In grauen Zonen. Christian Toepffer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Christian Toepffer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738031447
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Korruption ist nur ein Vorwand.“

      „Was weißt du denn über seine Verhaftung?“ „Ein gemeinsamer Bekannter aus Südafrika rief mich an. Als ich endlich seine Frau erreichte, hatte man sie schon aus der Dienstvilla gesetzt und beim Fernsehen ins Archiv abgeschoben. Sie wirkte ziemlich eingeschüchtert. Ich bin mir sicher, dass hinter der ganzen Angelegenheit politische Richtungskämpfe stehen. Früher war man sich im ANC einig, weil alle gegen die Rassentrennung kämpften. Als man dann die Macht hatte, wurden auch andere Spannungen sichtbar. Aber der alte Mythos der Einheitsfront ist noch mächtig und verhindert geradezu, dass Konflikte offen ausgetragen werden. Grob gesagt gibt es drei politische Richtungen: Die Regierenden sind im Grunde konservativ. Sie haben sich die alten Strukturen eher angeeignet als sie zu verändern. Man lebt nicht nur wie vorher vom Export von Rohstoffen, sondern profitiert noch nachträglich vom Apartheidregime, z.B. von seiner Rüstungsindustrie, und in diese Wirtschaftszweige wird bevorzugt investiert. Dagegen fordern die Gewerkschaften soziale Gerechtigkeit und eine Umverteilung zugunsten der Massen. Dann gibt es noch eine Richtung, die man technokratisch nennen könnte. Ich nehme an, dass Leute wie Gumede dahinter stehen. Die wollen neue Arbeitsplätze in der Infrastruktur und in der Hochtechnologie schaffen. Dazu müssten Investitionen zu Lasten des Bergbaus umgelenkt werden, und das kann den Leuten, die da inzwischen in führende Stellungen eingerückt sind, nicht recht sein. Natürlich geht es auch um Machtfragen, und es werden Ellenbogen eingesetzt. Die regierenden Kreise haben zugeschlagen, bevor es zu gefährlich wurde. Für solche Zwecke hatte man eine Spezialtruppe geschaffen, die Skorpione. Die haben nicht nur Gumede verhaftet, sondern auch die deutschen Strafverfolger auf mich gehetzt. Schließlich ist African Electric unser gemeinsames Kind.“

      „Wie kam das?“ „Ich wurde 1987 Leiter der südafrikanischen Landesgesellschaft der ElteX – beziehungsweise ‚Eltech‘ mit ‚ch‘, wie das damals noch hieß. Das weiße Regime war todkrank. Ein Symptom war übrigens die um sich greifende Korruption. Offensichtlich stieg mit dem sich nähernden Ende der Drang, noch schnell abzusahnen. Wir mussten eine Strategie entwickeln, die uns über den Wandel helfen würde. Trotz der zunehmenden Unruhe lief das Geschäft nicht schlecht. Das Regime förderte die Elektrifizierung der schwarzen Vorstädte, man nahm wohl naiverweise an, die Schwarzen würden die Regierungspropaganda im Fernsehen glauben. Wie dem auch sei, da tat sich ein riesiger Markt auf – erst die Kraftwerke und die Netze, dann die Geräte. Aber das Geschäft musste gegen die Risiken eines politischen Umsturzes versichert werden. Wir mussten Zeichen setzen, die dem ANC zeigten, dass wir zu einer konstruktiven Zusammenarbeit bereit waren. Dazu schlug ich vor, einen Teil der Aufgaben einer Ausgründung mit schwarzer Beteiligung zu übertragen. Das wurde dann die African Electric. Miteigentümer waren die schwarze Gewerkschaft und einige Fachleute, darunter der Elektroingenieur Gumede. Die hatten die Beziehungen, und wir hatten das Kapital.“

      „Also ihr habt das Eltech-Kapital auf Kosten der Aktionäre verdünnt, euren Partnern einen geldwerten Vorteil verschafft und auf deren Wohlwollen nach einem Machtwechsel spekuliert.“ „Das ist eine sehr unfreundliche Sichtweise.“ „Genau eine solche hat dich hierher gebracht.“ „Nein, alles geschah doch völlig offen und ist auf einer Eltech-Hauptversammlung abgesegnet worden. Es gab sogar ausdrückliches Lob von einer Anti-Apartheid-Gruppe, die eine Aktie besaß. Im übrigen zwingt die Regierung inzwischen Firmen, schwarze Teilhaber aufzunehmen, auch wenn diese kein Kapital einbringen können. Was jetzt Pflicht ist, konnte doch damals kein Unrecht sein.“ „So würde ich das hier besser nicht formulieren.“

