Solange sie schlief. Matthias Rathmer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Matthias Rathmer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844271591
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ich sie morgens verließ, kam es ihr so vor, als zöge ich eine Maske vom Gesicht. Sie hatte Recht. Ein paar Tage später indes stand sie doch wieder lustvoll vor meiner Tür, wie immer unangemeldet. Ein guter Orgasmus war ihr mehr wert als jede Konsequenz.

      Ein anderes Mal erwachte ich nach einer durchzechten Weihnachtsfeier in einem riesigen Ehebett in der Elbchaussee. Als ich die Augen öffnete, schaute ich erschrocken in das große, runde Gesicht einer Türkin. Sie gehörte zum Reinigungspersonal. Mitgenommen und vernascht hatte mich die Ehefrau eines Chefarztes. Die lüsterne Herrin des Hauses eröffnete mir, dass sie mich erst dann gehen lassen würde, wenn sie mich in jedem Zimmer ihrer Villa gehabt hatte. Danach stellte sie mich ihrer Stieftochter vor.

      Eine Pianistin, mit der ich mehrfach zusammengekommen war, stürmte überraschend in meine Wohnung und beklagte sich vehement, dass ich doch immer nur eins wollte. Nach ihrer Schelte stand sie in der Tür, drehte sich herum und fiel über mich her.

      Die Straßenfeste dieser Stadt waren nicht minder frivol. Tagsüber trank man sich die Hirse weg, wurde es dunkel, verfiel jede Schonung. Mit einer Frau trieb ich es wie ein Straßenköter im Hinterhof, eine andere hatte ich im Wagen ihres Freundes. Auf dem Kinderspielplatz in der Nähe meiner alten Wohnung stieß ich ebenfalls ein paar Mal zu. Bevorzugter Ort war das Drehrad, vor allem bei Paulina, einer Jurastudentin, die wie eine Kuh muhte.

      Ich erinnerte mich an zwei andere Studentinnen aus dem Schwarzwald, die ich zusammen mit einem Freund während unseres Urlaubs auf Sri Lanka getroffen hatte. Wir hatten sie mehrfach in ausgelassener Urlaubsstimmung derart ordentlich beglückt, dass sie uns zum Abschied mit Lotusblüten beworfen hatten und ernsthaft darüber nachdachten, den Studienort zu wechseln.

      Mir kam auch eine frühere Nachbarin in den Sinn. Kurz nach ihrem Einzug beklagte sie sich über die Lautstärke, die mein Gang angeblich in ihren Zimmern auslösen würde. Zwei Tage später lag sie in meinem Bett. Wann immer mir danach war, stieg ich zu ihr hinunter. Nahm sie ihre Drogenpillen, war sie zu jedem Dienst bereit. Zwei Jahre nach unserer Zeit traf ich sie in gewohnt zugedröhnter Verfassung wieder.

      „Aber ein kleines bisschen hast du mich schon geliebt, oder?“ fragte sie mich. Offensichtlich hatte sie sich daran erinnert, dass sie es stets mochte, wenn ich ihren süßen Hintern rot und blau geschlagen hatte.

      „Ja! Sei für heute Nacht mein Mann!” stöhnte mir eine andere Frau entgegen und winkelte ihre Beine auf dem Rücken liegend wie damals im Schulsport an. In ihr hätte man einparken können. Nach dem Akt meinte sie lapidar, dass sie Besseres gewohnt war und präsentierte eine Dildosammlung, die als Erstschlag tauglich war, jeden ungebetenen Eindringling ins Koma zu schicken.

      Ein anderes Mal hockte eine Studentin auf mir und stützte sich mit den Fußsohlen auf ihrem neuen Holzboden ab, den ausgerechnet ihr Freund verlegt hatte, weil er immer noch verliebt in sie war. Sie wippte so heftig auf mir auf und ab, dass ich befürchtete, sie würde durch die Decke knallen. Im Rhythmus ihres Ritts meinte sie: „Du darfst aber nicht in mir kommen. Ich nehme nichts!“ Ich kam in ihr. Sie war zu spät. Ich bezahlte die sündhaft teure Pille danach und sah sie nie wieder.

      Wieder eine andere zierte sich zunächst. Ich packte sie und setzte sie auf den Küchenunterschrank. Danach war sie völlig außer sich. Sie drückte mich in ihr Schlafzimmer und präsentierte mir ihren Hintern. „Ja, ja! Mach’s mir! Mach’ mir ein Kind!“

      Ich schüttelte mich. Mir schauderte. Ich ärgerte mich. Die Ahnung, was mir bevorstand, wenn ich mich neuerlich gehen ließ, verursachte mir Übelkeit. Innerlich stieß ich meinen Kopf gegen eine Wand. Mein Rückblick drohte schon nach nur ein paar Erinnerungen zu dem Geständnis eines Triebtäters zu geraten, der zwar gewaltfrei und stets mit Einwilligung seiner Opfer gehandelt hatte, aber dennoch angeklagt gehörte. Ich ekelte mich vor mir selbst. War ich wirklich so? War ich als Mann derart einfach, plump und peinlich? War ich schwanzgesteuert, weil mein Chromosom mein ES und damit meine Triebe bestimmte?

