Während sie für sich geblieben war, hatte ich mich zum wiederholten Male für andere Frauen entschieden. Zunächst in meinen Gedanken, später im Vollzug. Meine Konzentration rang mit meiner Zerrissenheit. Was auch immer es war, das mich mit Eve noch verband, ich hatte zweifelsfrei ihre Interessen missachtet. Ich war ihr nicht treu, ich war unanständig. Ich hatte meine Redlichkeit verloren. Dabei. Es gab eine Prägung von Gelöbnis, von der ich wusste, wie dienlich sie war, die Öde von Liebesgewohnheiten zu überwinden. Loyalität. Sie war die Anteilnahme der Seele jenseits jeder Emotion, um den Zufall von Begegnungen und damit von Gefühlen in eine Notwendigkeit zu verwandeln. Mehr als Wohlgefallen, Begierde und Geborgenheit, die allesamt vergänglich waren, trug einen diese besondere Befähigung von Ergebenheit, vor dem anderen nicht davonzulaufen, was die Voraussetzung beinhaltete sich selbst zu ertragen. Ich aber lief davon, vor Eve und zuallererst vor mir selbst.
Mein schlechtes Gewissen verursachte mir eine innere Unruhe, denn daneben bestimmte mich der Gedanke, dass Ehre das einzige Geschenk war, das sich ein Mann selbst geben konnte.
Es war an der Zeit konsequent zu werden.
„Störe ich dich?“ Ich vernahm ihre abschlägige Antwort und teilte ihr unverzüglich den Grund meines Anrufes mit. „Ich wollte mich bei dir entschuldigen.“ Ich war abseits auf die Veranda des Fitnesstempels getreten um ungestörter zu sein.
„Nein, du störst nicht. Hast du noch nie getan.“ Julia war hörbar überrascht. Sie saß noch im Büro. „Für was möchtest du dich denn entschuldigen?“ wollte sie wissen.
Ich bildete mir ein, einen Unterton in ihrer Stimme vernommen zu haben, der darauf schließen ließ, mich in freudiger Erwartung an ihrem Arbeitsplatz zu empfangen, weil sie, wie sie mir gestanden hatte, diese Form der intimen Begegnung gerne einmal erleben wollte.
„Für mein Benehmen.“ Mit bedingungsloser Offenheit schilderte ich ihr meine Verfassung. Ich gestand ihr, wie sehr ich sie zu etwas degradiert hatte, dass ihrer nicht würdig war, wie unterschiedlich meine wahrhaftigen Gedanken über sie und der Umgang mit ihr waren, wie sehr mich die Scham bedrückte, sie für meinen chaotischen Gefühlszustand missbraucht zu haben, wie sehr ich mit ihr war, dass ich ihr kein authentischer und aufmerksamer Mann gewesen war.
Julia hatte aufmerksam zugehört. Sie schwieg.
„Bist du noch da?“ fragte ich sie zaghaft und befürchtete die mir bekannte Kette weiblicher Emotionsregungen, die mit einem Wutausbruch und allerlei Beschimpfungen begann und doch meistens in Tränen endete.
„Ich bin noch da,” antwortete sie. „Aber ehrlich gesagt...“ Sie zögerte für ein paar Augenblicke in ihrem Redefluss. „Seien wir ehrlich. Der Sex mit dir war ganz ok. Aber auch nicht so umwerfend, dass ich auf der Stelle heulen muss.“
Nun schwieg ich. Da war sie wieder, diese unerträgliche Maske. Nach außen gab sich dieses Weib gewandt und selbstbewusst. Im Bett war sie langweilig.
„Bist du jetzt noch da?“
„Ich bin noch da.“
„Ach, Mat! Was ist denn los mit dir?“ sprach sie nahezu mütterlich und ich stellte mir ihre vorgetäuschte Gelassenheit vor, mit dem sie ihren Ausruf versah. „Du kannst ja richtig niedlich sein. Und so fürsorglich. Wusste ich gar nicht. Aber glaubst du wirklich, dass du der einzige Mann in meinem Leben bist?“
Ich haderte für einen Moment. „Ich war es, Julia! Und nun wünsche ich dir ein langes und sinnerfülltes Dasein. Tu’ dir einfach nicht weiter weh! Und vor allem nicht Leid!“
„Mach’ dir keine Sorgen! Ich kann schweigen,” hörte ich sie noch sagen, bevor ich das Gespräch brüskiert beendet hatte und mich über meine Naivität zu ärgern begann.
Was für eine Zicke, wetterte ich leise. Der Absprung mit der Ermahnung nach Einsicht, wie verlogen die Frauen so oder so sein konnten, war gemacht. Die ersten Momente des Schauderns waren überstanden. Kopfüber war stets eine Überwindung, denn die Vorabendsonne schaffte es nicht mehr, das Wasser auf eine angenehme Temperatur zu bringen. War die erste Bahn geschafft, hatte man sich ebenfalls an die Unruhe im Nass gewöhnt.