      „Wie auch immer, es wurde hart gearbeitet. Gumede hatte ein besonderes Geschick, gemäßigte ANC-nahe Kreise davon zu überzeugen, dass sie nichts davon hätten, wenn sie eines Tages ein ruiniertes Land übernehmen müssten. Auf der anderen Seite gab es Scharfmacher besonders bei den Geheimpolizisten vom Bureau of State Security, genannt BOSS, die sich mit Recht so belastet glaubten, dass sie nichts mehr zu verlieren hatten. Die setzten auf Spannungen zwischen den Schwarzen, um die weiße Macht zu stützen. Da boten sich die traditionell orientierten Zulus an, die sich dem politischen Anspruch des ANC, alle Gegner des rassistischen Regimes zu vertreten, nicht unterwerfen wollten. BOSS sähte Streit, was sich als schwieriger herausstellte als gedacht, weil der Einfluss der Zulu-Häuptlinge und die Bedeutung der Stammeszugehörigkeit in den schwarzen Vorstädten um Johannesburg gar nicht mehr so groß war. Da störte es, wenn ein Zulu bester Herkunft ein Vorhaben betrieb, das Einfluss jenseits der Stammesgrenzen versprach. Die BOSS-Leute machten Druck auf Gumede: Wenn schon Elektrifizierung, dann sollten die Zulu-Siedlungen zuerst drankommen und Zulus bei der Beschäftigung bevorzugt werden. Weil das sachlich nicht vertretbar war, lehnte Gumede nach Rücksprache mit mir ab. Kurz darauf war er verschwunden. Willkürliche Verhaftungen waren nicht unüblich, ich hatte schon zweimal Leute von mir heraus geholt. Aber Gumede war Großwild, für den musste ich weit oben anklopfen. Das würde dauern, ich konnte nur hoffen, dass er inzwischen keine Treppe hinunter fallen würde, eine damals auffällig häufige Todesursache bei Häftlingen. Ich kannte den Wirtschaftsminister von den Verhandlungen wegen der Elektrifizierung und nach einigen Tagen bekam ich einen Gesprächstermin. Ich sagte ihm, Eltech sei ohnehin unter Druck, den Boykott gegen Südafrika zu verschärfen.

      Wir könnten es nicht hinnehmen, ausgerechnet den Leiter desjenigen Projekts zu verlieren, das unsere fortdauernde Tätigkeit in Südafrika legitimiere. Seine Regierung solle umgehend solche Provokationen vermeiden. Der Minister wiegelte erst ab, erklärte sich dann unzuständig, versprach dann aber, nicht nur selber mit dem Polizeiminister zu reden, sondern auch mir eine Gelegenheit dazu zu verschaffen. Das klang nicht schlecht, denn es gab so einige Hinweise, dass von ganz oben her Zweifel durch das System sickerten.

      Man redete zwar von der totalen Mobilisierung gegen den terroristischen ANC, hielt sich aber eine Hintertür für Verhandlungen. Und die wurde gerade ein wenig geöffnet, z. B. durch Hafterleichterung für Mandela. Der Polizeiminister empfing mich dann einige Tage später. Seine Aufgabe sei der Kampf gegen Terrorismus und Sabotage, und nichts werde ihn davon abbringen. Ich sagte ihm, Gumede handle in unserem Auftrag, wenn ihm Sabotage unterstellt würde, dann gelte das auch für uns. Ohne ein gewisses Grundvertrauen könnten wir keine Geschäfte machen. Die Polizei hätte sicher in bester Absicht gehandelt, aber übereifrig und ohne die Folgen zu bedenken. Womöglich wäre auf den unteren Ebenen auch gar nicht bekannt, welchen Stellenwert die Regierung dem Elektrifizierungsprogramm beimesse. Die Feinde würden behaupten, der Fall zeige, dass die Regierung, d.h. er, der Polizeiminister, BOSS nicht mehr kontrollieren könne und im Grunde schon die Anarchie herrsche, die er eigentlich verhindern solle. Der Minister sagte mir zu, sich um den Fall zu kümmern, und warb noch etwas um Verständnis. Niemand könnte mehr bedauern als er, dass eben leider nur scharfe Maßnahmen im Kampf gegen Kommunismus, Aufruhr und Chaos Erfolg versprächen.

      Nach ein paar Tagen tauchte Gumede wieder auf. Die BOSS-Leute hatten ihn zunächst in ihr Hauptquartier gebracht und dort eine Zeit lang isoliert. Eine übliche Taktik, um Häftlinge mürbe zu machen. Er sollte sich nicht länger weigern, unter dem Deckmantel seiner Arbeit für uns den ANC auszuforschen. Man erinnerte ihn daran, dass er in erster Linie seinem Stamm Gehorsam schulde, und schleppte sogar seinen Schwiegervater herbei, einen prominenten Zulu-Häuptling. Der beschwor ihn, darauf einzugehen, denn der ANC sei ein viel schlimmerer Feind der Zulu-Tradition als die weiße Regierung. Die würde von den Buren getragen, und das sei eigentlich nur ein anderer Stamm. Ihre Aufgabe als Zulus sei es, den Einfluss ihres Stammes zu erhöhen und sonst nichts. Nachdem das nichts bewirkte, schafften sie Gumede in das Fort von Johannesburg. Nach dem Machtwechsel zeigte mir Gumede das Gefängnis und seine Zelle, etwa 100 Quadratmeter für 50 Gefangene, Abort in einer Ecke. Heute ist das ein Museum, natürlich, ich wundere mich, wo er jetzt sitzen mag.

      Eigentlich konnte ich ja stolz darauf sein, dass ich erfolgreich eingegriffen hatte. Aber eine Zeit lang nagte in mir das Misstrauen, dass Gumede vielleicht doch mit der Polizei etwas verabredet haben könnte. War er vielleicht unter Zwang zu einer Art Doppelagent geworden? Aber dann wurde Mandela frei gelassen, der ANC kam aus dem Untergrund, und es begannen die langen, zähen Verhandlungen, die schließlich zum Machtwechsel führten. Währenddessen zerstreuten sich meine Zweifel, denn es war klar, dass der ANC Gumede voll vertraute. Und das war ungeheuer nützlich für African Electric, Eltech und damit natürlich auch für mich. Mit unserer Ausgründung ‚African Electric‘ hatten wir die von der neuen Regierung gewünschte Afrikanisierung der Wirtschaft und Industrie