      Begegnete ich einer Frau, konnte ich nach Millisekunden sagen, ob sie als Beute infrage kam. Redete ich eine halbe Stunde mit ihr, konnte ich einigermaßen verlässlich einschätzen, ob sie wie und wann zu haben war, ob sie gleich oder sofort wollte. In diesen Fällen interessierte mich zunächst ausschließlich das äußere Erscheinungsbild ihres Gesichts und ihrer Kurven. Kleinste Verfehlungen reichten um sie beruhigt gehen zu lassen. Die Auswahl war dank des üppigen Angebots genauso vielfältig wie simpel. Was sie im Kopf hatte, was sie im Herzen trug, war kein Wort wert.

      Begehren, Freude, Überdruss. Es war immer der gleiche Kreislauf, in dem ein Scheusal drehte, dachte ich, wenn die Verlorenen mich die Wahrheit denken hören könnten, dabei waren sie es, die sich mir entgegenstreckten wie dem König der Nacht eine Opfergabe dargeboten wurde. Frauen nahmen sich Männer, Frauen nahmen sich mich. Dabei gingen nur die wenigsten von ihnen in die Offensive. Wie vor ewigen Zeiten standen sie da und gaben Zeichen, wie empfänglich sie für eine Eroberung waren. Wer tatsächlich die Entscheidung für die zumeist nächtliche, entwürdigende Verbundenheit für ein paar Stunden zuerst getroffen hatte, war belanglos geworden. Auf fremden Körpern zu übernachten, war unmenschlich, gleichgültig, wer oben oder unten lag oder wer von was den Mund zu voll genommen hatte.

      Die Frauen wollten es selbst so, beruhigte ich meine Nerven wieder. Auch sie waren nicht als böse Menschen geboren worden. Vermutlich war es nur ihr langweiliges Leben, das sie gequält hatte und die eigene Antriebslosigkeit dazu, dem zu entfliehen. Oder sie wollten mit ungehobelter Weiblichkeit glänzen, damit ich sie weiter traf, um die wahren Werte zu erkennen, derentwegen sie einer Liebesgeschichte würdig waren. Ich hielt ihnen zugute, dass auch sie begehrten oder sich Zwängen ausgesetzt sahen, dass es in den wenigsten Fällen tatsächlich berechnende Absicht war, sich selbst ein derart unwürdiges Chaos anzutun, weil der Grund ihres Handelns einzig ihre Angst war. Die meisten Defizite eines Menschen beruhten auf diesem Gefühl. Aber wer mehr nicht wollte, wer im Kern stets den Wunsch entwickelte, sich in der Anwesenheit des anderen ausruhen zu wollen, und so waren die meisten Frauen in meiner Stadt, musste damit leben, mit seinen Sehnsüchten und Ängsten gleichermaßen enttäuscht zu werden.

      Eine andere Erklärung schoss mir durch den Kopf. Die Männer hatten mich zu dem gemacht, wer ich im Umgang mit dem vermeintlich schwachen Geschlecht war. Viele, sehr viele, hatten es den Frauen so recht gemacht, dass sie dadurch erst ihre Ansprüche erhoben hatten, mit denen sie die Nachfolger dieser Idioten belegten. Verwöhnt, verehrt, verlogen und betrogen. Ich und die anderen, die ich nicht kannte, durften ausbaden, was diese Ignoranten an Unheil angerichtet hatten.

      Maria brachte unaufgefordert ein zweites Glas Wein. Sie lächelte. Irgendwie schien sie meine Verworrenheit wahrzunehmen, verzichtete jedoch erfreulicherweise auf jede Ansprache. Aufgebracht rutschte ich auf der Sitzbank hin und her. Ebenso wenig wie ich von den Frauen sprechen konnte, konnte ich das Verhalten aller Männer be- oder verurteilen, mag die Anzahl der geistigen Tiefflieger und Tunichtgute unter ihnen auch noch so groß sein. Es ging mir um mich, um meine Erkenntnisse, um meine Erfahrungen und um meine absurde Entwicklung im ständigen Kampf mit weiblichen Existenzen. Ich musste bei und mit mir sein. Um mehr ging es nicht und um doch so viel. Mit allen meinen Bettgeschichten hatte ich nicht die Frauen sondern letztlich mich selbst bestraft und war dabei, es wieder zu tun.

      Wann genau es begonnen hatte, konnte ich nicht sagen. Es war auch gleich. Es zählte allein, was sie scham- und zügellos lebten. Zu Beginn waren es einige wenige, dachte ich. Und wie üblich zeigte die Mehrheit mit dem Finger auf sie, obgleich sie ähnlich begehrten. Die ersten Frauen, die sich, befreit von allen Konventionen, Mann nach Mann nahmen, wurden noch als Huren beschimpft. Doch je mehr ihnen folgten, angesteckt von diesem vermeintlichen Lebensglück, desto hoffähiger entwickelte sich die weibliche Befreiung aus Frust und Züchtigung, mit dem Ergebnis, dass das, was einst als so verwerflich galt, heute für jede Frau mindestens ein Gedanke wert war.

      Je länger ich über ihr Auftreten und ihren Benimm nachdachte, desto sicherer wurde ich. Im Kern verhielten sie sich in den vergangenen Jahren immer häufiger so, wie es in früheren Zeiten die Geliebten getan hatten. Nur die Rollen hatten dramatisch gewechselt. Hatten sich über Epochen hinweg Männer Geliebte gehalten, hielten sich heute Frauen Männer als Geliebten. Die moderne Frau hatte sich freiwillig auf diesen Status reduziert, aus rein egoistischen Gründen. War Frau schlau,