In grauen Zonen. Christian Toepffer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Christian Toepffer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738031447
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der Fahrer brachte das Gepäck. Mallwitz war gerade beim Rasieren, als der Strom ausfiel. Unweit sprang ein Generator an, der Rasierer lief wieder. Die Mallwitzens duschten, legten sich ins Bett und schliefen sogar für einige Stunden.

      Nachmittags schalteten sie den Fernseher an, Cindy sprach Nachrichten auf – Zulu? Xhosa? Oder einer anderen der neun offiziellen afrikanischen Sprachen des Landes? Gumede stammte allerdings aus einer Zulu-Häuptlingsfamilie, eine offizielle Ehefrau aus einem anderen Stamm wäre schon ein schwerer Bruch mit der Tradition gewesen. Die Mallwitzens wechselten auf einen englischen Kanal, aber da gab es nur Cricket. Die Engländer mussten schon sehr geschickt gewesen sein, ein so unendlich langweiliges Spiel in ihren Kolonien durchzusetzen.

      Inzwischen waren, wie im Sommer üblich, draußen schwere Wolken aufgezogen und es begann ein schweres Gewitter. Es wurde schnell dunkel, der Donner krachte unmittelbar über dem Dach, und in den hellen, sekundenlangen Blitzen sah man den prasselnden Regen, das Wasser stand knöcheltief im Garten. Dann war alles plötzlich zu Ende, man sah noch einmal den Schein der untergehenden Sonne, hörte Vogelzwitschern, und es gab auch den eigentümlichen Geruch ionisierter Luft.

      Kurz danach kam Gumede. Er war nun Mitte vierzig und seit der letzten Begegnung vor zehn Jahren etwas stattlicher geworden. Mallwitz und Gumede umarmten sich. Sie hatten sich zwar nie ihre letzten Geheimnisse anvertraut, aber es gab eine unausgesprochene Übereinstimmung. Aus verschiedenen Kulturen, aber ähnlich geprägt. Und sie verdankten einander ihren Aufstieg. Gumede führte sie durch das Haus, in dem die Farbe Gold vorherrschte. Er erzählte, dass SARF das Anwesen günstig von einem Bergbaumagnaten übernommen hatte, der nach England gezogen war. Im Garten stand eine Kopie des Standbildes der Prinzessinnen Luise und Friederike von Schadow. Die hatte sich Gumede privat angeschafft, aus Begeisterung, sagte er. Mallwitz war doch etwas verblüfft (Warum nicht, Europäer interessieren sich ja auch für afrikanische Kunst) und erzählte etwas über die tugendhafte Königin Luise von Preußen und die erotischen Qualitäten ihrer Schwester Friederike, die nach zwei Ehen, allerlei Affären und vielen Kindern noch Königin von Hannover geworden war. Inzwischen tauchte Cindy wieder auf, Gumede erzählte ihr weiter, was er gerade über Friederike gehört hatte. Cindy lachte. Man ging ins Haus, Gumede schenkte trockenen südafrikanischen Sherry ein. Sie besprachen den Plan für die nächsten drei Tage.

      Morgen würden sie mit Gumedes Stellvertreter und dessen Frau mit einem SARF-Flugzeug in den Krügerpark fliegen. Dort lag mitten in der Totalitätszone am Limpopo, der Grenze zu Zimbabwe und Mosambik, ein Polizeiposten, in dessen Umgebung sie ungestört von der zu erwartenden Menge anderer Beobachter sein würden. „Und“, sagte Gumede, „wir werden uns Zeit nehmen, etwas Wichtiges zu besprechen.“ Klingt etwas imperial, alter Freund, bin neugierig. Das Abendessen war afrikanisch, geröstete Mopanewürmer, die sahen aus wie Engerlinge und schmeckten nach nichts, danach Maisbrei, Kürbisgemüse und Lammgulasch. Dazu einen 1998 Delberg Pinot Noir, gnädigerweise ohne Holzgeschmack.

      Die Frauen gingen zu Bett, Gumede und Mallwitz tranken noch einen Brandy auf der Terrasse. „Wie geht es Sheila?“ „Sie ist nach Zululand zurückgekehrt, unterrichtet an einer Schule. Sie ist da verwurzelt, von der Familie und der Tradition geradezu gefesselt. Ihr Vater ist ein Lump, beruft sich auf unsere Vorfahren Shaka, Dingaan und überhaupt auf die gar nicht immer so ruhmreiche Vergangenheit, um weit draußen im Zululand vor Greisen, Weibern und Kindern den großen Häuptling zu spielen. Dabei katzbuckelte er vor dem Apartheid-Regime und versucht jetzt verzweifelt, seine Privilegien zu retten, oder was er dafür hält. Nach der Wende sind Berichte aufgetaucht. Die BOSS-Leute haben nicht alles verschwinden lassen – wahrscheinlich mit Absicht, um Zwietracht zu säen. Mein Schwiegervater meinte, sein Vetter hätte mich einfach schlecht erzogen, eine Zeit der Einkehr könnte mir nicht schaden, er sähe mich lieber im Gefängnis als im ANC. Das ging nach hinten los, die Haft im Fort von Johannesburg hätte ich nicht überstanden ohne die Solidarität der Genossen, die meisten davon Xhosa. Und heraus geholt hast du mich, Direktor einer ausländischen Firma, die hier Geschäfte macht. Seitdem denke ich breiter.“

      Am nächsten Morgen fuhr man zu viert zum Midrand-Flugplatz, traf dort ein Ehepaar, das Gumede als Antjie und Jannie van Reenen vorstellte. Mallwitz hatte ein ausgezeichnetes Personen- und ein schlechtes Namensgedächtnis, aber in diesem Fall war es der Name „van Reenen“, der in ihm eine ganz unbestimmte Erinnerung weckte. Man bestieg eine kleine, offizielle SARF-Maschine. „Ich muss viel reisen“, meinte Gumede. Dienstliche Begründung für diesen Flug? Bei ElteX müsste ich da einige Phantasie aufbringen. Nun, es ist ja seine Gastfreundschaft. Er will wohl auch was von mir, aber was nur? Nur nicht fragen, soll er auf mich zukommen.

