrer Worte stand.

      »Sir, vielleicht würde sich Hancock viel besser dafür eignen«, wagte Primes einen weiteren Vorstoß in Richtung Abwehr einer möglichen Zusammenarbeit mit dieser Frau.

      Chief Inspector Angleford, dieser hässliche, korpulente und hohlköpfige Gnom, wie ihn Primes für sich nannte, wollte etwas darauf erwidern, doch der Commissioner hob die Hand, »Inspector, diese Sache ist nicht verhandelbar. Sie werden sich um Dr. Montgomery kümmern. Ich will kein weiteres Wort von Ihnen hören. Es ist ein Befehl! Dem wollen Sie sich bestimmt nicht widersetzen, habe ich recht, Detective Inspector Primes?«

      »Selbstverständlich nicht, Sir.« Es war eine bittere Pille, die er zu schlucken hatte.

      Er warf einen Blick zu Celeste hinüber, den diese gelassen zurückgab.

      »Sie und Dr. Montgomery sollten einen gemeinsamen Lunch nutzen, um sich kennenzulernen. Schließlich werden Sie zukünftig