Im Schwimmen lag für mich in der Regel ein meditatives Element. Ich zählte Kacheln und vergaß die Welt außerhalb des Beckens. An diesem Tag aber wurde ich meine Unruhe selbst hier nicht los. Ständig kreuzten außerdem Kinder oder Senioren meine Armschläge. Dann und wann sah ich auf einen wohlgeformten Frauenkörper, den ich nach jeder zweiten Bahn überholte. Die Kleine übte sich im Brustschwimmen. Mit jeder Beinschere spreizte sie ihre süßen Pohälften reichlich undamenhaft. Ich fragte mich, warum die Reize von Frauen zu unterschiedlichen Zeiten so unterschiedlich auf mich wirkten. Es gab Tage, da wäre ich aus dem Becken gestiegen um auf diese Frau zu warten, sie anzusprechen, um sie kennen zu lernen, um sie erobern zu wollen. Und es gab Tage wie diesen, an denen ich die gleichen Reize ziehen lassen konnte, weil mir jedes Wort für die Umsetzung dieser Absichten zu schwer fiel. Ich gab den Versuch meiner Abkühlung auf, trocknete mich im Gras, verfolgte den Untergang der Abendsonne und nahm wieder auf der Terrasse Platz. Unverzüglich kehrten Konfusionen zurück. Ich versuchte, mich mit meinen Gedanken zurück in die Nähe zu Eve zu bringen.
„Schön, wenn man die Frau fürs Leben gefunden hat, besser, wenn man ein paar mehr kennt,” erinnerte ich mich an meine Antwort und suchte nach einem Grund, warum ich gerade an diesen Vorfall denken musste.
Er hatte schallend gelacht. Viele Jahre waren vergangen, nach den Dreharbeiten zu einem Fernsehmehrteiler, an dem ich als Regieassistent mitgewirkt hatte. Der Regisseur, ein Meister des Erzählens, republikbekannt, mit Starallüren und ein Frauennehmer erster Güte, hatte mich in einer Drehpause zu einer kirchlichen Hochzeitsszene gefragt, was ich von der Ehe hielt.
„Ich verstehe auch nicht, warum die meisten Frauen in Weiß heiraten wollen,” plapperte ich munter weiter. „Für jeden Beischlaf vor der Ehe gehört ihnen ein schwarzer Fleck auf ihr hübsches, weißes Kleid gemalt. Aber dann könnten ja alle gleich in Schwarz heiraten.“ Wieder erntete ich kräftige Lacher.
„Mat! Kennen Sie eine Frau, die in der Vergangenheit etwas Großes geschaffen hat?“ hatte dieser Regisseur nach einer Weile allgemeinen Geschwafels wissen wollen.
Ich erinnerte mich genau an seinen Gesichtsausdruck, an seinen stechenden Blick, der einem Priester des Jüngsten Gerichts zu gehören schien und befürchtete einen dieser Augenblicke, in denen er, cholerisch, eitel und despotisch wie er war, zu einer Attacke ansetzen würde, um vor versammelter Mannschaft den Glanz zurück auf sich zu ziehen. Gehörig verblüfft stutzte ich. Hatte er seine Frage ernst gemeint? Wollte er mich vorführen?
„Hören Sie! Ich meine etwas wirklich Großes. Ein Bild gemalt. Eine Oper geschrieben. Einen Dom gebaut. Oder ein Buch von Rang geschrieben. Etwas wirklich Großes.“ Seine Augen hatten sich zu einem brennend spitzen Anblick verkleinert, seine Pupillen kreisten nicht eine Nuance. Er hatte seine Frage ernst gemeint.
Ich sah ihm an, wie intensiv er sich in seinem Leben mit der Antwort beschäftigt hatte. Sofort kreisten ein paar Gesichter durch mein Hirn. Ich dachte an unsere Kanzlerin, an Anne Frank, an Jeanne d’Arc, an die Callas, an Artemisia, an die Kahlo, doch diese Damen konnte er nicht wirklich meinen.
„Ist doch eigenartig, oder? Kennen Sie nun eine oder kennen Sie keine?“
Immer noch schwieg ich, wie alle anderen am Tisch.
„Wie auch sollten Sie eine kennen?“ antwortete er schließlich in seiner selbstgerechten Art. „Es gibt sie nicht. Es waren und es sind immer Männer, die etwas Großes geschaffen haben oder schaffen. Oder kennen Sie doch eine?“ fragte er mich ein letztes Mal provozierend und lächelte in die Tischrunde.
„Ja! Ihre Mutter!“ antwortete ich und ergänzte. „Vielleicht!“
Wieder lachten alle lauthals, bis auf einen, der mich mit Eiseskälte abzustrafen begann und mit dem ich fortan noch mehr Probleme bekommen sollte,