      Sie flogen über das Highveld nach Nordosten. Nach einer guten Stunde machte Gumede sie auf die Überlandleitungen aufmerksam, die Strom vom Sambesi-Staudamm bei Cabora Bassa nach Südafrika brachten. „War es nicht hier, Jannie?“ fragte er van Reenen. Noch bevor dieser antworten konnte, wurden Mallwitz der Sinn der Frage und ihre Zusammenhänge bewusst. Im Jahr 1988 war van Reenen, damals Doktorand an der Universität von Pretoria, Hauptangeklagter in einem Prozess nach einem Sprengstoffanschlag auf einen Mast eben dieser Leitung gewesen. Es war niemand verletzt worden, und der Schaden war gering. Aber Fälle von Sabotage durch Buren erregten großes Aufsehen. Die Verteidigung stellte die Tat als eher spontane Protesthandlung einiger isolierter Idealisten dar. Van Reenen erhielt zehn Jahre Gefängnis. Für den ANC war dieser von Weißen burischer Abstammung verübte Anschlag ein weiterer Beweis für den Anfang vom Ende der Apartheid, und entsprechend wurde der Vorfall international verbreitet und bewertet.

      Van Reenen bestätigte, dass er und seine Leute hier in dieser Gegend den Mast gesprengt hatten. Den Sprengstoff hatten sie im Chemischen Institut hergestellt. Da gab es einen abgelegenen Raum, in dem Witblits aus Pfirsichen destilliert wurde, natürlich schwarz. Die Professoren strengten sich an, dies zu übersehen, was andere ungesetzliche Vorhaben gut tarnte. Man hatte die Sprengladungen in den Winkeleisen an den Kanten des Masts befestigt, zog sich zurück und zündete. Der Donner der Explosion schien über das ganze Highveld zu laufen. Der Unterteil des Mastes brach weg, der Rest sackte auf den Boden und blieb dort, von der nicht gerissenen Leitung gehalten, stehen. Die Statik hatte über die Chemie gesiegt. Van Reenen und die Anderen waren so enttäuscht, dass sie auf der Flucht den Weg verloren und der vom Lärm aufgeschreckten Polizei genau in die Arme liefen. Und dann: „Heute bin ich natürlich froh, dass wir die Leitung haben. Sonst wären unsere Versorgungsprobleme noch größer. Und Mosambik hätte überhaupt keine Einnahmequelle.“ Was damals Terrorismus war, ist heute eine Heldentat, und die Leitung, damals Symbol für das Bündnis von Rassismus und Kolonialismus, steht heute für afrikanische Zusammenarbeit und wirtschaftlichen Fortschritt. Und der Renegat hat eine gute Stellung in der Regenbogengesellschaft.

      Der Pilot kündigte den Wendekreis an. Gumede kündigte an, die Bar sei eröffnet und verteilte Hansa-Bier in Dosen. Am frühen Nachmittag landeten sie auf einer Sandpiste im Norden des Krügerparks, wo bereits zwei Geländewagen auf sie warteten, um sie zur Station zu bringen. Es war glühend heiß, das Gras stand hoch, es hatte wohl schon reichlich geregnet in diesem Sommer, die Tiere hatten sich verkrochen, nichts Bemerkenswertes war zu sehen. Georg war ruhig und zufrieden, wie fast immer in der afrikanischen Savanne. Ihm war, also ob ihn seine Gene fühlen ließen, von dorther zu stammen. Aus der Ebene ragte ein Hügel mit einigen Gebäuden. Sie fuhren eine Schotterpiste hinauf, und ein Tor wurde für sie geöffnet. Im Lager erwartete sie ein Offizier. Er bedankte sich überschwänglich bei Gumede für die Ehre des Besuchs. Er werde alles tun, um ihm und seinen berühmten Gästen den Aufenthalt angenehm zu gestalten. Gumede leutselig: „Bestellen Sie für übermorgen früh einen klaren Himmel.“ Der Offizier lächelte etwas gequält.

      Etwas abseits lagen strohgedeckte Rondavels, jedes Paar bekam eines. Vor den Fenstern, Türen und Terrassen waren feine Drahtgitter gegen Moskitos angebracht, außerdem gab es noch Netze über den Betten, man war in einer Malariagegend. Vom Lager hatte man einen weiten Rundblick über die locker mit Bäumen bestandene Ebene, nur im Norden sah man ein dunkleres Band, den Galeriewald des Limpopo, einige Lücken gaben den Blick auf den Fluss frei, der weder great noch greasy war. Jenseits lag Zimbabwe, im Osten Mosambik. In Anbetracht des fortgeschrittenen Nachmittags und des bereits aufziehenden Gewitters entschied man sich in aller Ruhe auszupacken. Für den abendlichen Braai war bereits ein